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Gegen einen Trainer eines kleinen Potsdamer Sportvereins, der junge Turnerinnen anleitet, werden seit Jahren Vorwürfe erhoben. 

© Getty Images

Brisanter Fall vor Landgericht: Tatort Turnhalle?

Der Potsdamer Stadtsportbund lehnt die Aufnahme eines Sportvereins ab – wegen eines angeblich übergriffigen Trainers. Nun soll das Landgericht entscheiden.

Von Carsten Holm

Potsdam - Zwingt das Landgericht den mächtigen Potsdamer Stadtsportbund (SSB) dazu, einen kleinen Sportverein in das Bündnis aus 168 Vereinen der Stadt aufzunehmen? Der Stadtsportbund hat dies bisher abgelehnt. Der Grund: Ein in Diensten des Vereins stehender Trainer soll sich seit Jahren gegenüber den ihm anvertrauten oft nur zehn Jahre alten Mädchen übergriffig verhalten haben. Der Trainer und sein Verein bestreiten die Vorwürfe. Die Entscheidung sollte am Mittwoch vor der 2. Zivilkammer des Landgerichts verkündet werden. Der Termin wurde aber kurzfristig verschoben.

Was dem verheirateten Trainer, der aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes in diesem Text Hermann Koller heißen soll, zur Last gelegt wird, nährt, wenn es zutrifft, den Verdacht sexuellen Missbrauchs. Im Raum steht auch die Frage, ob sein Verhalten von pädophilen Zügen geprägt sein könnte, jener Störung, die dazu führt, dass Erwachsene sich zu Kindern hingezogen fühlen, die zumeist noch vor der Pubertät stehen.

Was seine Lage beschwert: Koller hat nicht abgestritten, unter einem Pseudonym ein Manuskript für ein Buch im Münchner Verlagshaus Schlosser verfasst zu haben. Schlosser ist ein sogenannter Zuschussverlag, dem zumeist unbekannte Autoren Geld für das Drucken ihrer Werke bezahlen. Detailreich schildert der Autor in seinem Manuskript die sexuelle Beziehung einer Elfjährigen zu ihrem Onkel, Kritiker lesen es als Plädoyer für die Abschaffung der Strafbarkeit von Sex zwischen Erwachsenen und Kindern.

Dem Trainer wird eine dauerhafte Grenzüberschreitung vorgeworfen

Es geht nicht um Vergewaltigung, nicht um intime Körperkontakte, auch wirft niemand Koller vor, Mädchen dazu gebracht oder gar gezwungen zu haben, ihn intim zu berühren. Doch er wird verdächtigt, jungen Turnerinnen regelmäßig zu nahe gekommen zu sein, wenn er sie etwa in Umkleidekabinen aufsuchte, oder sie am FKK-Strand fotografierte. Es ist eine dauerhafte Grenzüberschreitung, die Koller vorgeworfen wird, eine über Jahre angeblich von Augenzeugen beobachtete Missachtung der Persönlichkeitsrechte und der Würde der ihm anvertrauten jungen Mädchen – und der gebotenen körperlichen Distanz zu ihnen.

Die PNN baten den Trainer, den Verein und die Potsdamer Kanzlei Klingbeil Rechtsanwälte, deren Gesellschafter Axel Keller die Kunstturner vor der Zivilkammer vertritt, mehrfach um eine Stellungnahme. Die Kanzlei ließ einen Katalog mit 13 Fragen unbeantwortet, Anwalt Keller erklärte auf Nachfrage, zu einer Stellungnahme „nicht autorisiert“ zu sein. Der Trainer reagiert nicht auf Kontaktversuche. Auch der Verein schweigt. Dessen Vorsitzender schreibt, „zu dem laufenden Rechtsstreit keine Erklärungen abgeben“ zu wollen, im übrigen seien ihm „erhobene Anschuldigungen gegen unseren Verein nicht bekannt“, weshalb er „auch hierzu keine Erklärungen abgeben“ könne.

