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Homepage: Unter Druck

„Wenn Putin nicht bald liefert, wird es für ihn innenpolitisch ungemütlich“

Stand:

Herr Franzke, seit unserem letzten Gespräch im Mai 2014 hat sich die Lage in der Ukraine-Krise gewendet. Die aktuelle Rubelkrise bringt Russland in Bedrängnis. Wie gefährlich ist die Situation?

Schneller als erwartet zeigen sich die Folgen der verfehlten Wirtschaftspolitik Putins. Autokratische Herrscher neigen aber in Krisenzeiten zur Flucht nach vorn. Daher ist die Lage weiter hoch gefährlich. Die Risiken und Unwägbarkeiten russischer Innenpolitik werden 2015 deutlich ansteigen. Der Westen wird also weiterhin ein gutes Krisenmanagement brauchen.

Welche Rolle spielen die Sanktionen bei der aktuellen Krise?

In dieser Krise wirken verschiedene Faktoren zusammen, unter anderem die schon genannte weitgehend ausgebliebene Modernisierung der russischen Wirtschaft, der dramatisch gefallene Ölpreis, die steigenden Kosten zur Bewältigung der Folgen von Putins aggressiver Außenpolitik, aber eben auch die Wirkungen der Sanktionen des Westens. Alle Faktoren zusammen bewirken, dass Russland aller Voraussicht nach in diesem Jahr in einer Rezession versinken wird.

ZUR PERSON

Jochen Franzke (60) ist Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam und befasst sich seit 1979 mit der Innen- und Außenpolitik Russlands beziehungsweise der Sowjetunion. Er ist Koordinator des deutsch-russischen Studienprogramms „Public Administration“ und stellvertretender Chefredakteur des Journals für internationale Politik „WeltTrends“. Zu seinen Schwerpunkten zählen Reformen der öffentlichen Verwaltung in Deutschland, Entwicklung der lokalen Demokratie sowie politisch-administrative Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa. 2014 erhielt der Politologe die Europaurkunde vom brandenburgischen Wirtschaftsministerium für besondere Verdienste um die Verständigung zwischen Ländern Europas, insbesondere mit Polen. Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät kooperiert seit Langem mit der Fakultät für politische Wissenschaften der Adam Mickiewicz Universität Poznan. Kix

Sie hatten bisher die Notwendigkeit der Sanktionen betont. Zeigt sich nun, dass dadurch auch die deutsch-russischen Beziehungen langfristig Schaden nehmen könnten?

Sanktionen sind ja kein Selbstzweck, sondern nur das letzte Mittel, wenn alle anderen politischen Instrumente versagen. Denn sie sind bekanntermaßen ein zweischneidiges Schwert, welches auch demjenigen schadet, der sie verhängt. Da sie aber aktuell das einzige wirksame Mittel ist, über das der Westen verfügt, um auf die Besetzung der Krim durch Russland und dessen aggressive Einmischung in der Ostukraine zu reagieren, bleiben diese weiter notwendig. Sie sollten aber auch immer wieder auf ihre konkreten Wirkungen überprüft werden.

Vor allem das russische Volk leidet unter der aktuellen Krise. Russlands Präsident Wladimir Putin lastet die Ursachen dem Westen an. Stärkt oder destabilisiert ihn das im eigenen Land?

Kurzfristig hat es seine Position im Lande in 2014 stabilisiert. Aber der entsprechende Bonus der Bevölkerung braucht sich langsam auf. Wenn sich Putin einerseits als machtvoller Erlöser stilisiert, der Russland seinen Tempelberg wiedergebracht hat, andererseits aber die Krise im Lande nicht lösen kann, macht er sich unglaubwürdig. Die Menschen in Russland erwarten eine Verbesserung ihrer Lebenslage. Wenn Putin nicht bald liefert, wird es für ihn ungemütlich. Erst einmal hat er alle vertröstet – in zwei bis drei Jahren werde alles wieder besser. Außerdem gibt es immer noch die bewährte Notlösung, die Schuld an den Problemen auf führende Köpfe der Regierung oder Präsidialadministration abzuschieben und diese zu entlassen.

Angeblich steht die Bevölkerung noch hinter ihrem Präsidenten. Ist das nur Regierungspropaganda?

Das Bild ist ambivalent. Die russische Regierungspropaganda tut ihr Übriges, sodass sogar deutsche Politiker davon sprechen, dass „alle“ Russen hinter Putin stünden. Die in seriösen Meinungsumfragen gemessene Unterstützung der Politik des russischen Präsidenten liegt auch gegen Ende des Jahres 2014 bei rund 70 Prozent und ist damit weiterhin außergewöhnlich hoch. Andererseits haben sich viele Russen im Dezember in Sachwerte gestürzt, um der Entwertung ihres Geldvermögens durch die auf über zehn Prozent angestiegene Inflation entgegenzuwirken. Wirkliches Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit des Kremls, die Krise zu lösen, sieht anders auch.

