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Lorenz Völker schaut sich das Gericht in Potsdam an, den Ort, an dem sein Opa Hans Dombois bis 1939 als Staatsanwalt arbeitete.

© A. Klaer

Graben in der Familiengeschichte: War mein Opa ein Nazi?

Lorenz Völker dachte, er kennt seinen Großvater. Bis er herausfand, dass dieser Opa unter den Nazis am Potsdamer Gericht Karriere machte. Und sogar Parteimitglied war.

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Potsdam - Lorenz Völker ist beeindruckt. „Ein schönes Gebäude“, sagt er. Der Berliner steht vor dem Gericht in der Hegelallee, einst das Landgericht, an dem sein Großvater Hans Dombois von 1933 bis 1939 als Staatsanwalt arbeitete. Jetzt hat Völker ein Buch darüber geschrieben, über den Großvater und über die Recherche: „War mein Großvater ein Nazi? Ein Enkel auf Spurensuche nach der Geschichte eines Staatsanwalts im Dritten Reich“. Auflagenhöhe 750. „Es ist noch immer ein schwieriges Thema“, sagt er.

Völker, 45 Jahre alt, ist in Berlin Lehrer für Sport und Geschichte. Letzteres war ein Verlegenheitsfach, sagt er. Aber durch die Beschäftigung mit dem Großvater passierte etwas, was ihn selbst überraschte. Was er bisher als Wissenschaft wahrnahm, berührte ihn plötzlich ganz direkt. Seine eigene Familie steckte mitten drin in der jüngeren deutschen Geschichte. Großvater Hans Dombois hatte als Staatsanwalt offensichtlich auch das Leid und den Tod zumindest von drei Personen zu verantworteten. Der Recherche des Enkels ist zu verdanken, dass im vergangenen Jahr Stolpersteine für diese Opfer in Potsdam verlegt wurden.

Angst, was bei der Suche ans Licht kommen würde

Aus der Gerichtsakte hat Völker eine ganze Liste von Fällen, die sein Großvater auf den Schreibtisch bekommen hatte, zusammengetragen: hauptsächlich Delikte wie Diebstahl, Jagdvergehen, Körperverletzung, Betrug und Abtreibung. Dazwischen aber auch mindestens zwei sehr unterschiedliche Fälle, in denen es um "Rassenschande" und Verstöße gegen die Naziparagrafen geht. Sie bilden zwei Puzzleteile aus dem Leben seines Großvaters. Viele weitere hat Völker zusammentragen können. Und zumindest biografisch ein recht vollständiges Bild der Person Hans Dombois gewonnen. Dennoch hat er das Buch mit einer Frage übertitelt. Als sei er gar nicht so erpicht auf deren Beantwortung.

„Natürlich hatten wir Angst davor, was bei unserer Suche möglicherweise ans Licht kommen würde“, sagt Völker. Denn: Zu keinem Zeitpunkt gab es unter den Nazis eine unabhängige Justiz. Aber suchen musste er doch. Sie fanden: einen Mitgliedsausweis der SA, einen Mitgliedsausweis der NSDAP. Opa im Braunhemd, derselbe Opa, der zur Bekennenden Kirche gehört hatte. Den die Enkel als feingeistigen Gelehrten erlebten. Der Bücher schrieb. Wie soll man das verstehen?

Dombois verteidigt sein Mittun

Die Suche begann, weil seine Mutter die genauen Daten der Kriegsgefangenschaft ihres Vaters wissen wollte. Fragen konnte man Hans Dombois nicht mehr, er war 1997 gestorben. Völker bekommt den Tipp, nach der Entnazifizierungsakte des Opas zu suchen. „Alle Männer über 18 Jahren wurden nach Kriegsende überprüft, diese Akten sind wahre Fundgruben“, sagt er. Er stellt online einen Antrag. Und: „Bingo! Es gab eine Akte, 50 Seiten lang“, sagt Völker. Immer wieder wird er in den kommen Jahren überrascht sein, wie viel er zusammentragen kann. Die Recherche sei einfacher gewesen als gedacht. Man brauche allerdings etwas Zeit. Sechs Jahre lang hat er nach Feierabend das Internet durchforstet, in Archiven angefragt, ist Hinweisen von Freunden und Bekannten nachgegangen.

