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Sport: Training erst auch im erwärmten Eisloch

Der SC Potsdam blickt auf eine bewegte Historie und große sportliche Erfolgen zurück

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Horst Mühlberg kann sich noch ganz genau an die Anfänge erinnern. Mühlberg gehört nämlich zu den Gründungsmitgliedern des SC Potsdam, der am kommenden Sonntag mit einer großen Party im Kirchsteigfeld (siehe rechts) seinen 50. Geburtstag feiert. Der Klub war am 8. Februar 1961 gebildet worden, da die damalige DDR-Sportführung Änderungen ihres Nachwuchs- und Leistungssportsystems für erforderlich hielt, wurde 1969 aber wieder aufgelöst und 1994 erneut gegründet.

Aus drei Sektionen bestand der „alte“ SC Potsdam: Leichtathletik, Kanu und Fußball. Die Fußballer kamen von Rotation Babelsberg und der ASG Vorwärts Potsdam, aus Ludwigsfelde, Luckenwalde, Magdeburg und Erfurt, die Leichtathleten aus Brandenburg sowie verschiedenen Sport- und Betriebssportgemeinschaften des Umlands, die Kanuten ebenfalls von Rotation Babelsberg sowie aus Neubrandenburg, Sachsen und der Magdeburger Börde.

So wie Horst Mühlberg, der als Kanu- Trainer aus Bernburg an die Havel zog. „Anfangs waren wir in einem Bootshaus Rotation Babelsbergs direkt neben der Glienicker Brücke untergebracht, aber als wir am 13. August 1961 von einer Regatta aus Knappenrode zurückkamen, war die Grenze dicht – und auch unser Bootshaus, aus dem wir erst ein paar Tage später noch die wichtigsten Dinge holen durften“, erinnert sich Mühlberg, in Kanu-Kreisen vor allem unter seinem Spitznamen Mike bekannt. Die Paddler bekamen eine Baubaracke nahe des Luftschiffhafens zugewiesen, „bei der der Wind durch die Ritzen pfiff, bis wir sie uns nach und nach eingerichtet hatten“, so Mühlberg. Im Winter trainierten seine Schützlinge in einem Eisloch, das mit einer Plane überdeckt war und mit Heizstrahlern etwas erwärmt wurde. Trotz dieser Bedingungen gelangen den Potsdamer Paddlerinnen bald nationale und auch internationale Erfolge. 1965 wurde Renate Strebelow in Bukarest Junioren-Europameisterin im Einerkajak und Zweite im K2, im Jahr darauf gewannen Anita Kobus und Helga Ulze – die später Horst Mühlberg heiratete – in Berlin den Weltmeistertitel im Zweierkajak. Kobus kam drei Jahre später gemeinsam mit Karin Haftenberger bei den Olympischen Spielen in Mexiko im K2 auf Platz fünf. Insgesamt sieben Titel und vier weitere Medaillen erpaddelten sich die SC-Kanutinnen bei WM und EM der Leistungsklasse und Juniorinnen, ehe die Sektion Mitte Juni 1969 in den damals schon ebenfalls im Luftschiffhafen beheimateten Armeesportklub (ASK) Vorwärts Potsdam eingegliedert wurden. Horst Mühlberg und seine Frau Helga gingen aus persönlichen Gründen zunächst zum SC Empor Rostock, ehe sie 1986 nach Potsdam zurückkehrten.

Schon drei Jahre vor der Kanu-Sektion war für die Fußballer wieder Schluss mit dem Kapitel SC Potsdam. „1965 wurden in der DDR aus den SC-Abteilungen Fußballklubs gebildet, aber weil wir nicht den angestrebten Aufstieg in die Oberliga geschafft hatten, kamen wir im Sommer zu Motor Babelsberg“, erinnert sich Dietrich Wendorff, der als junger Torwart bei Rotation Babelsberg gelandet war und ab 1961 unter anderem mit Werner Pooch, Klaus Benkert, Siegfried Alderman, Edgar Borowietz und Erhart Kochale in der DDR-Liga spielte. „Damals stand schon zweimal Training am Tag im Vordergrund“, berichtet der inzwischen 75-jährige Wendorff. Die Anstellung bei Betrieben erfolgte vorrangig zur materiellen Absicherung der Kicker. 1961/62 wurde unter Trainer Hans Schöne Tabellenplatz vier erreicht – so gut stand der SC in den folgenden Jahren als Zwölfter, Achter und Neunter nie wieder da. „Obwohl wir immer das Ziel Aufstieg hatten“, so Wendorff, der bis 1970 bei Motor im Kasten stand.

