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Die Energiewende setzt in Deutschland vor allem auch auf Windkraft.

© dpa

Energiewende zwischen Ärger und Erfolg: Streit um Windmühlen

Die erneuerbaren Energien sind in Deutschland ein ambivalentes Thema: Für die einen sind sie ein dauerhaftes Ärgernis, für andere Hoffnungsträger für eine nachhaltige Zukunft. Das brandenburgische Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung IRS untersucht nun die regionalen Auswirkungen des Umbruchs.

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Erkner - Verspargelung und Verspiegelung sorgen in Brandenburg und den übrigen neuen Bundesländern bei manchem Bewohner für Unmut. Vor einer weiteren Ausdehnung warnen mehr als 80 Bürgerinitiativen, die das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) gezählt hat. 70 lokale Bürgerinitiativen haben sich zur Initiative „Rettet Brandenburg“ zusammengeschlossen und zu Jahresanfang ein Volksbegehren gestartet. Windkrafträder sollen in einem weiteren Abstand von Siedlungen gebaut werden, das ist das Ziel der Initiative. Mehr als 34 000 Bürger unterschrieben innerhalb von fünf Monaten einen Aufruf der Initiative. Doch aus dem Vorhaben wurde nichts. Es scheiterte schließlich an zu geringer Beteiligung: Mit 45 270 gültigen Unterschriften sei die notwendige Zahl von mindestens 80 000 Unterstützern bei Weitem nicht erreicht worden, so der Landeswahlleiter am 6. Juli.

Die einen protestieren, die anderen profitieren

Die Gemengelage ist ambivalent. Einerseits protestieren Bürgerinitiativen gegen die neuen Energien, andererseits reißen sich manche Gemeinden um neue Projekte der Energiewende. Früher kämpften die „Stromrebellen“ gegen die großen Energiekonzerne. Mittlerweile sind die Großproduzenten von Strom durch die Energiewende und die Umstrukturierung des Energiemarktes in die Defensive geraten. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz machen sich neue Energiekonzepte auch für den einzelnen Hausbesitzer, der Solarzellen auf dem Dach seines Einfamilienhauses postiert, bezahlt. Kurze Zeit galt die Solarenergie als Wachstumsmotor eines aufstrebenden neuen Industriezweiges. Gegenwärtig ist nichts mehr, wie es noch in den 1980er-Jahren war, als die Großkonzerne mit ihren Kohle- und Atomkraftwerken das Sagen hatten.

Heute beharken sich Bürger und Initiatoren von Energieprojekten im Kampf um Gewinne aus der Energiewende. „Die Konflikte haben sich verlagert“, stellt IRS-Wissenschaftler Matthias Naumann fest. Zwiespältig seien die Reaktionen auf die Energiewende, so Naumann. Denn mit dem Windkraftrad oder der Solaranlage entstünden in den Dörfern und Städten nicht selten erhebliche Profite. Das führe zu Streit über die Verteilung der Gelder.

Erforscht wird Umsetzung und die regionalen Auswirkungen der Energiewende 

Naumann untersuchte gemeinsam mit anderen Mitarbeitern der Forschungsabteilung im Rahmen des Forschungsprojektes „Enerlog“ die Umsetzung und die regionalen Auswirkungen der Energiewende. Dass mit der Einführung neuer Technologien gesellschaftliche Umbrüche einhergehen würden, sei dabei eine ganz normale Sache. Daher sei es notwendig, die lokalen Politiker und Bürger in einen Dialog zu bringen. Orte zeichneten ein bestimmtes Bild von sich in der Öffentlichkeit, so der Regionalforscher Naumann. Das könnte sich durch die prinzipielle Entscheidung für oder gegen bestimmte Energien wandeln. Dann entstünden mitunter Identitätskonflikte. Denkbar sei, dass sich eine Region fortan als „Energieregion“ definiere. Raumgreifende Entwicklungen, die mit der Installation von Windkraftanlagen einhergehen, könnten neue „Energielandschaften“ entstehen lassen, so der IRS-Wissenschaftler Ludger Gailing.

Landschaftsverformung durch Energiegewinnung ist allerdings ein jahrhundertealtes Thema, das schon in der Lausitz und im Ruhrgebiet ausführlich durchbuchstabiert wurde. Allerdings haben sich die politischen Lösungsstrategien hinsichtlich lokaler Konflikte gewandelt. Wo früher ein entsprechendes Enteignungsgesetz erlassen wurde, versuchen Politiker heute, wenn möglich, einen Konsens mit der Bevölkerung herzustellen. „Da werden viele verschiedene Konzepte ausprobiert. Die Palette ist recht groß“, sagt Naumann und verweist auf zahlreiche Beteiligungsprojekte in Brandenburg.

Die wachsende Vielfalt der Akteure gilt als eine deutsche Besonderheit 

Die Energiewende wird bisher vor allem durch kleinteilige Energieproduzenten vorangetrieben oder von Fonds, die in neue Strukturen investierten. Nur ein geringer Teil der alternativen Energien werde von großen Energiekonzernen produziert, so Gailing. Diese „enorme Zunahme der Akteursvielfalt“ sei eine deutsche Besonderheit der Energiewirtschaft. Damit gingen Probleme einher. Die Verteilung von Profiten aus der Energiewende sei ein sensibles Problem, das austariert werden müsse, um zu verhindern, dass daraus lokale Konflikte entstehen, erläutert Regionalforscher Gailing: „Nichts stört mehr als das Klingeln im Geldbeutel des Nachbarn.“ Denn den Bauern, auf deren Wiesen Stromkonzerne Windräder aufstellen, und den Gemeinden, auf deren Flächen in großer Zahl Solarmodule zur Stromerzeugung installiert werden, zahlen die Betreiber häufig erhebliche Beträge. Als eine gute Möglichkeit habe sich dabei erwiesen, die Gelder breiter zu streuen. Der einzelne Bauer erhält nur einen Teil des Geldsegens, während andererseits auch die Gemeinde oder der Nachbar beteiligt werden.

Diese Art der Verteilung der Gelder wird in Schlalach in Potsdam-Mittelmark angewandt. 20 Prozent des Gewinns aus der Einspeisung durch das Windrad gehen direkt an den Eigentümer, auf dessen Grundstück die Anlage steht. Das Modell werde seit zwölf Jahren praktiziert, funktioniere gut, habe aber trotzdem keine Nachahmer gefunden. Dieses Beispiel zeige, dass es jedenfalls notwendig sei, die entsprechenden Gemeinden frühzeitig in die Planung einzubeziehen. „Wenn der Bagger vor der Tür steht, ist es zu spät“, weiß Naumann.

Energetische Projekte können auch Probleme aufwerfen

Beratungsbedarf besteht allerdings nicht nur, wenn Gelder ausgeschüttet oder investiert werden. Die Durchführung von energetischen Projekten kann Probleme aufwerfen. Auch gebe es bundesweit erst wenige Beispiele für erfolgreiche Bioenergiedörfer, also für Dörfer, die den Großteil ihrer Energie aus alternativen Energiequellen gewinnen würden. Ergebnis des Forschungsprojektes, das gemeinsam von IRS und der ZukunftsAgentur Brandenburg (ZAB) durchgeführt und vom Bundesforschungsministerium finanziert wird, soll ein Praxisleitfaden sein, in dem verschiedene Handlungsmöglichkeiten für lokale Energieplaner aufgezeigt werden.

Richard Rabensaat

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