Landeshauptstadt: Toleranz-Sorgen
Die Aktion der Neufassung des Edikts von Potsdam hat noch Akzeptanzprobleme. Dies soll sich ändern
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Potsdams Toleranz-Verkünder braucht manchmal selbst viel Toleranz. Drei Monate nach Beginn der stadtweiten Diskussion um die Neufassung des historischen Potsdamer Toleranzedikts muss Initiator Heinz Kleger nach viel Lob nun auch kritische Stimmen ertragen. Die Aktion werde „absolut folgenlos“ bleiben, sie sei bloße „Bewusstseinsgymnastik“, lästerte die Monatszeitung der Potsdamer Linken. Und eine andere Journalistin unterstellte dem Politologen gar, die Kampagne für das Edikt sei eine „Marketing- Kopfgeburt“, eine Aktion, „die einzig den akademischen Kurswert Klegers mehrt, nicht den Nutzen der Stadt.“
Kleger reagiert auf solche Kritik zur Zeit nicht offiziell. Dennoch spricht der Potsdamer Universitäts-Professor inzwischen öffentlich von diesem Monat als der „Nagelprobe“ für die Kampagne. Kleger und sein Team von der Agentur „medienlabor“ wollen nun besonders in die Potsdamer Plattenbaugebiete gehen und die Menschen dort animieren, sich an der bundesweit einmaligen Toleranzdiskussion zu beteiligen. „Das muss uns gelingen“, sagt der 55-Jährige, der seit einem viertel Jahr mit seinen Gedanken versucht, die Aktion zu prägen.
Denn den Ansatz für die Neufassung des Edikts hat Kleger erfunden. Es soll nicht wie in der historischen Version funktionieren, als auf Fürstens Gnaden hin in Frankreich verfolgte Hugenotten ohne Angst nach Brandenburg aussiedeln konnten – das neue Edikt soll von den Potsdamern selber kommen. Der Stifterverband der Deutschen Wissenschaft gibt dafür 35 000 Euro, ProPotsdam 5000 Euro, die Stadt stellt Sachleistungen.
Kern des neuen Edikts sollen dabei so genannte Selbstverpflichtungen zur Toleranz von Potsdamer Gruppen oder Institutionen sein. Zusätzlich will der Professor seine Beobachtungen nach der Aktion aufschreiben, worin auch die Reaktionen der Potsdamer einfließen sollen – eine Art „Fremdenführer“ und „Spiegel“ der Stadt. Mit diesem Text und den Selbstverpflichtungen soll im Herbst eine Broschüre erscheinen – das neu geschriebene Toleranzedikt. Zum Mitnehmen, für Neubürger, anders als typischer „Preußenkitsch“, sagt Kleger. Lange schon habe er diesen Ablauf der Kampagne so im Kopf gehabt. Hinter vorgehaltener Hand gibt es aus seinem Team bereits Kritik daran, dass die Stadtverwaltung das Projekt „Toleranzedikt“ zunächst als ergebnisoffenes „Experiment“ mit ungewissem Ausgang verkaufte.
Vielleicht liegt es auch daran, dass Kleger und sein Team rein zahlenmäßig bisher noch nicht allzu viel vorzuweisen haben. Bis vergangene Woche gab es erst drei der Toleranz-Selbstverpflichtungen – ein Ringer-Verein, der Ausländerbeirat und die Grünen. Gestern kam der Verein Opferperspektive noch dazu. Dazu sind erst rund 800 von zehntausenden Postkarten an die Medienagentur zurückgeschickt worden. Im Online-Diskussionsforum gibt es 80 Teilnehmer. Zumindest aber im „medienlabor“ haben die Angestellten zu tun: Sie schreiben die Sprüche von den schmucklosen Toleranz-Diskussionstafeln ab, die vielerorts noch bis Mitte Juni stehen – und die wie am Bahnhof schon schnell vollgeschrieben waren.
Auch andere „positive“ Ansätze, wie er sich „das Seminar mit der Stadt“ vorstellt, hat Kleger an den vergangenen beiden Wochenende gesehen. Fast pausenlos war er unterwegs, ehrenamtlich neben seinem Beruf als Professor. Ein Termin war im Haus der Generationen und Kulturen am Milanhorst. Ein kleines Fest fand dort statt. Und die bis dato leere Tafel, auf der Menschen ihre Gedanken zur Toleranz in Potsdam verfassen sollen, war schnell voller Sätze. „Kluge Gedanken haben die Leute da.“ Kleger gibt das Mut, sagt er. Denn gerade die Neubaugebiete seien wichtig – schon weil im Schlaatz, in den Waldstädten, in Stern und in Drewitz rund 50 000 Potsdamer wohnen, ein Drittel der Stadtbevölkerung. Gleichzeitig gelten die sozialen Bedingungen dort als am Schwierigsten. „Ich möchte diese Stadtteile bewusst nicht als Problemgebiete sehen“, sagt Kleger. Das will er klar machen.
Denn einfach ist es offenbar nicht, die zentrale Botschaft der oft abstrakt wirkenden Toleranzedikt-Aktion zu erklären: Einen Weg zu finden, trotz aller Unterschiede innerhalb der Stadt noch friedlich miteinander zu reden und sich in andere Menschen hineinversetzen zu können. „Schon so ein kleiner Nenner ist nicht selbstverständlich“, sagt Kleger.
Zu dieser Erkenntnis genügt ein Blick auf die Toleranz-Tafeln im Stadtgebiet. „Warum müssen wir uns ansehen, dass reiche Westdeutsche unsere Stadt“ wegkaufen“?“, hat jemand auf die Tafel im Markt-Center in der Innenstadt geschrieben. Die gefühlte Schere zwischen Reich und Arm ist nicht der einzige Aufreger. In Drewitz im Havel-Nuthe-Center steht schlicht: „Faustrecht! Nazis aufs Maul.“
Auch ganz real sprießt scheinbar die Intoleranz. Zwei Beispiele aus dem Potsdamer Mai: Eine Massenschlägerei vor einem Döner am Monatsanfang, „Scheiß Türken“-Rufe. Am Monatsende verjagen linke Studenten die Chefin des Bundes der Vertriebenen aus der Universität, als Erika Steinbach dort eine Vortragsreihe beginnen sollte. Und mittendrin beginnt ein harter Wahlkampf zwischen SPD und den Linken. Eine aufgeheizte Stimmung, um über Toleranz zu sprechen. Und für Kleger das Feld seiner Beobachtungen für den Schlusstext des Edikts: „Die Analyse über Potsdam wird Ecken und Kanten haben, da werde ich nicht harmonisieren.“ Ein wenig klingt das wie eine Drohung.
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