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Landeshauptstadt: Suzettes Liebesbriefe

Meike Rugenstein ging der Geschichte einer Malerin nach – dafür wird sie morgen vom Bundespräsidenten ausgezeichnet

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Die Urkunde wurde geändert: Einige Worte sind dunkler gedruckt als der Rest, sie überdecken den darunterliegenden Originaltext. Das fiel Meike Rugenstein gleich auf, als sie – irgendwann im Winter 2006 – die Aufnahmeurkunde der Malerin Suzette Henry (1763-1819) in die Berliner Akademie der Künste in den Händen hielt. Der Grund für die offensichtlichen Korrekturen erschloss sich der Helmholtz-Schülerin bald. „Diejenige“ steht dort statt „derjenige“, „Personen“ statt „Männer“: Es sind die geschlechtsbezogenen Wörter, die geändert worden waren. Denn Suzette Henry wurde 1789 die erste Frau in der Männerrunde der Kunstakademie.

Mit einer Arbeit über die Malerin beteiligte sich Meike Rugenstein am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Am morgigen Mittwoch wird sie von Horst Köhler in Schloss Bellevue ausgezeichnet – sie ist eine der 15 Zweitplatzierten. Bundesweit mehr als 5100 Schüler reichten insgesamt 1 257 Beiträge für den Wettbewerb 2006/2007 ein – allein in Brandenburg gab es 188 Teilnehmer. Vergeben werden 50 Bundespreise, drei Tutorenpreise für engagierte Lehrer und zehn Schulpreise. Es handelt sich nach eigenen Angaben um den größten historischen Forschungswettbewerb für Kinder und Jugendliche in Deutschland.

Die Teilnahme am Wettbewerb stand für Meike Rugenstein gar nicht im Mittelpunkt, als sie anfing, sich für „ihre“ Suzette zu interessieren. Ausgangspunkt waren Nachforschungen in der unmittelbaren Familiengeschichte: Denn Suzette Henry, Tochter des berühmten Kupferstechers und Illustrators Daniel Nikolaus Chodowiecki, war Ende des 18. Jahrhunderts die Frau des damaligen Pfarrers der Französisch-Reformierten Gemeinde Potsdam, in der Meike Rugenstein als Pfarrerstochter aufgewachsen ist. „In der ich seit meinem ersten Atemzug lebe und wirke“, wie die Schülerin in dem 38-seitigen Wettbewerbsaufsatz schreibt. Sie wohnt heute also dort, wo die Malerin und sechsfache Mutter vor mehr als 200 Jahren gelebt hat: im Holländischen Viertel.

Beinahe erschreckt hat Rugenstein, wie nahe sie dieser Frau so viele Jahre nach ihrem Tod kommen konnte. Zum Beispiel über ihre Liebesbriefe, die in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz aufbewahrt werden: „Ich habe mich fast schlecht gefühlt, weil ich in ihre Privatsphäre eindringe“, erinnert sich die Gymnasiastin an die Tage im Lesesaal. Auch in Gemeindearchiven in Potsdam und Berlin suchte sie nach Quellen über die in Vergessenheit geratene Künstlerin, die einen Weg zwischen den beiden Idealen ihrer Zeit fand: Der Frau, die im Haushalt gefangen lebt, und der romantischen Künstlerin, die gegen bürgerliche Moral aufbegehrt. Obwohl sie Künstlerin war und sogar ihre Familie finanziell unterstützen konnte, lebte Suzette eine „konservative Ehe“, wie Rugenstein herausfand: „Sie ist immer auf dem Teppich geblieben.“ Den Grund dafür sieht sie in der freien Erziehung durch den Vater, aber auch im Reformierten Glauben: Einen eigenen Weg finden, dabei aber die Traditionen achten – so fasst die 18-Jährige den Grundgedanken zusammen. „Ein schönes Lebensmotto“, findet sie, „auch heute, wo die Lebensumstände ganz andere sind.“

Anhand von Suzettes Lebensgeschichte beschreibt Rugenstein schließlich auch ein grundlegenderes Thema. „Prägung und Aneignung“: So lautet der Titel ihres Wettbewerbstextes. Im Nachdenken und Reden mit Freunden hat der Wettbewerbsbeitrag eine neue Facette bekommen: „Es war ein ziemlich langer Prozess“, sagt Rugenstein. Anders als im Geschichtsunterricht habe sie bei der Arbeit auch etwas über sich selbst gelernt – und etwas hat sich geändert: Sie bezeichnet es in ihrem Text als den Schritt hin zur „bewussten selbstbestimmten Aneignung von Geschichte“. Dass sie dafür morgen einen Preis, der mit 1 000 Euro dotiert ist, bekommt, tritt in den Hintergrund: „Die Frau war mir einfach wichtig und ist es auch immer noch.“

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