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Der Verein will nun gerichtlich durchsetzen, dass er Mitglied des Stadtsportbund werden kann. Der SSB wird von dem früheren DDR-Innenminister und heutigen Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel vertreten, er hat schon etliche Prozesse für Mandanten aus dem Milieu des Sports geführt. Diestel spricht „von einem bundesweit einmaligen Fall“, noch nie habe seiner Kenntnis nach ein Sportbund die Aufnahme eines Vereins verweigert, weil es Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Trainers gegeben habe. Es gelte junge Turnerinnen vor Missbrauch zu schützen, dies sei nach seiner Ansicht nicht gewährleistet, „wenn der Verein an diesem Trainer festhält“.

Ein Ermittlungsverfahren gab es nie

Doch die Vorwürfe gegen den Potsdamer Trainer haben eine Schwachstelle. Weder Eltern noch Kolleg:innen haben jemals Auffälligkeiten in Kollers Umgang mit jungen Mädchen bei der Polizei angezeigt. Nach Angaben der Potsdamer Staatsanwaltschaft auf eine Anfrage der PNN gab es nie einen Anfangsverdacht, nie ein Ermittlungsverfahren, schon gar nicht wegen Vorwürfen des Missbrauchs.

Das Zivilgericht muss nun entscheiden, ob einem ganzen Verein der Zugang zum Stadtsportbund verwehrt bleiben soll, nur weil ein unbewiesener Verdacht gegen einen seiner Trainer im Raum steht. Und es gibt, so lange kein Strafgericht über sein Verhalten geurteilt hat, eine Gefahr: Kollers Ansehen in der Öffentlichkeit könnte irreparabel beschädigt werden. Üble Nachrede, Verleumdung bis hin zum Rufmord könnten seine Existenz vernichten.

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Der Streit, dessen Anwalts- und Gerichtskosten von Experten auf inzwischen rund 50 000 Euro geschätzt werden, schwelt schon seit Jahren. Am 10. Juli 2019 reichte die Kanzlei Klingbeil ihre zwölfseitige Klageschrift für den Verein beim Landgericht ein, sie liegt den PNN vor. Es gebe, heißt es in der Klageschrift, „kein berechtigtes Anliegen“ des SSB, den Trainer „aus Gründen der Kindeswohlgefährdung abzulehnen“. Der Verein erfülle „alle Voraussetzungen“, die nach der Satzung des SSB „und auch nach den allgemeinen Moral- und Wertvorstellungen zum Schutz des Kindeswohls notwendig sind“.

Der Trainer habe ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt, das keine Eintragungen enthalte. Der Stadtsportbund sei als „Verein mit überragender Machtstellung im sozialen Bereich“ verpflichtet, den Verein aufzunehmen, der keine ausreichenden Möglichkeiten habe, andere Sportstätten zu nutzen und Fördergelder zu erzielen. Der Verein erleide erhebliche wirtschaftliche Nachteile, da die Mitgliedschaft im SSB Voraussetzung für die Aufnahme in den Landessportbund sei, woran wiederum der Abschluss günstiger Gruppenversicherungen und Fördermittel geknüpft seien.

Vorfall am FKK-Strand - Trainer kann Aufregung nicht nachvollziehen

In seinem Klageabweisungsantrag vom 12. November 2019, der den PNN ebenfalls vorliegt, wirft Anwalt Diestel dem Verein vor, „die Zuverlässigkeitszweifel“ an dem Trainer „größtenteils einfach nur zur Kenntnis genommen oder pauschal negiert“ zu haben, ohne Konsequenzen zu ziehen. Dieser habe, sagte Diestel, seiner „Aufklärungsobliegenheit zur Entkräftung der Zweifel nicht genügt“.

Vorgeworfen wird dem Trainer unter anderem, sich am 2. August 2012 „am FKK-Strand am Templiner See mit jungen, etwa zehn Jahre alten Mädchen“ aufgehalten „und diese nackt und mit Schlamm bespritzt fotografiert“ zu haben. Diestel zitiert aus einem entsprechenden Bericht des Vereins, bei dem Koller damals trainierte. Der Trainer habe „kein Verständnis“ gezeigt, als ihn die Vereinsoberen zur Rede stellten. Seine Rechtfertigung: Er kenne dies aus seiner Jugend so und finde es ganz normal, die Aufregung darüber könne er nicht nachvollziehen.