So gut wie die Fußballer hatten es die Leichtathleten des SCP nicht. „Wir mussten damals noch vormittags vier Stunden arbeiten, ehe wir nachmittags trainierten. Ich war in der EDV-Abteilung des Babelsberger Karl-Marx-Werkes tätig“, erzählt Burglinde Grimm (60), die unter ihrem Mädchennamen Pollack eine international sehr erfolgreiche Fünfkämpferin wurde, als ASK-Leichtathletin drei Weltrekorde aufstellte und sowohl 1972 als auch 1976 jeweils Olympia-Bronze gewann; zwischen 1971 und 1978 wurde sie dreimal in Folge Europameisterin. Ihren ersten großen Erfolg hatte sie 1968, als sie bei den Europäischen Juniorenspielen in Leipzig für den SCP Gold gewann; zwei Jahre vorher hatte 400-Meter-Läufer Jochen Both schon Bronze mit der Staffel bei den Europameisterschaften in Budapest erobert. „Ich kann mich noch gut an das Training auf der Aschenbahn des Ernst- Thälmann-Stadions erinnern“, so Burg- linde Grimm, die als selbständige Physiotherapeutin daheim in Priort tätig ist.

Burglinde Pollack wechselte ebenso wie Ellen Strophal (dann Streidt, später Wendland) – die 1976 in Montreal Olympia-Dritte über 400 Meter wurde und mit der Staffel Gold gewann – und den anderen Leichtathleten im Sommer 1969 zum ASK Vorwärts. Da es mittlerweile auch dort Leichtathleten und Kanuten gab und die Konkurrenz durch mehrere Sportclubs im nahen Berlin noch verschärft worden war, wurde der SC Potsdam aufgelöst. „Der ASK hatte fast nur Männer und brauchte für den Klubpokal auch starke Frauen“, berichtet Roswitha Berndt (57), die unter ihrem Mädchennamen Walden beim SCP und dann beim ASK Hürdensprinterin war. „Mit Polli, Ellen Streidt, Rita Kirst, Gabi Hinzmann und Evelin Schlaak waren wir dann eine schlagkräftige Truppe.“ Walden wurde eine der besten DDR-Hürdensprinterinnen und schaffte es bis in die Nationalmannschaft, ehe sie 1978 dem Sport adé sagte. Am 4. Januar 1979 brachte sie einen kleinen Jungen zur Welt, der heute zu den Aushängeschildern des wiedergegründeten SC Potsdam gehört: Kevin Kuske. „Mit ihm schließt sich der Kreis“, freut sich Roswitha Berndt, die am Potsdamer Oberstufenzentrum I tätig und inzwischen wieder Mitglied des SC ist.

„Meine Mutter war immer mein Vorbild“, sagt Kevin Kuske, der als Fünfjähriger bei der damaligen SG Dynamo Potsdam zu rennen begann und mit deren Leichtathleten nach der Wende den Weg über den Polizeisportverein (PSV) zum SC mitging, 1998 in Annecy mit der Sprintstaffel Junioren-WM Bronze gewann und verletzungsbedingt zum Bobsport wechselte, in dem er zum vierfachen Olympiasieger avancierte (siehe auch Kasten).

Zu Kuskes Trainern bei Dynamo gehörte Peter Rieger, als aktiver Weitspringer des ASK auf dem Weg zu Olympia, ehe er sich verletzte, den aktiven Sport beendete und ab 1982 Coach im Trainingszentrum Dynamos wurde. „Nach der Wende hat sich unsere Leichtathletikabteilung mit über 400 Aktiven – darunter 150 Kindern – und dem Jugendclubprojekt Offline 1994 vom PSV getrennt, weil wir eigene Vorstellungen hatten“, blickt Rieger (58) zurück. „Und da es in den Sechziger Jahren Leichtathleten beim SC gegeben hatte, haben wir diesen Verein neu ins Leben gerufen.“ Anfang 1995 kamen die Volleyballerinnen und Rhythmischen Sportgymnastinnen des PSV dazu, später vom ASK-Nachfolger OSC auch die Leichtathleten, mit denen es zwischenzeitlich eine LG gegeben hatte, und die Turner. Der „neue“ SC Potsdam mauserte sich zum größten Sportverein der Stadt und derzeit zweitgrößten des Landes nach dem in Cottbus ansässigen Brandenburger Präventions- und Rehabilitations-SV. „Wir selbst sehen uns als größten richtigen Sportverein des Landes“, erklärt Peter Rieger dazu.

Roswitha Berndt freut sich über „die ordentliche Entwicklung des Klubs, bei dem ich mal selbst aktiv war“. Sie wird am Sonntag bei der Geburtstagsparty im Potsdamer Kirchsteigfeld dabei sein, ebenso wie ihr Sohn Kevin und viele einstige Weggefährten und Asse verschiedener Sportarten. Auch Dietrich Wendorff ist eingeladen und will ebenso kommen wie der jetzt 84-jährigeHorst Mühlberg, der den SC vor 50 Jahren mitgründete. (mit G. P.)

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