Inwiefern bringt die aktuelle Situation nun die russische Bevölkerung gegen den Westen auf?

Das ist leider zu befürchten. Der Westen muss daher die Sanktionsinstrumente sorgfältig einsetzen und direkte Auswirkungen auf die Bevölkerung möglichst gering halten. Dies ist allerdings nur begrenzt möglich. Gleichzeitig sollte der Westen seine Informationspolitik über die Gründe der Sanktionen und die Wege zu deren Überwindung verstärken.

Russland hat vor allem auch hausgemachte Probleme, es wurde stark auf Öl und Gas gesetzt, der Auf- und Umbau der Wirtschaft vernachlässigt. Rächt sich das nun?

Die Modernisierung der russischen Wirtschaft ist tatsächlich seit einigen Jahren zum Stillstand gekommen. Viele Jahre ist kaum etwas getan worden, um die Abhängigkeit der russischen Volkswirtschaft von wenigen Naturressourcen zu vermindern. Auch 2014 war in diesem Zusammenhang ein verlorenes Jahr, die Regierung hat kaum etwas für Wirtschaftsreformen getan.

Bekommen wir wieder einen Kalten Krieg – oder haben wir ihn schon längst wieder?

Der Begriff des Kalten Krieges II ist unangebracht. Er spiegelt die Annexion der Krim und den anhaltenden militärischen Konflikt im Osten der Ukraine, der weiterhin Todesopfer kostet, nicht angemessen wieder. Wir haben es mit einem neuartigen Konflikt im 21. Jahrhundert zu tun, in dem der Kreml versucht, seine Macht mit Gewaltmethoden des 19. Jahrhunderts auszuweiten. Der Westen ist erst dabei, eine gemeinsame Antwort auf diese neue Konfliktsituation zu finden. Eine Rückkehr zur Lage vor der Krim-Annexion scheint ausgeschlossen. Wir befinden uns in einer neuen, ausgesprochen schwierigen Periode der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen.

Die EU ist nun zurückhaltender als die USA. Welchen Anteil haben die USA an der Krise?

Wenn der Westen sich vom Kreml auseinanderdividieren lässt, hat er schon verloren. Die USA und die EU setzten bei ihren Sanktionen unterschiedliche Schwerpunkte und nutzen teilweise verschiedene Instrumente. Die USA verfolgen ihre geopolitischen Ziele teilweise mit aggressiveren Mitteln als die EU. Die Rücksichtnahme auf russische Interessen war in Washington schon länger weniger ausgeprägt als in Brüssel, Paris oder Berlin. Mögliche Versäumnisse der USA oder auch der EU vor 2014 sind kein Argument für das Vorgehen Russlands gegenüber der souveränen Ukraine.

Inwiefern hat Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) recht, wenn er sagt, dass der Westen einen weniger konfrontativen Kurs gegen Russland einschlagen sollte?

Auf der Basis von Wunschvorstellungen lässt sich weder der geopolitische noch der Wertekonflikt zwischen dem Westen und Russland lösen. Russlands Führung hat im vergangenen Jahr den Westen zu seinem Gegner erklärt und ist zu einer aggressiven Politik übergegangen, die EU zu zerstören und den Westen zu spalten. Gewalt soll wieder ein legitimes Mittel europäischer Politik werden. Was bitte soll in diesem Zusammenhang ein „weniger konfrontativer Kurs“ bewirken?

Platzeck beruft sich auch auf Willy Brandts Ostpolitik, die trotz des Einmarsches in der CSSR auf einen Ausgleich mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten zielte. Ein angemessener Vergleich?

Ein gleich in doppelter Hinsicht falscher Vergleich, weil er die problematischen Seiten der Ostpolitik während des Kalten Krieges ausblendet. Diese beruhte auf einer den geopolitischen Realitäten geschuldeten De-facto-Anerkennung sowjetischer Dominanz im Ostblock. Sie war ausschließlich auf den Kreml fokussiert. Alles, was nicht in diesen Großmächtediskurs hineinpasst, wurde diskreditiert, wie beispielsweise das Wirken der Gewerkschaft Solidarnosc in Polen. Heute ist die Situation eine völlig andere. Deutschland ist mit vielen früheren Ostblockstaaten durch die Nato und die EU verbündet. Eine moderne Ostpolitik ist nur als europäisches Projekt denkbar. Eine Berliner Vermittlerrolle zwischen West und Ost liegt sicher nicht im deutschen Interesse. Hinzu kommt, dass die mittel- und osteuropäischen Staaten mittlerweile souveräne Staaten geworden sind, die ihre Interessen selbst vertreten können. Daher ist der großzügige Verzicht auf das Territorium eines anderen Staates als Mittel zur Konfliktlösung so wenig hilfreich.

Wäre eine Appeasement-Politik in der aktuellen Krise denkbar?

