
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Vor Überfrachtung gewarnt
Diskussion zum geplanten NS-Ausstellungsmodul in der Gedenkstätte Lindenstraße
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Innenstadt - Sie kamen aus Potsdam, Rathenow oder Jüterbog: Rund 3400 Männer und Frauen wurden im Gerichts- und Gefängnishaus in der Lindenstraße 54/55 in der Zeit des NS-Regimes zur Zwangssterilisation verurteilt. Die Eingriffe selbst wurden dann unter anderem von Ärzten der städtischen Krankenhäuser vorgenommen. Aber das sogenannte Erbgesundheitsgericht – eine von deutschlandweit seinerzeit etwa 220 solcher Einrichtungen – ist nur ein Aspekt der Geschichte des Lindenstraßen-Hauses während des Nationalsozialismus. Das Gebäude war zugleich Sitz des Amtsgerichts und des Gerichtsgefängnisses, hier saßen unter anderem Zwangsarbeiter oder jüdische Potsdamer ein. Seit Anfang 1945 diente es dann noch als Außenstelle des sogenannten Volksgerichtshofes, an dem politisch unliebsame Bürger wegen Vorwürfen wie „Heimtücke“ oder „Wehrkraftszersetzung“ zu hohen Zuchtstrafen oder sogar zum Tode verurteilt wurden.
Über die Schicksale der Opfer, die Täter und die Funktionsweise dieser Einrichtungen soll in Zukunft ein neuer Ausstellungsbereich in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 informieren (PNN berichteten). Am gestrigen Mittwoch stellte die Historikerin Annemone Christians das Konzept dafür erstmals öffentlich vor und stellte sich der Kritik von Fachkollegen und von den gut 40 Gästen. Christians arbeitet seit Juni 2012 an der Ausstellungskonzeption – aufbauend auf mehrjähriger Recherchearbeit verschiedener Historiker.
Der neue Ausstellungsteil soll ab Mai 2013 in insgesamt zwölf Räumen – darunter neun ehemalige Gefängniszellen – eine bislang kaum beleuchtete Epoche des Gebäudes, das in der DDR-Zeit als Untersuchungsgefängnis der Staatsicherheit diente, vorstellen. Annemone Christians sieht dafür sechs Ausstellungsstationen vor: So soll es neben zwei einordnenden Stationen zum Weg Potsdams in den Nationalsozialismus und zum NS-Justizsystem jeweils eigene Bereiche zum Thema Erbgesundheitspolitik vor Ort, zum Volksgerichtshof und zu den Opfern politischer Verfolgung geben. In der sechsten Station soll der Todesopfer des Volksgerichtshofs gedacht werden – bekannt sind laut Christians bislang 43.
Kritik gab es bei der anschließenden Diskussion an der Schwerpunktsetzung und am Umgang mit den verschiedenen Opfergruppen. Sowohl Claudia Steur, Kuratorin beim Berliner NS-Aufarbeitungs- und Ausstellungsprojekt „Topographie des Terrors“, als auch Cornelia Liebold, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Gedenkstätte Bautzen, warnten vor einer Überfrachtung der Ausstellung. Sie rieten etwa davon ab, der Geschichte Potsdams im Nationalsozialismus zu viel Raum einzuräumen. „Das ist ein eigenes großes Thema für eine eigene Ausstellung“, sagte Steur. Sie warb zudem dafür, die authentischen Orte – etwa leere Gefängniszellen – auch emotional und ohne zu viel Text wirken zu lassen.
Angemerkt wurde auch, dass die verschiedenen Opfergruppen nicht gleichbehandelt werden: Petra Fuchs, die als Historikerin bei der Recherche beteiligt war und heute am Institut für Geschichte der Medizin an der Berliner Charité arbeitet, warnte vor einer „Hierarchisierung der Opfer“, wie sie sich durch die eigene Station für die Todesopfer andeute. Claudia Steur schlug vor, Opferschicksale und Täterbiografien anhand von einzelnen Prozessen exemplarisch vorzustellen.
Annemone Christians nahm die Kritikpunkte auf. Dass Ausstellungsteile in Gefängniszellen gezeigt werden sollen, sei dem Platzangebot geschuldet, sagte sie. Es sei tatsächlich ein Spagat zwischen der Wissensvermittlung und einem eher emotionalen Ansatz zu meistern. Die Ausstellung werde nicht textlastig, es gebe auch Bild- und Tonmaterial, unter anderem von sieben Zeitzeugeninterviews, sagte sie.
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