Landeshauptstadt: Streit um „das richtige“ Gedenken
Potsdam gedachte der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz an der Stele „Das Opfer“ in der Lindenstraße 54 / Opferverbände kritisieren „Marginalisierung der Erinnerung an NS-Zeit“
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Innenstadt/Babelsberg - Das Gedenken an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 wurde am Freitag überschattet vom Streit um die Gedenkkultur in Potsdam. Während Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und zahlreiche Stadtverordnete am Mittag an der Stele „Das Opfer“ im Hof der Gedenkstätte Lindenstraße 54 Blumen niederlegten, protestierten Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes– Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) vor der Tür der Gedenkstätte für ein Mahnmal, das ausschließlich den Opfern des Nationalsozialismus gilt.
Der Hintergrund: Die Lindenstraße 54 war Gefängnis sowohl im Dritten Reich als auch in der DDR-Zeit. Es finde eine Gleichsetzung von DDR und Naziregime statt, was zu einer „Marginalisierung der Erinnerung an die NS-Zeit“ führe, so die Kritik. Zur Diskussion um die künftige Trägerschaft der Lindenstraße 54 erklärte die Potsdamer Historikerin Almut Püschel, sie präferiere die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, der es dank ihrer Erfahrung und Möglichkeiten besser als der Stadt Potsdam selbst gelingen würde, die Gedenkstätte überregional „mit all ihren Facetten zu platzieren“. Gleichsam warf der Kreisvorsitzende der Linken, Sascha Krämer, dem Oberbürgermeister vor, den Gedenktag nicht auch an der Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Platz der Einheit zu begehen.
In Reaktion darauf kündigte der Oberbürgermeister gegenüber den PNN an, im kommenden Jahr eine große Gedenkveranstaltung für alle Parteien und politischen Strömungen organisieren zu wollen. „Da hat man nicht mehr die Diskussion, wer wo hingeht“, sagte Jakobs. Auf die Frage, an welchem Gedenkort dies geschehen solle, verwies der Verwaltungschef auf die Lindenstraße 54: „Das ist für mich das Symbol.“ Auch in seiner Rede bezeichnete der Oberbürgermeister die Lindenstraße 54 als den „richtigen Ort, der Gräueltaten der Nationalsozialisten zu gedenken“ – auch wenn die Gedenkstätte „an die politische Verfolgung in gleich zwei deutschen Diktaturen“ erinnere. Bewegend beschrieb Jakobs die Leiden „der Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns“: Sechs Millionen Juden starben durch den Holocaust, aber auch Sinti und Roma, Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer, Homosexuelle und Behinderte, mahnte Jakobs. Sie „wurden in die Lager transportiert, auf zynische Weise selektiert und viele von ihnen direkt an der Rampe in die Gaskammern geschickt, wo sie einen unvorstellbar schrecklichen Tod erlitten. Kinder wurden ihren Eltern entrissen, Familien und Liebende wurden für immer getrennt“, so der Oberbürgermeister in seiner Rede.
Die CDU hatte den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am Morgen am Gedenkstein in der Babelsberger Spitzweggasse 2a begangen. Dort war im April 1940 ein sogenanntes Jüdisches Alten- und Siechenheim eingerichtet worden, das die Gestapo am 16. Januar 1943 räumte. Die Bewohner wurden deportiert und zumeist in Konzentrationslagern wie in Auschwitz ermordet. Die CDU-Landesvorsitzende Saskia Ludwig erinnerte an das jüdische Ehepaar Emil und Emilie Kauf, das aus dem Heim nach Theresienstadt deportiert wurden, wo sie wenige Wochen später starben. Der Gedenkstein war 1998 von Schülern des Espengrund-Gymnasiums aufgestellt worden – „es ist der einzige Gedenkstein im Land Brandenburg, der an ein solches Sammellager erinnert“, stellte Ludwig fest.
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