Landeshauptstadt: „Theater bis in die kleinsten Orte bringen“
Frank Reich über Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit Freier Theater in Brandenburg
Stand:
Das Land Brandenburg hat sechs moderne Theaterhäuser, vier feste Ensemble und über 20 professionelle Freie Theater. Ist das nicht ein bisschen viel des Guten?
Das hängt davon ab, womit das viele Gute verglichen wird. Fakt ist, das aus unterschiedlichen Gründen die sechs Stadttheater in Brandenburg seit 1991 kontinuierlich Sparten und Mitarbeiter abbauen. Ohne erkennbare Gegenbewegung. Anfang diesen Jahres erklärte das Brandenburger Theater, Musiktheaterproduktionen für den Theaterverbund nicht mehr bereitstellen zu können.
Auf der inhaltlichen Seite Einsparungen aber in die Hüllen, die Häuser wird investiert.
Seit dem Zusammenbruch der DDR sind in Brandenburger Theaterbauten dreistellige Millionenbeträge investiert worden. Nicht nur in Stadttheater sondern auch in Freie, wie das T-Werk in Potsdam. In den Häusern muss jetzt auch was passieren. Wer denkt, dass er Publikum dauerhaft mit oberflächlichen Gags, Phrasen und bekannten Vorurteilen begeistern kann, der irrt. Glaubhafte Figuren und argumentationsstarke, geistreiche Auseinandersetzungen in einem geschützten Raum. So stelle ich mir Theater vor.
Können Freie Theater das eher leisten?
Bei uns hat die Aussage des Brandenburger Theaters, keine Musiktheaterproduktionen mehr anzubieten, zumindest zu Überlegungen geführt, wie in Brandenburg trotzdem zu zumutbaren, bezahlbaren Konditionen Musiktheater produziert werden und dann auch auf Tournee gehen kann.
Haben diese Überlegungen schon zu konkreten Vorhaben geführt?
Da wäre das Theater I Confidenti mit „La Pastorale a Sanssouci“, das ab Mitte Mai im Schlosstheater im Neuen Palais zu sehen ist. Das T-Werk, das Theater 89, das Poetenpack und das Event-Theater in Brandenburg können das auch, denn die haben schon Musiktheater in kleiner Form auf die Bühne gebracht.
Mit welchem Ziel wurde der Verband Freier Theater in Brandenburg gegründet?
Zum ersten Versuch Berlin und Brandenburg zu fusionieren, kamen Aufforderungen aus der Landespolitik und Verwaltung uns zu organisieren. Wir gründeten 1995 zusammen mit Aktivisten aus Cottbus und Frankfurt an der Oder den Landesverband. Später stießen Theatergruppen aus der Stadt Brandenburg und anderen Landesteilen hinzu. Aus anfänglich zwölf Theatern sind fast zwanzig geworden. Die Fusion Berlin-Brandenburg scheiterte zwar 1996, aber wir sahen gute Chancen, unsere Positionen durch gemeinsames Agieren weiter zu stärken. 1998 erhielten wir dann die Geschäftstellenförderung.
Was unterscheidet ein Freies Theater von einem festem Ensemble?
Das sind unterschiedliche Organisations- und Arbeitsformen. Die Aufführungen sind fast immer kleiner. Es gibt hervorragende Aufführungen von festen Ensembles wie von Freien und es gibt genauso mittelmäßiges und schlechtes.
Mehr Unterschiede gibt es nicht?
Die qualitative Trennung zwischen den etablierten Theatern in städtischen Strukturen und den Freien Theatern ist überholt. Spätestens seit sich immer mehr städtische Theater Ideen und Produktionsbedingungen bei den Freien Theatern abgucken. Ungewöhnliche Orte bespielen, neue Arbeitsverhältnisse erproben, kleinere Inszenierungen, die mobiler sind auf den Weg bringen, das sind alles Strategien, die den Freien Theatern das Überleben unter schwierigen Bedingungen ermöglicht haben.
Werden diese Strategien der Freien Theater in Brandenburg auch mit entsprechenden Besucherzahlen belohnt?
Wir hatten in der letzten Spielzeit 143 796 Besucher in 1832 Vorstellungen. Damit sind ein Viertel der Brandenburger Theaterbesucher zahlende Gäste in Freien Theatern.
Mit rund einer Millionen Euro werden Freie Theater vom Land Brandenburg jährlich gefördert. Ist das genug?
Es ist nicht genug.
Das Kulturministerium spricht aber davon, dass es vorbildlich sei, wie Freie Theater im Land Brandenburg strukturell und finanziell gefördert werden.
