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Humboldts Forschung ausgewertet: Verschachtelte Struktur entschlüsselt
Mit Schiffen, Pferden und anderen Transportmitteln des neuen Jahrhunderts erforschte Alexander von Humboldt Amerika und Russland und bereiste Italien, Spanien und das übrige Europa. Er schrieb und zeichnete währenddessen unablässig.
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Mit Schiffen, Pferden und anderen Transportmitteln des neuen Jahrhunderts erforschte Alexander von Humboldt Amerika und Russland und bereiste Italien, Spanien und das übrige Europa. Er schrieb und zeichnete währenddessen unablässig. Gleich zwei groß angelegte Forschungsvorhaben widmen sich derzeit der Erschließung der Reisetagebücher Humboldts. Ein Verbundprojekt der Universität Potsdam und der Staatsbibliothek Berlin befasst sich mit den „Amerikanischen Reisetagebüchern“ Humboldts. Eine vollständige Edition der Manuskripte zu dessen Reisen plant die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
In elf Bänden werden die Aufzeichnungen des großen Forschers veröffentlicht. Dabei kooperiert die Akademie auch mit der Universität Potsdam. Mit „Genealogie, Chronologie, Epistemologie“, so der Forschungstitel, befasst sich ein Teilprojekt, das der Potsdamer Wissenschaftler Ottmar Ette leitet. Es gehe um die Struktur der Aufzeichnungen und die Art und Weise, wie sich Humboldt Wissen angeeignet und das Gesehene gedeutet habe, erklärt Romanist Julian Drews. Zusammen mit Ette veranstaltet er nun ein Symposium der beiden Forschungsprojekte im Potsdamer Bildungsforum.
Papier war knapp, also beschrieb Humboldt auch die Ränder
Papier war gelegentlich knapp, wenn Humboldt am Orinoco in Kolumbien oder auf anderen Flüssen in Südamerika unterwegs war. Daher sah sich der Wissenschaftler gezwungen, auch Seiten seiner Tagebücher vollständig zu füllen, die er bei vorherigen Aufzeichnungen frei gelassen hatte. Die verschachtelte Struktur ist ebenso Forschungsgegenstand wie Tabellen zu Wetter und Landschaft und zahlreiche Zeichnungen, die Humboldt in die Tagebücher eingefügt hat. Die Vielschichtigkeit des Denkens des großen Gelehrten schlägt sich so auch formal in den in Leder gebundenen Bänden nieder.
Das Editionsprojekt will dem mit einer Online-Ausgabe gerecht werden. Dieses kann möglicherweise auch die komplizierte Struktur der Bücher widerspiegeln. Der Erwerb der „Amerikanischen Reisetagebücher“ durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die nun begonnen Forschungsvorhaben ermöglichen erstmals eine umfassende Auswertung der Forschungen Humboldts. Reiseskizzen, Messergebnisse, Laborprotokoll, wissenschaftliche Essays und Exzerpte lassen nicht nur ein umfassendes Bild der Weltsicht des Reisenden entstehen, sondern geben auch Aufschluss darüber, wie Humboldt zu seinen Erkenntnissen gelangte. „Wo andere spekulierten, hat Humboldt genau hingeschaut und empirische Forschung betrieben“, erklärt Julian Drews. Deutlich schockiert sei Humboldt von der Sklaverei gewesen, die er auf seinen Reisen in Amerika beobachtete.
Nicht spekuliert
Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern um 1800 habe Humboldt nicht spekuliert, sondern über ein enormes Wissen verfügt und so Verknüpfungen zwischen seinen Beobachtungen und Überlegungen herstellen können, zu denen andere nicht in der Lage waren. Dies schlage sich auch in den Zeichnungen nieder, die sich in den Tagebüchern finden. Der spätere Weltreisende absolvierte noch als Jugendlicher eine Ausbildung im Kupferstechen und Radieren. Dies bereicherte seine späteren Skizzen. „Das sind auch Denkbilder. Humboldt zeichnet, was den Augen verborgen bleibt. In die Zeichnungen fließen die Beobachtungen Humboldts genauso ein wie sein kulturelles Wissen und seine Forschungen“, stellte die Kunstwissenschaftlerin Julia Voss fest.
Skeptisch stand Humboldt der Fotografie gegenüber. Die damals noch recht aufwendigen Ablichtungen waren ihm zu ungenau. Erst durch das Wissen, das nur in eine Zeichnung adäquat einfließen könne, erschließe sich die Welt angemessen, meinte Humboldt. Ein Gesamtbild des Kosmos und der Welt, in der er lebe, habe Humboldt nicht entworfen und wohl auch nicht entwerfen wollen, vermutet Drews. Dem Forscher sei es darum gegangen, genau zu notieren und deuten, was er sieht. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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