In der Entnazifizierungsakte fand sich ein von Dombois selbst geschriebener Lebenslauf. Beim Gericht fand sich die Personalakte. Und schließlich im Archiv für Zeitgeschichte ein Bericht, den Dombois 1964 aus der Erinnerung über seine Arbeit als Staatsanwalt verfasst hat. Einfach so. Als wollte er etwas loswerden. Er schreibt detailliert über den Fall, in dem er einem jüdischen Mädchen das Leben rettet. Den Fall der jüdischen Familie Lehmann aus der Weinbergstraße erwähnt er indes nicht. „Im ganzen Bericht findet sich überhaupt kein Wort zu den Opfern der Nazis“, sagt Völker. Dombois verteidigt sein Mittun: Die Justiz habe die Nazis unterschätzt, schreibt er. Die Amerikaner, die sich damals um seine Entnazifizierung kümmern, ordnen ihn als Mitläufer ein. Er arbeitet noch ein paar Jahre am Gericht, dann bis zum Lebensende als Jurist für die Kirche. „Als wollte er etwas wiedergutmachen“, sagt Völker.

Karriere nicht durch Nazis versauen lassen

Er ist eine Person mit Widersprüchen und gerade deshalb so interessant, für den Enkel, für den Wissenschaftler, für den Bürger. Hans Dombois hatte vielleicht selbst die Nazis unterschätzt. Aber er ist kein Opfer, das macht Völker klar. „Er hat genau gewusst, was er tat. Er wollte sich seine Karriere von den Nazis nicht versauen lassen. Alternativ Rechtsanwalt zu werden, das kam für ihn nicht infrage.“

Und so wird er als Staatsanwalt mit dem Fall Lehmann konfrontiert. Klagt den jüdischen Alfred Lehmann wegen "Rassenschande" an, weil der mit einem nicht jüdischen Mädchen zusammen im Kino war. Nach zweieinhalb Jahren Zuchthaus verstirbt Lehmann 1941 im KZ Groß-Rosen. Auch seine Eltern überleben den Holocaust nicht. Völkel nimmt Kontakt zu den Nachfahren der Familie in den USA auf – für ein ein weiteres Puzzle des Buches. Auch in den USA leben die Nachfahren einer jungen Frau, die vielleicht wegen Hans Dombois überlebte. Die 17-jährige Susanne Busse aus Berlin hat 1938 den Mut, einen Parkwächter, langjähriges, verdientes Parteimitglied, wegen einer Beinahe-Vergewaltigung anzuzeigen. Und Dombois schafft es offensichtlich, dass der Richter den Mann verurteilt. Das Mädchen fliegt zwar von der Schule – aber sie überlebt, kann sogar nach England auswandern. Die SS rümpft freilich die Nase und schreibt an den Justizminister: Wie könne man einer jüdischen Schülerin glauben? Der aber verteidigt die Entscheidung des Gerichts – in dem ja schließlich Parteigenossen sitzen. Wie könne man deren Entscheidung anzweifeln?

"Ja, er war ein Nazi"

Bei einer Buchvorstellung vor wenigen Wochen wurde Völker gebeten, die Frage im Buchtitel zu beantworten. „Ja, er war ein Nazi“, sagte er. Er ist froh, dass er das Buch geschrieben hat. Über seinen Großvater so viel erfahren hat. Und einen völlig neuen Zugang zur Geschichte fand. „Grabe, wo du stehst“, hat er mal gehört. Den Spruch findet er gut. „Das kann jeder“, sagt er.

Lorenz Völker: "War mein Großvater ein Nazi?". Arete Verlag Hildesheim, 2015, 180 Seiten, 16,95 Euro.

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