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Von Jan Brunzlow: Wahletats zwischen 180 und 30 000 Euro

Was Parteien auf die Beine stellen, damit ihr Kandidat gewinnt: Vom Wahlspot bis Facebook

Stand:

Wer hat die meisten Freunde? Marcel Yon. Mehr als 1720 Freunde hat der Oberbürgermeisterkandidat der FDP auf der Internetplattform „Facebook“ – so viel wie kein anderer Kandidat. Morgen wird nun ein neuer Oberbürgermeister in Potsdam gewählt, gut 127 000 Potsdamer sind dazu aufgerufen. Seit acht Wochen präsentieren sich die Kandidaten den Wählern im Stadtbild und im Internet. Barbara Richstein (CDU) kam anfangs mit dem Blitzerfoto sehr schnell daher, Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke) wollte mit Bewährtem glänzen und Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD) setzte darauf, dass ihm die Potsdamer etwas näher kommen. Bis morgen setzt sich der Wahlkampfmarathon fort.

Die Aktionen in den letzten 48 Stunden vor dem Wahlsonntag erwecken den Eindruck, als hätten die Kandidaten acht Wochen geschlafen und müssten nun alles rausholen. So sind Barbara Richstein und Hans-Jürgen Scharfenberg im Dauereinsatz an Ständen und auf Veranstaltungen, ebenso Jakobs. Der hatte jedoch einen Vorteil. Sein Wahlkampfchef sitzt seit Jahren auch in seinem Oberbürgermeisterbüro und konnte somit aus erster Hand den Wahlkampf führen. Ein Dutzend Talk-Veranstaltungen, gleich zwei Dutzend öffentliche Sonnenscheintermine und nun 250 Unterstützer auf einem Plakat, die alle Jann Jakobs wählen wollen. Da wurde diePotsdamer Linke misstrauisch und hat nachgezählt. Es sind 211 auf dem Plakat zu sehen, und der Ministeriumssprecher von Günter Baaske, Florian Engels, ist gleich dreimal drauf. Dagegen fehlen Ministerpräsident Matthias Platzeck und Innenminister Rainer Speer.

Und die Linke? Die hat einen Etat von 20 000 Euro in den Wahlkampf investiert. Scharfenberg hat eine eigene Homepage, 1200 Plakate sowohl mit Inhalten versehen als auch mit seinem Kopf, er hat im Wahlkampf die Aktion „Eine gute Tat statt ein Plakat“ gestartet und ist im Internet weniger aktiv als an Infoständen. Fehlanzeige auf „Facebook“, „Xing“ und „twitter“. Dafür spuckt „Google“ bei der Bildersuche auf der ersten Ergebnisseite tatsächlich nur Bilder zum Potsdamer Oberbürgermeisterkandidaten aus. Bei der Textsuche der beliebtesten Suchmaschine erscheint relativ schnell „Hans-Jürgen – Meine Stasi“. Es ist allerdings der frühere DDR-Korrespondent der ARD Hans-Jürgen Börner, der auf den Spuren seiner Stasi-Akte recherchiert und in Brandenburg fündig wird. Auf seine Vita als Stasi-Spitzel geht Scharfenberg selbst auf seiner Internetseite ein, in der Parteizeitung „Potsdams andere Seiten“ allerdings nicht. Deren Auflage wurde im Wahlkampf versechsfacht.

Mehr Geld als die Linke hat die SPD. 30 000 Euro hat die Partei für den Wahlkampf zur Verfügung gestellt – plus eine Summe X von Jakobs selbst. Er hat einen Werbespot im Internet auf „YouTube“, in einem Potsdamer Kino und im Fernsehen geschaltet. Er hat eine 13-seitige Imagebroschüre „Von der Küste an die Havel“ mit Daten aus seinem Leben drucken lassen und er wirbt ohne Inhalt mit dem Slogan „Unser Oberbürgermeister“. Da müsse man sich schon sicher sein, dass die Leute die Inhalte kennen, sagte Professor Matthias Beyrow von der Fachhochschule Potsdam. Wurde Jakobs in den letzten Tagen abseits der Kameras nach seiner Wahlchance befragt, reagierte er nachdenklich. Er hat viele gehört, die sagen, er gewinne es sowieso. Aber diese Situation gab es 2002 nach dem ersten Wahlgang auch – dann setzte er sich mit nur 122 Stimmen durch.

Klein und fein war der Wahlkampf der Piratenpartei und der Wählergemeinschaft Die Andere. Pirat Marek Thutewohl habe keine Unterstützung von der Bundespartei erhalten, der Wahlkampf soll 180 Euro gekostet haben. Im Internet ist er nur sporadisch aktiv, auf „Facebook“ hat er zumindest eine Seite ohne für den Wähler hilfreichen Inhalt. „Die Andere“, die als erste ihren Kandidaten vorgestellt hatte, wirbt im Stadtbild mit Zeichnungen und im Internet auf „Facebook“. Aufwendig dagegen der Wahlkampf von Barbara Richstein. Sie darf als einzige am Wahltag nicht für sich stimmen, denn ihr Erstwohnsitz ist in Falkensee. Mit einem Wahl-Werbespot, der 37 Sekunden lang ist, erinnert sie an Filme aus den 50er Jahren. Zwar in Farbe, doch steht sie anscheinende im Studio, während Bewegtbilder von Potsdam im Hintergrund eingeblendet werden. 37 Minuten vermittelt sie Inhalte und hat deutlich mehr zu sagen als Jakobs in seinem Spott. Der rasiert sich in einem Bad, gelbe Klebezettel zur Erinnerung an wichtige Dinge des Tages hängen am Spiegel. Am Ende sagt er: „Ich bin jeden Morgen bereit“. Marie Luise von Halem kommt ohne Werbespot und inhaltliche Wahlwerbung an Laternen aus. Sie hat ihr Gesicht und ihr Fahrrad. Auf dem Portal „Xing“ erscheint unter ihrem Namen Nils Naber – der Fraktionschef der Grünen. Naber arbeitet im Landtagsbüro von von Halem. Fotos von Matthias Platzeck in Uniform hat Marcel Yon an der Pinwand seiner Internetseite „Facebook“. Ob das reicht, entscheiden die Wähler. Und wer die meisten Freunde und Sympathisanten in Potsdam hat, das steht erst fest, wenn alle Wahllokale geschlossen haben.

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