Eine solche Politik gegenüber einem Machtpolitiker wie Putin ermuntert diesen zu weiteren gefährlichen Abenteuern, statt ihn einzubinden. Der Westen sollte seine Doppelstrategie beibehalten – auf aggressive Schritte des Kremls kraftvoll reagieren und gleichzeitig das Gespräch suchen.

Eine Anerkennung der Annexion der Krim wäre

das Ende der bestehenden europäischen Friedensordnung.

Sie sagen, dass es Ihnen weniger um Putin geht. Was meinen Sie damit?

Es geht nicht in erster Linie um Putin, der irgendwann Geschichte sein wird. Sondern es geht um die Zukunft Russlands, dessen Ressourcen von der jetzigen Elite verschwendet werden und dessen Zukunft verspielt wird. Die wirklichen Freunde Russland machen sich darüber ernste Sorgen.

Ist Putin aktuell eigentlich noch derjenige, der lenkt?

Präsident Putin ist weiter unangefochten der Herr der Lage im Moskauer Machtzentrum. Die Planungen für eine erneute Präsidentschaft ab 2018 gehen unverändert weiter. Es ist auch niemand von der außerparlamentarischen Opposition oder des Machtapparates zu erkennen, der ihn ablösen könnte.

Es wird aber auch über einen möglichen Rückzug Putins spekuliert. Würde das die Lage vielleicht sogar noch verschlimmern?

Ich werde mich nicht auf den Blick in die Glaskugel einlassen, dass kann seriöserweise niemand wissen. Da diese Debatte auch von den Propagandamedien des Kremls befeuert wird, soll offenbar Putin als das kleinere Übel gegenüber vermeintlich schlimmen Alternativen schöngeredet werden.

Verliert Putin mit dem aktuell niedrigen Ölpreis das Druckmittel des russischen Gases?

Nicht automatisch. Niemand kann sagen, wie sich der Ölpreis entwickelt. Er kann auch wieder ansteigen. Aber solange einige europäische Länder zu fast 100 Prozent von russischen Erdöl und Erdgas abhängig sind, wird der Kreml dies auch als ein politisches Instrument nutzen. Wie bei den Sanktionen ist dies allerdings ein zweischneidiges Schwert, auch der Lieferant könnte in Schwierigkeiten kommen. Wie dies gehen kann, zeigt die Eröffnung des Flüssigkeitsgasterminals in Litauen im Dezember 2014, der das Land von russischen Gasimporten unabhängiger macht.

Welche Rolle spielt die geplatzte Southstream-Pipeline?

In der Tat scheint die Southstream-Pipeline in ihrer bisherigen Route Geschichte zu sein. Putin setzt nun auf eine Pipeline durch die Türkei. Aber die Türken haben sich in der Sache noch gar nicht festgelegt, Verträge sind noch nicht unterzeichnet. Was in diesem Pipeline-Poker am Ende herauskommt und ob dies für Russland günstiger als der jetzige Transit durch die Ukraine ist, wird sich erst noch zeigen.

Wie ist die Lage in der Ukraine aktuell einzuschätzen?

Die Ukraine steht im neuen Jahr vor großen Herausforderungen. Der Druck der Bevölkerung, flankiert von der EU, endlich Reformen umzusetzen, vor allem die Dezentralisierung des Landes, die Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftsreformen, ist groß. Im Osten der Ukraine wird vieles davon abhängen, ob die Minsker Vereinbarung von allen beteiligten Seiten umgesetzt wird oder die Lage weiter instabil bleibt.

Geht Russland in der Ostukraine nicht weiter vor, weil es sich das wirtschaftlich nicht leisten kann? Oder hat Putin mit der Krim doch schon sein Ziel erreicht?

Es fällt schon auf, wie zielstrebig und schnell Putin bezüglich der Krim reagiert hat und wie zögerlich im Donbass. Offenbar reicht es dem Kreml im Augenblick, den Konflikt einzufrieren.

Hat Putin sich aktuell verkämpft oder läuft alles nach seinem Plan?

Wir wissen nicht, welchen Plan Putin wirklich hat. Unterstellen wir, er will erneut ein russisches Imperium errichten, so hat er sich in mehrfacher Hinsicht strategisch verrechnet. Er hat die Krim für Russland erobert, dafür aber die Freundschaft zum ukrainischen Volk geopfert.

Wie stark steht der russische Präsident nun unter Druck?

Putin steht sehr stark unter Druck. Er setzt zur Sicherung seiner Macht sowohl innen- als auch außenpolitisch auf Gewalt und das Recht des Stärkeren. Wenn er selbst Schwäche zeigen würde, wird er in dieser von ihm selbst geschaffenen Welt rascher untergehen, als viele heute für möglich halten. In seiner Botschaft an die Föderalversammlung wenige Tage vor Weihnachten waren allerdings nur Durchhalteparolen und nationales Pathos erkennbar, kein Handlungskonzept zur Überwindung der dramatischen Krise Russlands.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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