Das Land Brandenburg gibt im Vergleich mit anderen Bundesländern viel Geld für Freie Theater aus. Man darf aber nicht vergessen, dass die Veränderungen im Brandenburger Theatersystem nach 1989 so gravierend waren, dass man die Verluste nur durch kräftige, vor allem finanzielle Impulse zur Gründung freier Theatergruppen kompensieren konnte. Die Städte sind, bis auf Potsdam, da wurde dafür das Orchester abgewickelt, nicht in der Lage ihre bisherigen Theaterstrukturen aufrecht zu erhalten.
Was bedeutet das für die Arbeit der Freien Theater?
Brandenburg ist ein Flächenland mit schrumpfenden Städten. Eine Ausnahme ist Potsdam, das sich durch die Nähe zu Berlin in einer besonderen Situation befindet. Unsere Aufgabe besteht darin, Inszenierungen bis in die kleinsten Orte zu bringen. Das Arbeiten in der Fläche bedeutet aber mehr Aufwand. Gleichzeitig haben die kleineren Gemeinden in der Regel keine eigenen Mittel, um eine professionelle Inszenierung zu finanzieren. Auch ist dort für Gastspiele fast gar kein Geld vorhanden. Hier gibt es eine Lücke zwischen Interesse, Angebot und Finanzierung. Das bereitet uns die größten Sorgen.
Gibt es Unterschiede in der Förderung innerhalb der Freien Theaterszene?
Die gibt es. Einige Theater erhalten Betriebskostenförderung und andere Einzelprojektförderung. Jeder ist zunächst höchst erfreut über jede Förderung merkt dann aber das beispielsweise eine Betriebskostenförderung Grenzen in der künstlerischen Arbeit und aus einer Einzelprojektförderung sehr schwer ein Jahresprojekt gestemmt werden kann. Bei Gastspielen, außer den vom Land geförderten, zahlen wir eigentlich immer zu. Auch da gibt es Handlungsbedarf.
Spricht man mit den Machern der Freien Theater, ist oft die Rede von Idealismus und Selbstausbeutung. Ketzerisch gefragt: Gehört das nicht zum Prinzip eines Freien Theaters?
Anerkennung muss auch finanziell spürbar sein. Das gehört zum Fördern und Fordern. Wir übernehmen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und tragen maßgeblich zur Attraktivität Brandenburgs bei. Ein Freies Theater zeichnet sich durch die Organisationsform und die Arbeitsstruktur aus. Trotzdem sind hier in vielen Fällen Profis engagiert, die die Herausforderung dieser Arbeitsweise als Bereicherung sehen und das entstehen von herausragenden Inszenierungen mittragen. Es gibt keinen Grund diese Leistung schlechter zu vergüten als in herkömmlichen, städtischen oder staatlichen Strukturen.
Ein viel benutztes, aber leider nicht eindeutig definiertes Wort ist Kulturwirtschaft. Gibt es da schon Erfahrungen bei Freien Theatern in Brandenburg?
Ich würde Kulturförderung und Kulturwirtschaft nicht vermischen. Die Möglichkeiten für ein Freies Theater neben dem Spielbetrieb kulturwirtschaftlich relevante Dienstleistungen anzubieten sind äußerst begrenzt.
Das heißt konkret?
Stellen Sie sich vor, ein junger Schauspieler steht für Proben und Aufführungen an vier Tagen in der Woche auf der Bühne. Gleichzeitig soll er seine „Solokarriere“ als Alleinunterhalter oder Clown in Angriff nehmen und zum wirtschaftlichen Erfolg führen, in dem er bei Betriebsfeiern, Vereinsfesten oder Themenmärkten auftritt. Eine der beiden Aktivitäten oder beide werden zwangsläufig nicht professionell sein können. Theater braucht Förderung, besonders auch um vor den Auswirkungen wachsender Kommerzialisierung zu schützen und einen Freiraum zu geben, in dem auch ungewöhnliche Ideen versucht werden.
Also nutzt Kulturwirtschaft dem Künstler im Freien Theater wenig?
Die Kulturwirtschaft ist trotz der Probleme ein Feld, auf dem es eine Anzahl Möglichkeiten gibt als Kulturschaffender seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Förderprogramme wie beispielsweise Innopunkt, mit dem freischaffende Künstler und Vereine unterstützt und Kooperationen zwischen Kunst und Wirtschaft gefördert werden sollen, haben dies erfolgreich bestätigt.
Das Gespräch führte Dirk Becker
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