Landeshauptstadt: „Toleranzprobleme in einer wachsenden Stadt“ Politologe Heinz Kleger zieht Bilanz: Vor fünf Jahren hat er das neue Toleranzedikt veröffentlicht
Herr Kleger, vor fünf Jahren haben Sie nach Auswertung eines stadtweiten Gesprächsprozesses ein neues Toleranzedikt für Potsdam veröffentlicht, ein danach benannter Verein engagiert sich seit 2009 für eine weltoffene Stadt. Doch geht es in Potsdam nun tatsächlich toleranter zu?
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Herr Kleger, vor fünf Jahren haben Sie nach Auswertung eines stadtweiten Gesprächsprozesses ein neues Toleranzedikt für Potsdam veröffentlicht, ein danach benannter Verein engagiert sich seit 2009 für eine weltoffene Stadt. Doch geht es in Potsdam nun tatsächlich toleranter zu?
Ich kann vor allem einen Kontrast zu den 90er Jahren entdecken. Mit Projekten wie dem Toleranzedikt oder auch dem Landesprogramm „Tolerantes Brandenburg“ hat sich das gesellschaftliche Klima deutlich verändert, in dem zwar fremdenfeindliche Vorfälle nicht verschwunden sind, aber die sichtbare Gegenwehr deutlich zugenommen hat. In Potsdam geht es inzwischen nicht mehr nur um die defensive Abwehr von Rechtsextremismus, sondern ebenso um das aktive Bemühen für ein tolerantes Miteinander in verschiedenen Hinsichten. Da sind Fortschritte gemacht worden.
Ein typischer Streitpunkt ist der Umgang mit Rechtsextremismus. Ein Sinn des Toleranzediktes ist es, das Nicht-Tolerierbare klar zu benennen. In den vergangenen Monaten haben linke Antifa-Gruppen mehrfach darauf hingewiesen, dass in unterklassigen Potsdamer Sportvereinen auch Neonazis trainieren – und deren Namen und Bilder veröffentlicht. Ist das tolerabel?
Einerseits sind die Informationen, die linke Antifa-Gruppen veröffentlichen, nützlich. Doch das Dämonisieren allein reicht nicht aus. Denn für diese jungen Männer müssen auch Wege offen stehen, auf denen sie umkehren können. Man muss im Gespräch bleiben, solange das geht. Gerade in Sportvereinen ist so etwas möglich, zumal es funktionierende Beratungsangebote zum Thema Sport und Rechtsextremismus gibt.
Können Sie Beispiele nennen, wie sich das Toleranzedikt in Potsdam niederschlägt?
Erinnern Sie sich an die Demonstration gegen die rechtsextreme NPD am 15. September 2012? Damals rief der Oberbürgermeister zu friedlichem Protest auf, die NPD klagte dagegen, weil damit die Neutralitätspflicht der Stadt verletzt werde. Doch das Oberverwaltungsgericht lehnte diese NPD-Beschwerde ab – unter Verweis auf das Toleranzedikt, wonach ein friedlicher Protest für jedermann ein gerechtfertigtes Anliegen ist. Damit hat sich in dieser Frage erstmals eine Kommune gegen die NPD durchgesetzt.
Welche praktischen Wirkungen des Toleranzedikts gibt es noch?
Solche komplexen Handlungskonzepte lassen sich nicht nach dem einfachen linearen Prinzip von Ursache und Wirkung auswerten. Ihr Sinn und Wert liegt eher darin, Orientierungswissen zu schaffen. Dieses Jahr haben wir das Toleranzedikt als Stadtgespräch fortgesetzt – mit Diskussionen über Graffiti im öffentlichen Stadtraum und der Problematik der Wohnungsunterbringung von Flüchtlingen. Das Netzwerk des Neuen Toleranzedikts besteht inzwischen aus vielen Mitgliedern, die nicht nur miteinander diskutieren, sondern in ihren Bereichen auch etwas bewegen können. Sie schaffen ein milieuübergreifendes Stadtgespräch – dabei kommt es auch nicht auf ihre absolute Zahl an, sondern auf Multiplikatoren in verschiedenen Stadtteilen und gesellschaftlichen Bereichen.
In fünf Jahren müssen sie sicherlich wieder Bilanz ziehen. Was wünschen Sie sich?
Ich bin schon zufrieden, wenn das Fragezeichen hinter dem bezeichnenden Titel „Wachsende Stadt – wachsende Toleranz gegenüber Flüchtlingen?“ etwas kleiner wird. Eine relativ reiche Stadt wie Potsdam kann sich mehr leisten und sich frühzeitig besser auf weiter steigende Flüchtlingszahlen einstellen, die absehbar sind. Es gibt viele Toleranzprobleme in einer wachsenden Stadt, welche die Versprechen der Urbanität – Infrastruktur, Arbeitsplätze, Konsum, Kultur und Vielfalt – einlösen will. Das alles zugleich zu gewährleisten, ist schwierig. Diese Versprechen werden oft enttäuscht, woraus dann typisch urbane Konflikte resultieren.
Die Fragen stellte Henri Kramer
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