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Von Klaus Büstrin: Trauerarbeit ist schwere Arbeit

Verwaiste Eltern gestalten morgen einen Gedenkgottesdienst für ihre verstorbenen Kinder

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Auf dem Hof liegen Roller, Auto, Schippe und was man sonst für das Spielen benötigt. Es liegt so da, als ob das Kind seine Beschäftigung nur kurz unterbrochen hat. Enno wird, wenn seine Mutter ihn aus dem Kindergarten abgeholt hat, sicherlich wieder der beste Autofahrer auf dem Hof sein. Manchmal fahren Mutter und Sohn gemeinsam zum Friedhof nach Bornstedt. Dort findet er bunte Windmühlen, die ihn begeistern. Sie schmücken das Grab seiner Schwester Hanna. Der zweieinhalbjährige Enno hat sie nie kennen gelernt. Die Ruhestätte soll wie ein Zimmer im „Haus“ von Eltern sein. Ein guter Ort der Erinnerung.

Katrin Busch hat Hanna nicht lebend zur Welt gebracht. Noch kurz vor der Geburt attestierte ihr der Arzt ein gesundes Kind. „Ich war eine stolze Mutter. Unendlich glücklich, dass ich mein erstes Kind gebären kann. Und das Erleben der Geburt war wunderbar“, erzählt Katrin Busch. Doch der 1. März 2005 wurde nicht nur der Geburts-Tag für Hanna, sondern auch der Sterbe-Tag. Todesursache: Plazentainsuffizienz. Das einzige Foto von dem Baby befindet sich im Wohnzimmer. Wie eine sanft Schlafende liegt es in seinem Bettchen. „Ich war froh, dass ich Hanna noch in den Arm nehmen konnte, dass Pfarrerin Behrmann sie segnete.“

Kinder sterben an Krankheiten, bei Unfällen, nach Suiziden und manchmal werden sie Opfer von Gewaltverbrechen. Manchmal kommt der Tod ganz plötzlich, manchmal ist er absehbar. Es sterben Kinder noch im Mutterleib, als Babys, als kleine Kinder, als große oder schon längst erwachsene Kinder. Es gibt keine Sicherheit und keinen Schutz dagegen.

Dieser Albtraum wird Wirklichkeit für Mütter und Väter immer wieder und überall. Der Tod des eigenen Kindes ist die furchtbarste Erfahrung für Eltern überhaupt. In Potsdam findet man Selbsthilfe-Gruppen, wo Trauernde ein Stück Begleitung erfahren können, so beim Sekiz e.V. und beim Ehrenamtlichen Ambulanten Hospizdienst. Hier hat Pfarrerin Beate Grümmer eine Gruppe für Verwaiste Eltern ins Leben gerufen. Als Krankenhausseelsorgerin des Klinikums „Ernst von Bergmann“ wird sie oft gerufen, wenn Mütter und Väter Abschied von ihrem Kind nehmen müssen. In der Gruppe, die sich einmal im Monat trifft, kann man mit anderen Betroffenen die Trauer über den Verlust eines Kindes teilen, untereinander ins Gespräch kommen, Erfahrungen austauschen Trost spenden, und die Tabuisierung des Themas Tod überwinden. Gemeinsam mit der evangelischen Seelsorgerin im St. Josefs-Krankenhaus, Pfarrerin Cornelia Behrmann, bereitet Beate Grümmer nun bereits zum vierten Mal einen Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder vor. Dazu wird am morgigen Samstag um 15 Uhr wieder in die Sternkirche eingeladen. Die betroffenen Eltern werden den Gottesdienst mitgestalten. Das Anliegen dieses Nachmittags formuliert Pfarrerin Grümmer so: „Wir wollen uns gemeinsam an die Kinder erinnern, wollen trauern, schweigen, reden, danken, hoffen und auch essen.“ Katrin Busch möchte den Gedenkgottesdienst nicht missen. „Er ist mir in meiner Trauer eine große Hilfe geworden“, erzählt die Archivarin. „Oftmals sind sogar Freundschaften zwischen den betroffenen Müttern und Vätern geschlossen worden.“

Auch für Petra Sigel sind die Stunden in der Sternkirche wichtig. Sie trauert um den Verlust ihrer Tochter. Katja wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Vor mehr als vier Jahren ging die Zwanzigjährige in die Schweiz, nach St. Gallen. Dort wollte sie sich bezüglich ihres Berufswunsches Hotelfachfrau orientieren. Sie lernte einen jungen Türken kennen, in den sie sich verliebte. Er wurde aber ihr Mörder. Petra Sigel hat ein Foto von Katja zu unserem Gespräch mitgebracht. Ein sehr hübsches Mädchen mit offenen und neugierigen Augen und großer Wärme schaut uns an. Einen Tag vor dem Tod ihrer Tochter hat die Mutter mit ihr noch telefoniert. Denn Petra Sigel will für ein paar Tage nach Rom reisen. Als sie zurückkehrt, meldet sich Katja bei ihr nicht. Sie wendet sich an den Arbeitgeber in St. Gallen. Von ihm erfährt sie, dass Katja seit mehr als einer Woche auf der Arbeit nicht erschienen ist. Die Mutter gibt in der gleichen Nacht eine Vermisstenanzeige bei der Polizei in Potsdam und in St. Gallen auf. Sie begibt sich in jener Nacht auch selbst in die Schweiz, voller Sorgen und Ängste. Als sie acht Stunden später dort eintrifft, hat die Polizei bereits die Dachgeschosswohnung von Katja aufgebrochen, das Mädchen tot aufgefunden. Der unter Depressionen leidende Freund hat sie am 4. September 2004 stranguliert.

Für achteinhalb Jahre muss er hinter Gittern verschwinden. Petra Sigel holt die Urne aus St. Gallen persönlich ab. Das Bestattungsrecht in der Schweiz gibt dafür die Erlaubnis. „Ich habe sie in meinem Armen gehalten, ganz fest. Ich wollte sie nicht mehr loslassen.“ Auf dem Bornstedter Friedhof haben die Mutter und die Familie die Urne beigesetzt. Ein Auf und Ab von Gefühlen begleitet Petra Sigel fortan, Schmerz, Wut, auch Selbstanklage. Nach einem halben Jahr kommt der Zusammenbruch. Die Psychologische Beraterin und Trainerin beginnt eine Therapie. In dieser Phase wendet sie sich an den Verein „Verwaiste Eltern“ in Hamburg und an Sekiz in Potsdam. „Ich wollte mit meiner Trauer nicht allein sein. „Die tiefe Verzweiflung kann wohl nur von anderen leidtragenden Eltern nachempfunden und verstanden werden, auch wenn Angehörige und Freunde viel Mitgefühl und Trost entgegenbringen.“

Petra Sigel hat die Gemeinschaft mit anderen Betroffenen als tragfähige Basis für ihr Leben empfunden: „Trauerarbeit ist eine schwere Arbeit.“

Kontakte über die Evangelische Krankenhausseelsorge Beate Grümmer, (0331) 241 46 98 und Cornelia Behrmann, (0331) 9682 20 20.

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