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Von Jan Kixmüller: Sprung aus den Kinderschuhen
Politik und Forschung fordern ein integriertes Konzept für energetische und stoffliche Nutzung von Biomasse
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Der zweite Anlauf soll Erfolg haben. Bereits vor dem Ende von Rot-Grün hatte Potsdams Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein (SPD) einen Vorstoß für die Forschung und Entwicklung der stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe unternommen. Doch dann kamen die Neuwahlen dazwischen. Nun ist Wickleins Antrag erneut auf dem Weg durch den Bundestag, die CDU trage ihn mit, es bestehe Konsens zwischen allen Ressorts. Wicklein ist sich sicher, dass Ende des Jahres positiv über ihren Vorstoß für ein „integriertes Biomassekonzept“ abgestimmt wird.
Eigentlich liegt ihr Anliegen auf der Hand. Während Forschung und Wirtschaft derzeit in Deutschland viel zur Entwicklung der energetischen Nutzung nachwachsender Rohstoffe – Stichwort Energie aus Biomasse – unternimmt, bleibt die Nutzung von Pflanzen als Lieferant für Kunststoffe weitgehend ein Stiefkind. „Wir haben ehrgeizige Ziele für nachwachsende Rohstoffe als Energielieferanten, bisher gibt es allerdings noch keine Strategie für die stoffliche Nutzung der Biomasse“, erklärt Wicklein im Gespräch mit den PNN. Ziel ihres Vorstoßes sei es nun, dass der Staat definiert, wie viel Prozent Kunststoff aus Biomasse produziert werden soll, ebenso wie er es bei der energetischen Nutzung macht. Von den 113 Millionen Tonnen Erdöl, die jährlich in Deutschland verbraucht werden, nutzt die chemische Industrie rund 20 Millionen, rechnet Wicklein vor. Der gestiegene Ölpreis lasse nun Handlungsbedarf für die Politik entstehen. „Deutschland ist ein weltweit führender Chemiestandort mit 450 000 Mitarbeitern und rund 153 Milliarden Euro Jahresumsatz, hier drängt nun die Frage, wie sich dieser Zweig in Zukunft auch ohne Erdöl aufrecht erhalten lässt“, so die Bundestagsabgeordnete, die auch das Wissenschaftsforum der SPD anführt.
Gerade in der Region Potsdam ist die Forschung zur stofflichen Verwertung von Biomasse weit vorne. In Teltow-Seehof sitzt das Institut Biopos, das unter dem Leitgedanken „Erdöl war gestern“ Konzepte für Bioraffinerien erarbeitet. Im Frühjahr 2009 soll eine erste Pilotanlage für biotechnologische Grundstoffe aus Gras und Farn im brandenburgischen Selbelang gefördert vom Bundesumweltministerium in Bau gehen. „Die Industrie braucht den Kohlenstoff aus der Biomasse“, betont Birgit Kamm von Biopos mit Blick auf die begrenzten Erdölressourcen. Und während es für den Bereich Energie noch andere Alternativen zum Öl gibt – etwa Wind, Wasser, Sonne – bleibe der chemischen Industrie nur die Biomasse für die benötigten Grundstoffe. Für Brandenburg fordert die Forschung daher einen interdisziplinären Verbund für die Biomasse-Forschung.
Auch in Potsdam-Bornim entwickelt das Leibniz-Institut für Agrartechnik (ATB) Pilotanlagen, die aus Pflanzenteilen Rohmaterialien für die stoffliche Verwertung herstellen. Zum einen wird aus einer Bioraffinerie Milchsäure als Grundlage für Kunststoffe gewonnen, eine weitere Anlage verarbeitet Naturfasern zu innovativen Bauplatten. Das ATB begrüßt nach den Worten von Sprecherin Helene Foltan den Vorstoß von Wicklein ausdrücklich. „Wir sehen eine so genannte Kaskadennutzung, also erst die stoffliche Nutzung der Pflanzen und dann eine energetische, gerade vor dem Hintergrund der Flächenkonkurrenz von Biomasse und Nahrungspflanzen als das vornehmliche Ziel“, erklärte Foltan. So könne aus Pflanzen erst ein Kunststoff etwa für Jogurtbecher, Tüten oder ähnliches werden. Nach der Nutzung der Produkte könnten diese weiter zur Energiegewinnung dienen. „Dazu ist allerdings noch viel Forschung nötig, die Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen“, erklärt Foltan den Bedarf an stärkerer Forschungsförderung. Auch sollte die Forschung stärker vernetzt und besser koordiniert werden, um notwendige Lösungen schneller erarbeiten zu können. Die gesamte Prozesskette, von der Erzeugung der Pflanzen bis hin zur Verwertung der Biomasse, müsse effizienter gestaltet werden. Bislang seien die Verfahren noch nicht gewinnbringend und damit für die Industrie uninteressant.
„Das Potenzial ist vorhanden, aber wir kommen aufgrund fehlender politischer Schwerpunktsetzung nicht voran“, so Wicklein. Nun sei es wichtig weitere Pilotanlagen zu fördern, um zu zeigen, wie effizient die Technologie bereits sei. Zumal Großbritannien, Frankreich und die USA auf dem Gebiet schon viel weiter sind. Wenn Wickleins Konzept den Bundestag passiert hat, wird es zur Handlungsempfehlung an die Bundesregierung. Die Regierung hat bereits das Thema aufgegriffen und in diesen Tagen eine Initiative für ein Bioraffinerie-Cluster in Ostdeutschland angeregt. Auch hier wird deutlich, dass Brandenburg über geballtes Knowhow verfügt. Die Landesregierung sei allerdings, so Wickleins Eindruck, etwas zögerlich. Die SPD-Politikerin will deshalb noch in diesem Herbst alle Beteiligten der Region an einen Tisch bringen.
Bleibt die Frage der Nutzungskonflikte. Dass die nachwachsenden Rohstoffe mit dem Lebensmittelsektor in ein ungesundes Konkurrenzverhältnis geraten können, wurde mit den global steigenden Nahrungsmittelpreisen offensichtlich. Wicklein sieht es daher als fundamental an, dass nicht nur die Früchte der Pflanzen, sondern vor allem auch der restliche „Abfall“ im Fokus der Verwertung stehe. „Biomasse ist knapp, daher sollte die effizienteste Nutzungsmöglichkeit gefunden werden“, lautet ihr Fazit.
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