Landeshauptstadt: Straucheln auf der Zielgeraden
Zum Wahlkampfende kommt Joachim Gessinger in die Schlagzeilen – ungewollt
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Zum Wahlkampfende kommt Joachim Gessinger in die Schlagzeilen – ungewollt Von Peter Könnicke Am 18. September entscheiden die Wähler des Wahlkreises 61 mit über die Zusammensetzung des neuen Bundestages, bestimmen mit ihrer Erststimme aber auch, welcher Direktkandidat den Potsdamer Wahlkreis im Bundestag vertritt. PNN-Mitarbeiter haben die Direktkandidaten von SPD, CDU, PDS, Bündnis 90/Grüne und FDP im Wahlkampf begleitet und stellen sie den Lesern vor. Heute: Joachim Gessinger (Bündnis90/Die Grünen). Joachim Gessinger hofft, dass ihm der Hammer „nicht auf die Füße fällt, wie so manch anderes heute“. Der Direktkandidat der Bündnisgrünen steht auf der Brandenburger Straße vor einem „Hau den Lukas“, wie man ihn von Jahrmärkten kennt, und treibt mit einem kräftigen Hammerschlag den Strompreis in die Höhe. Eine spaßige Wahlkampfaktion der Grünen, doch Gessinger dürfte reichlich Wut im Bauch haben – auf sich selbst. Am Morgen war in der „BILD“ zu lesen: „Der Grünen-Chef und die Putzfrau“. Noch am gleichen Vormittag bestätigt der Politiker: „Es trifft zu, dass ich in meinem Wohnhaus in Werder über mehrere Jahre hinweg stundenweise drei Haushaltshilfen beschäftigt habe, ohne die vorgeschriebenen Sozialabgaben zu leisten.“ Im Sommer hat der Landeschef der Grünen das letzte illegale Arbeitsverhältnis mit seiner Putzfrau – einer Russlanddeutschen – beendet. Die drei unangemeldeten Arbeitsverhältnisse werde er bei der Krankenkasse nachmelden und die Beiträge zur Sozialversicherung nachzahlen. „Ein Bußgeld werde ich sicher auch zahlen müssen“, ist sich Gessinger über die rechtlichen Konsequenten im Klaren. Und die politischen? Im Landesvorstand der Bündnisgrünen wird Gessingers Fahrlässigkeit gerügt, politisch stellt man sich hinter den Chef. Ob die Wähler, die Gessinger womöglich überzeugen konnten, ihm die Stimme versagen, wird sich am Sonntag zeigen. Dabei schimmerte es gerade an den letzten Tagen grünlich am politischen Horizont. Die Explosion der Benzinpreise, der angekündigte Anstieg der Gaskosten, das Hochwasser in Bayern, die Naturkatastrophe in New Orleans: „Es ist die Stunde der grünen Themen“, sagt Gessinger. Bei Gesprächen an den Wahlständen würden die Menschen zunehmend erkennen, dass Umweltschutz, Außenpolitik, Verbraucherfragen und Energieprobleme „keine Luxusthemen sondern existenzielle Fragen sind“. Und wenn diese in den Wahlkabinen von Bedeutung sind, sollte man „sein Kreuz doch beim Original machen und nicht eine schlechte Kopie wählen“, wirbt Gessinger. Der 60-Jährige galt bislang als moralische Instanz. Ob Schwarzbauten, Naturfrevel, Diskriminierung – Gessinger erhob den Zeigefinger und auf Wahlkampfpodesten die Stimme. Am Schwielowsee blies er zum Sturm gegen den angeblichen Missbrauch europäischer Fördermittel beim Bau eines imposanten Ferienresorts. Wegen des für seine Begriffe ausufernden Baubooms von Hotels und Urlaubsanlagen mahnt vor einem Verlust des Gleichgewichts im Werderschen Havelland, wo eine Infrastruktur für sanften Tourismus nicht mehr Schritt hält mit den millionenschweren Großprojekten „Das ist keine austarierte Wirtschaft mehr“, tadelt er. Als Brandenburgs CDU-Landeschef Jörg Schönbohm mit seiner These von der Proletarisierung der Ostdeutschen einen Aufschrei des Protests auslöst und Bayerns Edmund Stoiber über die Frustrierten in Ostdeutschland grantelt, meint der in Brandenburg an der Havel geborene Gessinger eher gelassen: „Man muss sie dafür nicht schelten, aber wählen muss man sie auch nicht.“ Als die Grünen ihren Landeschef Anfang August zum Direktkandidaten für den Wahlkreis 61 wählten, machte sich der Universitätsprofessor mit dem Manko des geringen Bekanntheitsgrades auf Wahlkampftournee. Mit großen Namen können die Grünen im Märkischen ohnehin nicht punkten, daher konzentrieren sie sich mehr als etwa zur Landtagswahl 2004 auf ihre Kernthemen: wirtschaftliche Potenziale durch erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft, naturnaher Tourismus und nachwachsende Rohstoffe. Passanten auf Marktplätzen und Einkaufstraßen hielt Gessinger seinen Wahlflyer hin: „Wollen sie mich mitnehmen?“ Die Frage klingt wie eine Alternative. Gessinger hofft, dass sich diese trotz seines Fehlers für die Wähler stellt.
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