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IASS legt Studie zum Bevölkerungsrückgang vor, der Brandenburg vor allem in den Randregionen betrifft
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Weniger ist Zukunft, so lautet ein Slogan der Städtebauausstellung Sachsen-Anhalts. Das hat sich Klaus Töpfer, der Gründungsdirektor des Potsdamer Institute for Advanced Sustainabilty Studies (IASS), gemerkt. Es passt zu der umfangreichen Studie, die sein Institut zusammen mit dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in diesen Tagen vorgelegt hat. Es geht um die Frage, was der Bevölkerungsrückgang für die Versorgung der ländlichen Regionen bedeutet.
Die Studie hat Sprengkraft, schließlich empfehlen die Experten, dass der Passus der Gleichwertigkeit von Stadt und Land aus dem Grundgesetz genommen werden soll. Nach dem in Deutschland geltenden Prinzip der Gleichwertigkeit solle es in allen Regionen des Landes gleichwertige Lebensverhältnisse geben. Doch das werde durch die zunehmende Entvölkerung ländlicher Räume immer schwieriger und zu teuer. Man müsse sich auch damit beschäftigen, dass nicht jedes Dorf erhalten werden kann.
Die Vorstellung einer einheitliche Versorgung von Stadt und Land stehe dringenden Alternativkonzepten für die Versorgung im dünn besiedelten Raum im Weg. Für den früheren Bundesumweltminister Töpfer (CDU) ist das auch eine Frage der Umweltpolitik und Nachhaltigkeit. Schließlich sei es unsinnig, auf dem Land Flächen und Ressourcen genauso zu nutzen wie in den dicht besiedelten Städten. Daher gelte es nun, auch einige heilige Kühe zu schlachten – etwa was Mindestschülerzahlen, das Personenbeförderungsgesetz oder den Anschluss- und Benutzerzwang beim Abwasser betreffe.
Der demografische Wandel führt nach Ansicht der Wissenschaftler zu immer höheren Versorgungskosten in ländlichen Regionen. „Je weniger Menschen in einer Region leben, desto teurer wird die Versorgung“, erklärte Reiner Klingholz, Direktor vom Berlin-Institut. „Wir müssen uns vom Anspruch der Gleichwertigkeit verabschieden und alternative Modelle finden“, fügte Töpfer hinzu. Wo nur noch wenige Personen leben und junge Menschen abwandern, lohne es sich nicht, zentralisierte Abwasserentsorgungsanlagen zu betreiben, neue Straßen zu bauen oder den Linienverkehr aufrechtzuerhalten. Stattdessen schlagen die Forscher mobile Arztpraxen, flexible Verkehrskonzepte oder Fernschulen vor, im Extremfall sogar Entsiedelungskonzepte. Wobei es nicht um verordnete Umsiedelungen gehe, betonen die Autoren. Aber man könnte Menschen in sterbenden Dörfern freiwillige Angebote unterbreiten, ihnen beim Umzug in die nächste Kreisstadt helfen, ihnen klarmachen, dass dort die soziale Infrastruktur besser ist, die Wege kürzer sind.
Töpfer will nicht falsch verstanden werden. Es gebe auch Chancen und Perspektiven für den ländlichen Raum, natürlich würden sich auch auf dem Land attraktive Orte finden. Diese müsse die Forschung in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Protagonisten herausarbeiten. Bereits im Vorfeld der Studie hatten die Wissenschaftler eng mit den Protagonisten vor Ort zusammen gearbeitet. Was gut ist, müsse bleiben – und wachsen. Dafür würden sich Regionalbudgets besonders eignen. Die Kommunen vor Ort könnten damit entscheiden, was mit den Fördermitteln geschieht. Und wenn sie damit Erfolg haben, sollte die Förderung weiterlaufen.
Die Anpassung der ländlichen Regionen an den Bevölkerungsschwund sei unabdingbar. Denn das Schrumpfen ist nach Ansicht der Experten in vielen Gebieten unumkehrbar, niedrige Geburtenraten lassen die Dörfer ausbluten, Bildung und wissensbasierte Jobs würden junge Menschen in die Großstädte ziehen, die schlechter werdende Infrastruktur tue ihr Übriges. Die Forscher geben Handlungsempfehlungen. Etwa bei der Mobilität: Hier sollten Fahrrad, PKW, Busse und Bahnen stärker miteinander vernetzt werden. Personentransport auf dem Lande müsse flexibler gestaltet werden, Busse seien auf dem Land oft schlecht erreichbar, die Forscher schlagen daher privat organisierte Fahrdienste vor. Zudem würden neue oder größere Straßen in demografisch schrumpfenden Gebieten nicht gebraucht, kaum genutzte Verbindungsstraßen könnten zurückgebaut werden.
Auch für die soziale Infrastruktur haben die Wissenschaftler weitreichende Vorschläge. Die Grundschulbildung müsse in der Fläche erhalten bleiben, da sie für Familien mit kleinen Kindern eine Grundlage für das Leben auf dem Land sind. Dabei sollten aber multifunktionale Schulen oder auch Zwergschulen möglich werden, mit jahrgangsübergreifendem Lernen, fahrenden Klassenzimmern, pendelnden Lehrern und tageweisem Teleunterricht. In der medizinischen Versorgung präferieren die Experten, dass nicht-ärztliche Praxisassistenten und mobile Arztpraxen die ärztliche Untersuchung ergänzen sollen.
Im Bereich der Energie schlagen die Autoren unter anderem eine nationale Koordinierung der Netzfinanzierung vor, damit die Energiekosten nicht ausgerechnet in den Regionen steigen, in denen die regenerativen Energien – Wind, Sonne – erzeugt werden. Im Bereich des Abwassers werden beispielsweise dezentrale Kleinklärwerke favorisiert, auch sollten für noch nicht erschlossene Haushalte dezentrale Optionen überprüft werden.
In Brandenburg betrifft das Problem des Bevölkerungsrückgangs vor allem die Randregionen. Potsdam, Potsdam-Mittelmark und der Speckgürtel um Berlin hingenen werden weiter wachsen. Havel-Fläming gehört bundesweit zu den fünf Regionen, für die bis 2030 sogar mit einem Zuwachs an unter 20-Jährigen gerechnet wird. Bei den Schulen erwartet Brandenburg nach eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zwischen 2009 und 2030 insgesamt einen Rückgang der 6- bis 9-jährigen Schüler um 14 Prozent (nur Berlin und Hamburg verzeichnen hier ein Plus von 12 bis 14 Prozent)
Für die Brandenburger Grünen-Politikerin Marie Luise von Halem, die in der Demografie-Kommission des Bildungsministeriums tätig ist, geht die IASS-Studie in die richtige Richtung. Denn das Thema werde in Brandenburg gerade auf der kommunalen Eben doch meist ausgeblendet. Viele Lokalpolitiker seien zu blauäuig, sie würden davon ausgehen, dass es im eigenen Dorf nicht so schlimm kommen werde. Regionalpolitiker würden immer noch denken, dass die Entwicklung aufzuhalten sei, anstatt zu fragen, wie der Wandel gestaltet werden könne. Den Ansatz von lokaler Budgetförderung vor Ort befürwortet die Grünen-Politikerin. In den betroffenen Regionen müsse es einen Perspektivwechsel geben.
Der Umweltexperte Klaus Töpfer sieht in dem nötigen Perspektivwechsel nicht nur eine Chance für die hiesigen Problemregionen. Denn die Entwicklung von schrumpfenden Randregionen und wachsenden Städten gebe es mittlerweile weltweit. Konzepte aus Deutschland könnten somit Modellcharakter für andere Länder bekommen.
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