Homepage: Vom Betriebsleiter zur transnationalen Elite
Eine Konferenz des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) betrachtete Wirtschaftseliten gestern und heute
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Wenn heute den Wirtschaftseliten wegen Massenentlassungen bei hohen Gewinnmargen mangelnde gesellschaftliche Verantwortung vorgeworfen wird, fragen sich die Zeithistoriker nach dem historischen Kontext. Ob die Verschärfung marktwirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten etwas mit den ökonomischen Gefügen der jüngeren Vergangenheit zu tun haben könnte, wollten nun rund 40 Historiker, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler auf einer Konferenz am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) herausfinden. Klar, dass es darauf keine eindeutigen und endgültigen Antworten gab.
„Wir haben das Gespräch darüber eröffnet, wo wir heute stehen“, erläutert Dr. Friederike Sattler vom ZZF den Ansatz der Tagung. Unumstritten war unter den Historikern, dass es schon vor 1914 eine erste Welle der Globalisierung gab, die dann aber wieder abebbte. Die Wurzeln des Verschärfungsprozesses der Gegenwart wiederum machen die Zeitgeschichtler in den späten 70er und frühen 80er Jahren mit der so genannten dritten Industriellen Revolution – dem digitalen Zeitalter – aus. Hier hätten sich die ökonomischen Bedingungen in West und Ost verschärft, einige Historiker sehen darin sogar eine der Ursachen für den Zusammenbruch des Sozialismus.
Die Wissenschaftler des ZZF hatten ihrer Ausrichtung gemäß zu der Konferenz vor allem Fragen an die jüngere Geschichte der DDR. So verglich etwa Dr. Peter Hübner die Wirtschaftseliten bzw. Betriebsleiter in der DDR und Polen. Er kam zum Schluss, dass die beiden sozialistischen Systeme die Handlungsrahmen der Betriebschefs so weit eingeschränkten, dass sich ein sehr ähnliches Bild ergab: Die relative Nähe zur Interessenlage der Beschäftigten, also der Arbeiterschaft sei in der DDR wie in Polen vordergründig gewesen. Soziale Konflikte habe es zwar gegeben, doch fielen diese meist moderat aus. Nur in Ausnahmen sei es zu Zuspitzungen gekommen, die dann aber in Polen heftiger gewesen seien als in Ostdeutschland. Hübner vermutet, dass dieser Unterschied etwas mit der Herkunft der Arbeiter zu tun hatte: „Je ländlicher, desto heftiger die Auseinandersetzungen“.
Mit Beginn der dritten Industriellen Revolution ab den 80er Jahren waren nicht nur die westeuropäischen Marktwirtschaften sondern auch die Planwirtschaften Osteuropas zunehmend in Bedrängnis geraten. Schon zuvor in den 70er Jahren hatten vielfältige Struktur- und Anpassungskrisen zu Verwerfungen geführt. Die Wirtschaftseliten der DDR hätten hierauf eher überfordert reagiert, so Annette Schuhmann vom ZZF. Parallel dazu entstanden Netzwerke auf Grundlage von persönlichen Beziehungen. Es habe sich geradezu eine Schattenwirtschaft herausgebildet, die den Mangel und die Versorgungslücken durch Eigeninitiative und Spontanität zu umschiffen versuchte.
Zwar könne man darüber nachdenken, inwieweit dieses Parallelsystem die sozialistische Planwirtschaft mit getragen habe, so Schuhmann. „Diese Netzwerke ergänzten und ersetzten schließlich wirtschaftliche Strukturen.“ Doch letztlich kommt die Historikerin zu dem Schluss, dass die Schattenwirtschaft sich eher negativ als eine Art Reformbremse auswirkten, da sie die Mängel nur überdeckten. „Am Ende wurde das System dadurch von innen ausgehöhlt“.
Dass die „feinen Gewebe“ der Schattenwirtschaft bisweilen bedenkliche Stilblüten hervorbrachten, hat Annette Schuhmann anhand eines Forschungsprojektes herausgearbeitet. Für das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) in Eisenhüttenstadt, dem größten metallverarbeitenden Betrieb der DDR, kam sie durch Interviews mit ehemaligen Führungspersonen zu überraschenden Ergebnissen. So habe man vor allem durch die desolate Situation der ostdeutschen Bauwirtschaft in den 80er Jahren verstärkt auf alternative Kooperationspartner aus Polen, Ungarn und Jugoslawien zurückgegriffen, und zwar auf dem kurzen, inoffiziellen Weg.
Die osteuropäischen Arbeiter seien schnell und unkompliziert gewesen und vor allem hätten sie auch die gefährlichen Aufgaben – etwa mit giftigen Schlacken – übernommen. Einer der Interviepartner habe gesagt: „Wenn nichts mehr ging, machten das die Polen und Jugoslawen. Die verwöhnten deutschen Arbeiter wollten nichts Gefährliches machen und am Wochenende nur auf ihre Datscha.“
Von den damaligen Wirtschaftseliten zu den heutigen war es dann für die Wissenschaftler ein sehr weiter Weg, oft noch ohne Brücken und Verbindungen. Zum Ende der Konferenz stand schließlich ein recht kontroverser Beitrag des Briten Leslie Sklair. Der Soziologen sieht eine „transnationale kapitalistische Klasse“ im Entstehen begriffen. Eine zunehmend global verlinkte neoliberale Schicht, die sich als Weltbürger verstehe, Lebensstil und Elite-Ausbildung teile und ein gemeinsames Interesse an der ausschließlichen Steigerung von Profit habe.
Sklairs Thesen blieben nicht unerwidert, vor allem die Historiker sahen die Dinge etwas anders als der Sozialwissenschaftler. So handele es sich in ihren Augen nicht um eine einmalige Entwicklung wie von Sklair dargestellt, da es schon zuvor Ansätze von Globalisierung gegeben habe. Kritisch hinterfragt wurde auch, wo denn diese „Transnational Capitalist Class“ (TCC) ihren Anfang genommen habe und wie sie sich formiere. Fragen über Fragen – offensichtlich eröffnet sich hier ein ganz neues Forschungsfeld.
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