zum Hauptinhalt

Homepage: Sprachboykott gegen die Deutschen

Studenten der FH-Potsdam und der Kunsthochschule Poznan verfassen Comic zum polnischen Schulstreik

Stand:

„Wie lautet das vierte Gebot?“, fragt der Lehrer. Kasia weiß, dass sie auf Deutsch antworten muss, obwohl sie Polin ist. Stattdessen sagt es die 14-jährige Schülerin auf Polnisch: „Czcij ojca swego i matke swoja“ („Ehre deinen Vater und deine Mutter“). Wütend schlägt der Lehrer auf den Tisch und fordert Kasia auf, deutsch zu sprechen, doch sie weigert sich, auf Fragen und Befehle zu reagieren, die auf Deutsch und nicht auf Polnisch an sie gerichtet werden.

Diese kurze Szene stammt aus dem Comic „Rebellion in Bildern“ (Arbeitstitel), der vom Schulstreik handelt, der sich 1906 im polnischen Posen (heute Poznan) ereignete. Gestartet wurde das Projekt im Oktober 2012 als Gemeinschaftsarbeit der Fachhochschule Potsdam (FH) und der Kunsthochschule Poznan. 13 polnische Studierende und genauso viele FH-Studierende – aus den Bereichen Medienwissenschaft, Kulturarbeit, Produkt- und Kommunikationsdesign – sind an dem Projekt beteiligt, das unter anderem vom FH-Förderprogramm Inter-Flex und dem Polnischen Institut Berlin gefördert wird.

Gekommen war die Idee von der 27-jährigen Kulturarbeiterin und Projektleiterin Magdalene Loda aus Potsdam. „Es hat uns sehr positiv überrascht, dass jemand, der nicht aus Polen kommt, sich für dieses Thema interessiert, das in Polen selbst fast vergessen ist“, sagte Mateusz Kokot von der Kunsthochschule Poznan unlängst bei einer ersten öffentlichen Ausstellung der bisherigen Ergebnisse im Potsdamer Buchladen Sputnik. 1906 gehörte Posen zum preußischen Kaiserreich, durch dessen imperialistische Politik Polnisch als Unterrichtssprache in den Schulen schon seit Jahren zurückgedrängt und schließlich verboten worden war. „Polen war damals zwischen dem Kaiserreich und Russland aufgeteilt, die Polen besaßen nur noch ihre gemeinsame Sprache und Schrift“, sagt Kokot.

Vor diesem Hintergrund streikten in der Stadt Posen sowie in der gleichnamigen Provinz 1906 etwa 48 000 Schüler an 755 Schulen, indem sie die Verwendung des Deutschen im Unterricht verweigerten. Bis auf seine Symbolwirkung blieb der Streik jedoch erfolglos und viele Schüler erlitten aufgrund ihres Widerstandes Prügelstrafen oder wurden nicht versetzt.

Gestoßen war Magdalene Loda auf das Thema, als sie 2011 Poznan als Austauschstudentin besuchte: „Ich hatte nach einem historischen Ereignis gesucht, das man für Jugendliche aufbereiten konnte.“ Loda startete das Projekt im Rahmen eines FH-Seminars. Doch welche Form sollte gewählt werden? Die Studenten diskutierten sowohl über einen Kurzfilm, einen illustrierten Text, ein Hörspiel und ein Programm für Tablet-Computer. Letztlich entschied man sich doch für einen Comic, so die 29-jährige Kulturarbeit-Studentin Frederike von Leoprechting: „Es ist ein super Medium für dieses Vorhaben und die jugendliche Zielgruppe.“

Geplant war zuerst, den rund 140 Seiten starken Comic innerhalb eines Semesters zu produzieren, doch schnell wurde den Beteiligten klar, wie ambitioniert ihr Projekt ist: „Keiner von uns hatte schon mal einen Comic gemacht“, sagt von Leoprechting. „Wir haben etliche Bilddatenbanken durchforstet, um zu wissen, wie die Kleidung oder die Möbel damals aussahen“, sagt einer der Zeichner, der 23-jährige Produktdesign-Student Jeffrey Tätz. Während vereinbart wurde, dass die polnischen Studenten sich um Entwürfe für das künftige Cover kümmerten, übernahmen die FH-Studenten Story und Zeichnungen. Viel Zeit musste zunächst für die Entwicklung des Plots, der Protagonisten und des Zeichenstils verwendet werden, welcher sich in filmisch anmutenden Schwarz-Weiß-Szenen präsentiert.

Fertig ist daher bislang erst eine Szene des Comics, dessen einzelne Seiten noch bis zum zweiten März zusammen mit den 13 Cover-Entwürfen der polnischen Studenten als Ausstellung im Buchladen Sputnik zu sehen sein werden. Die Eröffnung der Ausstellung war das erste Zusammentreffen der deutschen und polnischen Studenten, die Kommunikation war zuvor hauptsächlich über die Dozenten geschehen. Geplant ist allerdings eine Reise nach Poznan im Sommersemester, in welchem die Arbeit an dem Comic abgeschlossen werden soll. „Wir wollen auch noch andere FH-Studierende für das Projekt gewinnen“, sagt Loda. Erik Wenk

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })