Landeshauptstadt: Stoff zum Träumen
Der Abiturient Johannes Zahn kommt in Paris in Mode – Joop hat ihn entdeckt
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Johannes Zahn lässt den schmalen Streifen durch seine Hände gleiten. Ein Seiden-Chiffon, zart, glänzend. Aber vor allem bunt. Knallbunt. Buchstaben schlängeln sich vorbei an Gesichtern, ein Meer von Symbolen, wie eine mit Graffiti besprühte Hauswand. In New York vielleicht. Doch der Stoff hängt in Potsdam, in der ehrwürdigen Villa Rumpf, im obersten Stockwerk. Der Backsteinbau am Heiligen See gehört Wolfgang Joop. Hier entstehen die Kollektionen seiner Luxusmarke „Wunderkind“. Im Souterrain wird genäht und gebügelt, im Dachgeschoss werden Designs und Stoffe entwickelt, dazwischen Atelier und Anprobe. Und dazu der märchenhafte Blick auf den See und das Marmorpalais.
Was für eine Welt für einen 21-jährigen Abiturienten wie Johannes Zahn, einen groß gewachsenen, ein wenig schlaksigen jungen Mann mit schüchternem Händedruck, aber – wie sich herausstellen wird – umso festeren Überzeugungen. Im Sommer 2006 machte er am Potsdamer Einstein-Gymnasium Abitur, im Herbst stand er bei Joop vor der Tür. Vor der falschen wohlgemerkt – Zahn klingelte bei der „Villa Wunderkind“, dem noblen Wohnsitz des Modeschöpfers. Er liegt nur wenige Meter entfernt von der Villa Rumpf, und der junge Mann hatte Glück: Zur Tür heraus kam Wolfgang Joop höchstpersönlich. Der Designer, der in solchen Fällen kaum Berührungsängste kennt, nahm den Bewerber ernst. „Der Johannes macht jetzt hier mit“ – so hat Joop ihn im Atelier bei den „Wunderkind“-Kollegen vorgestellt. Zwar dauerte es noch, bis Johannes Zahn offiziell sein Praktikum beginnen konnte, doch es zählte: Wolfgang Joop war auf ihn aufmerksam geworden.
Nicht, dass sich der 21-Jährige darauf etwas einbilden würde. Auch heute nicht, anderthalb Jahre später, da er längst mehr ist als ein Praktikant, sozusagen zum kreativen Kern gehört bei „Wunderkind“. Das Design für den Stoff, den Johannes Zahn in den Händen hält, hat er selbst entworfen, nach Anregung von Wolfgang Joop. Es gibt ihn in verschiedenen Farbtönen, und noch einen zweiten dazu, auf dem immer wieder die Umrisse eines Frauengesichts auftauchen.
Der Abiturient als Stoffdesigner – es ist die Geschichte einer Entdeckung: Ein Tag im Atelier, der Praktikant Johannes Zahn hat einen Moment nichts zu tun, zeichnet. Wolfgang Joops Hunde, die bei den Anproben den Meister emotional unterstützen. Der Modeschöpfer wirft einen Blick auf die Skizze und ist begeistert. Schnell weiß er, was er von dem jungen Mann will: Ein Stoffmuster für die neue Kollektion, wie ein Graffiti, inspiriert von der Ära des Punk, des New Wave. Johannes Zahn macht sich an die Arbeit, zeichnet, entwirft am Computer. Drei Wochen arbeitet er, anfangs ist ihm komisch dabei: „Wolfgang Joop ist ja berühmt, da ist es seltsam, wenn man plötzlich so direkt für ihn etwas macht.“ Doch Joop ist zufrieden mit dem, was er sieht. Das gibt Selbstbewusstsein, sagt Johannes Zahn. Fast noch mehr, als jetzt seine Stoffe in den Händen zu halten – wenige Tage vor der exklusiven Präsentation der neuen „Wunderkind“-Kollektion morgen im Rahmen der berühmten Modewoche in Paris.
Hergestellt wurden die Stoffe in Italien, akkurat nach den Vorlagen von Johannes Zahn. Ob die Modewelt die Designs auf dem Laufsteg sehen wird, wie sie verarbeitet wurden – all das ist streng geheim. Nichts darf bekannt werden über die neue Kollektion, bevor sie nicht in Paris präsentiert wurde, übrigens das erste Mal im offiziellen Schauen-Programm der Modewoche. Es zählt das Überraschungsmoment.
Dass ihm die neue „Wunderkind“- Mode für den Herbst und Winter gefallen wird, daran hat Johannes Zahn keine Zweifel. „Wolfgang Joop kann machen, was er fühlt. Und je größer die Freiheit, desto besser die Ergebnisse.“ Tatsächlich ist „Wunderkind“, mittlerweile seit fünf Jahren am Markt, höchst individuelle Mode, handgearbeitet, jedes Stück beinahe ein Unikat. Keine Industrieproduktion, keine Trendjagd. Das passt Johannes Zahn gut. „Ich bin noch nie mit der Mode gegangen“, sagt er. Seine Garderobe stamme aus Second Hand-Läden, er bevorzuge den Stil der 1980er und 1990er-Jahre. „Ich wollte nicht gleich sein, so sein wie die anderen.“ Ein Individualist also, dessen kreatives Talent der Familie – seine Mutter Liane ist technische Zeichnerin, Vater Steffen arbeitet im Institut für Binnenfischerei, seine Geschwister Adrian (18) und Nina (10) gehen noch zur Schule – nicht lange verborgen blieb. Es sei jedenfalls niemand ernsthaft überrascht gewesen, dass er nun Stoffmuster für „Wunderkind“ entworfen habe, sagt Johannes Zahn.
Und es überrascht auch nicht, dass er weiter machen möchte in dieser Richtung. Jüngst hat er die Aufnahmeprüfungen für das Studienfach Modedesign an der Berliner Kunsthochschule Weißensee und an der Universität der Künste bestanden. Wo er studiert, muss er noch entscheiden. Illusionen, sagt er, mache er sich nicht: „Es wollen so viele etwas Künstlerisches machen, da ist es riesen schwer, etwas zu erreichen.“ Aber nicht unmöglich. Den besten Beweis dafür hält Johannes Zahn in den Händen.
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