Von Jörn Hasselmann und Henri Kramer: Sorge vor Rockerkrieg: Straßensperre Polizei macht Charlottenstraße vor Hells-Angels-Laden dicht – nachdem in Berlin Bandidos überliefen
Potsdam/Berlin - Potsdam, dem Umland und Berlin droht eine neue Eskalation im Krieg verfeindeter Rockergruppen. Der Grund: Mehr als 70 Rocker des Motorradclubs Bandidos in Berlin am Dienstag zu den verfeindeten Hells Angels übergelaufen sind – ein europaweit einmaliger Vorgang.
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Potsdam/Berlin - Potsdam, dem Umland und Berlin droht eine neue Eskalation im Krieg verfeindeter Rockergruppen. Der Grund: Mehr als 70 Rocker des Motorradclubs Bandidos in Berlin am Dienstag zu den verfeindeten Hells Angels übergelaufen sind – ein europaweit einmaliger Vorgang. Ermittler der speziell auf Rockerkriminalität spezialisierten Einheiten aus Brandenburg und Berlin gehen von neuen, langanhaltenden und brutalen Feden aus. „Selbst einzelne Übertritte lösen schon Rachefeden aus – was nun passiert lässt sich nur erahnen“, so ein Ermittler. Erste Auswirkungen waren bereits am Mittwochabend in Potsdams Innenstadt zu spüren.
Die Charlottenstraße war zwischen Dortustraße und Luisenplatz für Autos gesperrt, nur Fußgänger nach sporadischen Kontrollen und Busse durften passieren. Grund war laut einem Polizeisprecher eine „Hauptversammlung“ des Potsdamer Chapters der Hells Angels in deren Clublokal, dass diese im Oktober eröffnet hatten. Vor dem Lokal „The other place - Route 81“ in der Charlottenstraße 13 standen gegen 20 Uhr mehrere bullig wirkende Männer mit Handys an den Ohren, gestikulierten. Polizisten beobachteten sie im Abstand von rund 50 bis 100 Metern. Insgesamt waren laut der Polizei rund 50 bis 60 Beamte im Einsatz. Der Einsatz dauert noch in der Nacht an. „Wir hoffen, dass nichts passiert“, so ein Beamter.
Der Übertritt in Berlin dürfte den Krieg zwischen verbliebenen Bandidos und den massiv erstarkten Hells Angels dramatisch anheizen. Das für die Bekämpfung der Rockerkriminalität zuständige Landeskriminalamt setzte gestern Nachmittag eine internen Warnhinweis ab. Auch in Berlin wurden Bereitschaftspolizisten zu den Clubhäusern und Treffpunkten der beiden Clubs beordert. Hintergrund des Wechsels ein interner Machtkampf bei den Bandidos, in der vergangenen Woche sollen sich die beiden Chapter „Centro“ und „Southside“ eine blutige Auseinandersetzung geliefert haben. Daraufhin entschlossen sich die Rocker von „El Centro“ mit ihren Unterstützern („Supportern“) zum Feind überzulaufen– und zwar ausgerechnet einen Tag vor dem 20. Geburtstag der Berliner Hells Angels am Mittwoch.
Dass ein komplettes Chapter überläuft, sei bislang absolut unvorstellbar gewesen, sagen Experten bei der Polizei. Vor allem in Skandinavien hatte es in den 90er Jahren unvorstellbar brutale Konkurrenzkämpfe mit einer Vielzahl von Toten gegeben, dabei waren selbst Kriegswaffen wie Panzerfäuste eingesetzt worden. Diese Rivalität setzte sich auch in Deutschland mit mehreren Toten fort. Aufsehen erregte vor allem eine Bandidos-Attacke im August 2008 mit Macheten in Charlottenburg ausgerechnet auf einen Vizepräsidenten der Hells Angels und ausgerechnet vor deren Clubhaus. Im vergangenen Jahr gab es dann einen Toten: Nach dem Mord am „Höllenengel“ Michael Bartelt in Hohenschönhausen im August hatte die Polizei mit immensen Personaleinsatz die befürchteten Racheakte bislang verhindert. Wie berichtet, wollte Bartelt möglicherweise zu den Bandidos überlaufen. Der Mord ist bislang nicht aufgeklärt, wird nicht von der Mordkommission, sondern der Abteilung 4 im LKA bearbeitet – die gestern auch die interne Warnung absetzte. In der Folge kam es zu diversen Razzien und Kontrollen – in Potsdam im vergangenen September. Gefunden wurden unter anderem Hieb-, Schlag- und Schusswaffen .
Wie es im LKA hieß, sei die Lage nun völlig unübersichtlich. Aus drei Gründen seien Gewalttaten jetzt wahrscheinlich: Die bei den Hells Angels neu aufgenommenem Mitglieder von „El Centro“ müssen erst ihre Loyalität beweisen – durch besonders mutige oder blutige Taten. Zudem sind die Hells Angels jetzt derart in Siegerlaune, weil sich das bislang eher in Richtung Bandidos tendierende Kräfteverhältnis nun derart massiv zu Gunsten der Hells Angels verschoben hat. Und, drittens, die Bandidos sind nach diesem einmaligen Ansehensverlust nun völlig unberechenbar.
Seit Jahren streiten Hells Angels und Bandidos in Berlin und Brandenburg um die Vorherrschaft im Geschäft mit Prostitution, Drogen- und Waffenhandel. In Potsdam ist zudem noch der Gremium MC-Motorradclub aktiv. Dazu gibt es noch einen Unterstützer-Club der Hells Angels. Im August 2009 hatte es bei einer Schießerei in Babelsberg zwischen den Hells Angels und dem Gremium MC drei Verletzte gegeben.
Seit 2006 hat es im Land Brandenburg 614 Ermittlungsverfahren gegen verdächtige Rocker gegeben, hieß es zuletzt aus dem Innenministerium. Der „Gremium MC“, so das Innenministerium, sei mit 70 Mitgliedern in Potsdam, Frankfurt (Oder) und Spremberg aktiv. Der „Bandidos MC“ verfüge über Gruppen in Lauchhammer, Perleberg, Hohen Neuendorf und Teltow. Zusammen mit seinen sechs Unterstützerklubs in Velten, Pritzwalk, Dallgow-Döberitz, Hennigsdorf, Brandenburg/Havel und Perleberg gehörten ihm etwa 95 Personen an.
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