Für den Kinderschutzbeauftragten des Vereins war es dagegen „ganz eindeutig“ eine Persönlichkeitsverletzung, dass ein Trainer ihm anvertraute Mädchen sich öffentlich entkleiden und schwimmen gehen ließ.

Der Trainer wurde abgemahnt, der alleinige Umgang mit den Mädchen des damaligen Vereins in der Umkleidekabine, der Sauna und an Stränden untersagt. Immer wieder, so steht es in dem Bericht, sei es in den folgenden Jahren dennoch zu „fehlerhaftem Verhalten im Umgang mit den ihm anvertrauten Mädchen“ gekommen.

Was Zeugin Luise S. berichtete

Am 7. März 2017 beispielsweise beobachtete die Zeugin Luise S. den Trainer zwischen 15 und 15.30 Uhr in einer der Turnhallen. In ihrem Bericht darüber heißt es, eines von vier Mädchen habe nahe des Trampolins „in seinem Schoß gesessen, zwischen seinen geöffneten Beinen“. Er habe ihm „über den gesamten Oberkörper“ gestreichelt und es „durchgängig in seinen Armen“ gehalten. Als das Mädchen aufstand, habe er ihm „einen leichten Klaps auf den Po“ verpasst. So sei es allen vier Mädchen ergangen. Der Trainer schweigt auf Fragen dazu.

Nach PNN-Informationen hat die Stadt am 27. August 2019 gegen Koller ein Zutrittsverbot für alle städtischen Hallen erlassen, weil er „kein angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis zu den ihm anvertrauen Kindern“ habe. Die Pressestelle des Rathauses dementiert das auf Anfrage nicht.

Nur wenig später, im September 2019, wurde dem Stadtsportbund bekannt, dass Trainer Koller sich nebenbei als Schriftsteller versuchte. Sein Schwerpunktthema: Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen. Unter dem Pseudonym „B. Stein“ hatte er ein Manuskript für ein Buch verfasst. Das sexuelle Verhältnis einer Elfjährigen mit ihrem Onkel wird darin beschrieben, und dass sie ihm „einen richtigen Schmatzer“ gab, „sozusagen als Dank für meinen ersten Orgasmus“.

Die Strafbarkeit von sexuellen Beziehungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen, heißt es in dem Manuskript auch, sei „eine heuchlerische Gesetzgebung die der Entwicklung in keiner Weise mehr Rechnung trägt“. „Ein schwachsinniges Gesetz“ gebe es, „denn solche Beziehungen gehören heute zum Alltag“. Der Trainer erhielt daraufhin von einem der Vereine, für die er arbeitete, eine fristlose Kündigung.

Eltern sollen sich für den Trainer eingesetzt haben

Trotz alledem hat Trainer Koller offenbar noch immer eine treue Anhängerschaft. Es sollen Eltern der Turnermädchen gewesen sein, die, wenn wieder einmal etwas bekannt geworden war von angeblichen Übergriffen, sich fast flehentlich an die Chefs wandten und zum Teil schluchzend verlangten, Koller weiterhin zu beschäftigen. Manche seien sogar aggressiv geworden, pöbelten Funktionäre in der Stadt an und machten ihrem Unmut über die kritische Haltung zu dem Trainer Luft. Auch Anwalt Diestel liegen solche Berichte vor.

Ein hochrangiger Sportfunktionär, der seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht nennen wollte, erzählte den PNN, dass er von Mitarbeitern, von Übungsleitern und sogar von Berliner Trainern über übergriffiges Verhalten Kollers etwa bei Wettkämpfen informiert worden sei. Er glaubt, den Grund dafür zu kennen, dass manche Eltern stillhielten: „Sie bewundern ihn, sie meinen, dass er ihren Mädchen den Weg zu Olympia ebnet.“ Es waren auch Eltern, die nach Kollers Ausflug zum Nacktbaden am Templiner See behaupteten, sie hätten den zehnjährigen Mädchen erlaubt, sich ablichten zu lassen. „Manchmal denke ich, die gehören einer Sekte an“, sagt der Funktionär.

Wenn sein ehemaliger Verein Ausrichter von Sportveranstaltungen sei, sagt der Sportsmann, „hat dieser Trainer immer Hallenverbot. Wir kontrollieren das, und wenn wir ihn sehen, wird er aussortiert.“

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