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Landeshauptstadt: Streit um Gedenken am Ort der Synagoge

Die CDU-Fraktion möchte mit einer zweiten Tafel an den Abriss erinnern – das stößt auf Widerstand

Stand:

Marcus Pilarski von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten hatte am Mittwochabend Rederecht im Hauptausschuss – er sprach für Willi Frohwein. Frohwein, Jahrgang 1923, hat die Hölle der Zuchthäuser und Konzentrationslager der Nationalsozialisten überlebt. Bis heute berichtet er als Zeitzeuge von seinen schrecklichen Erlebnissen. Frohwein konnte am Mittwochabend wegen Krankheit nicht erscheinen – doch Marcus Pilarski gab seine Botschaft unmissverständlich weiter: Keine Veränderungen am Gedenkort für die frühere Jüdische Synagoge am Rande des Platzes der Einheit.

Genau das aber hat die CDU-Fraktion vor – nämlich die Anbringung einer ergänzenden Tafel. Zwei Dinge sollen, so Fraktionschef Michael Schröder, damit klargestellt werden: Zum einen werde der durch die DDR geprägte Begriff Faschismus durch den fachlich richtigen Begriff Nationalsozialismus ersetzt. Und zur Wahrheit gehöre auch die Klarstellung, dass die Zerstörung der Synagoge 1957 durch den DDR-Staat veranlasst worden war. Es gehe um „Ergänzung und Klarstellung“.

Doch Frohwein ließ durch Pilarski mitteilen, dass er keine Notwendigkeit für eine weitere Tafel sehe, denn die alte Tafel werde ihrer Funktion gerecht. Die Erinnerung an die Pogromnacht am 9. November 1938 und die Verbrechen der Nazis würden mit einer weiteren Tafel verwässert und relativiert. Eine Gleichsetzung von Nazideutschland und DDR sei falsch. Der DDR könne wegen des Abrisses der beschädigten Synagoge kein Vorwurf gemacht werden, da es keine Juden mehr gab – die hätten die Nazis umgebracht.

Im Hauptausschuss bekam Frohwein, der die Anbringung der Tafel im Jahr 1979 selbst initiiert hatte, viel Unterstützung durch Vertreter von Linke, SPD und Die Andere. Klaus-Uwe Gunold (Die Linke) unterstellte der CDU sogar politische Motive. Durch die Verwendung des Begriffs Nationalsozialismus solle der Begriff des Sozialismus „diskreditiert“ werden. Kulturausschussvorsitzende Karin Schröter von den Linken warf ein: „Der Nationalsozialismus war weder national noch sozialistisch“. Gregor Schliepe (Die Andere) äußerte ebenfalls die Vermutung, dass der CDU-Antrag politisch motiviert sei. Die geforderte zweite Tafel lasse zu viele „Interpretationsmöglichkeiten“ zu und führe zu einer „Relativierung dessen, wessen wir dort gedenken – nämlich eines einmaligen Verbrechens“. Auch SPD-Fraktionschef Mike Schubert betonte, dass mit der jetzigen Gedenktafel auf die Einmaligkeit der Pogromnacht hingewiesen werde. „Es geht um die Schändung eines Gebäudes und nicht um den Abriss.“

Trotz weitgehender Ablehnung im Ausschuss ist die Angelegenheit nicht vom Tisch. Zunächst scheiterte der Versuch von Schröder, den CDU-Antrag in den Kulturausschuss zu überweisen. Schröder erklärte daraufhin, den Wortlaut des Antragtextes auf den Prüfstand zu stellen und den Antrag neu in die Stadtverordnetenversammlung einzubringen – dann würde er automatisch an den Kulturausschuss überwiesen. Bei diesem Ansinnen bekam er überraschend Rückendeckung durch Saskia Hüneke (Bündnis 90/Grüne). Sie sprach sich für eine weitergehende Diskussion dieses Themas aus, da der Abriss der Synagoge tatsächlich ein geschichtliches Ereignis sei, an das erinnert werden sollte. Der Vorschlag von Ute Bankwitz vom BürgerBündnis für eine zweite, bescheidene Tafel lautet: „Der Abriss des Gebäudes erfolgte 1957.“

Michael Erbach

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