zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Was ist ein Billettle?

Erster Brandenburgischer Jugendkulturpreis geht an die Evangelische Grundschule Potsdam für ihr Volkslieder-Projekt

Stand:

Also die Schwäbsche Eisenbahn – die sei „total kompliziert gewesen“, erinnern sich Mai und Josephina. „Da wusste man manchmal einfach nicht, was das bedeutet, zum Beispiel, was ein Billettle ist“, sagt Josephina und zeigt auf den Text, der sorgsam mundartlich abgeschrieben ist. Diese Herausforderung war von den Lehrern bewusst gewählt: Unter den zwölf Volksliedern für das Musik-Kunst–Projekt sollten nicht nur bekannte Lieder sein, sagt Christian Wiechel, Musiklehrer an der Evangelischen Grundschule Potsdam.

Gerade hat die Schule unter 30 Einsendungen den erstmals vergebenen Brandenburgischen Jugendkulturpreis für das fächer- und jahrgangsübergreifende Projekt gewonnen. Sechs Klassen, Lerngruppen mit Kindern der ersten, zweiten und dritten Klasse, haben sich ein halbes Jahr lang im Deutsch-, Musik- und Kunstunterricht mit deutschen Volksliedern beschäftigt und sechs individuelle Liederbücher gefertigt. „Echte alte Volkslieder“, betont Wiechel, meist würden zu Hause ja eher neuere Kinderlieder gehört – oder Radio Teddy. Selbst im Kollegium oder dem Eltern-Lehrer-Projektchor ist Volksliedersingen eher selten geworden. So kenne man zwar häufig die Melodien, aber meist keine Texte mehr.

Das jetzige Projekt entwickelte sich aus einem Projekttag, an dem Großeltern von einer Klasse zum gemeinsamen Singen eingeladen worden waren. Irgendwann war die Idee geboren, eigene Liederbücher zu basteln. Das passte gut zum epochalen Kunst- und Musikunterricht: Während eine Klasse die Lieder lernte und singen übte, beschäftigte sich die andere mit der kreativen Gestaltung der Bücher. So sind wahre Kunstwerke entstanden, allerdings keine bloßen Anschauungsstücke: Die robusten großen Mappen laden zum Schmökern ein und vermitteln dennoch den Eindruck einer gewissen Langlebigkeit.

Auch die Wettbewerbsjury, Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 19 Jahren, hatte ihren Spaß beim Anschauen der Bücher, sagt Projektleiterin Frauke Havekost vom Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg (vdmk), der den Preis ausgelobt hatte. Jede Doppelseite ist für ein Lied vorgesehen, links Text, rechts Illustration. Die Seiten zeugen von unterschiedlichster handwerklicher Fähigkeit, Ausdauer oder Begeisterung, weshalb individuelle Werke entstanden sind. Die Jury lobte ein kreatives Ergebnis „auf Augenhöhe der Kinder“, so Havekost.

Auch deshalb werden die Bücher jetzt in keiner Vitrine verschwinden, sondern ständig in Benutzung sein und in den Klassenräumen ausliegen. Das war von Anfang an so geplant, betonen Wiechel und Angela Fleischer, Kunstlehrerin: Das Buch sollte Bewegungselemente beinhalten und zum Benutzen animieren, weshalb Volkslieder ausgewählt wurden, in denen etwas passiert. Diese Bewegungen wurden dann in sogenannte Schiebe- oder Drehbilder umgesetzt: So dreht sich das Mühlrad der klappernden Mühle am rauschenden Bach, kann man das Gewehr des Jägers, der auf die Jagd geht, hin und her schieben. Ein wenig abstrakt steigt ein rotes Herz wie ein Glücksthermometer in die Höhe, Illustration zu dem schönen Sommerlied „Geh aus mein Herz und suche Freud“ – Lieblingslied von Josephine und Mai.

Die beiden Viertklässlerinnen sind traurig, dass sie sich jetzt von ihrem Buch trennen müssen, weil dieses in den Räumen der dritten Jahrgangsstufen verbleibt. Was ihnen vom Projekt bleibt, ist die Freude am Singen und eine CD mit dem Gesang der Kinder. Außerdem wurde ein Video gedreht, das die Funktionsweise des Buches verdeutlicht: Die beweglichen Teile der Illustrationen laufen wie ein Trickfilm zum Kindergesang ab.

Dieser interdisziplinäre Ansatz und die Beschäftigung mit einem Thema, das heute eher unterrepräsentiert ist, sei „eine Belobigung wert gewesen“, hieß es vom vdmk. Außerdem habe sich der künstlerische Prozess allein an der Kreativität der Kinder ausgerichtet, so Havekost.

Der Jugendkulturpreis soll künftig alle zwei Jahre vergeben werden. Wir sind mit der Stadt Potsdam im Gespräch auf der Suche nach einem geeigneten Standort, so Havekost. War die Jury in diesem Jahr auf die Sichtung von fertigen Dokumenten angewiesen, soll dann live gespielt, getanzt, musiziert oder Ausstellungen präsentiert werden. Damit sollen Kinder und Jugendliche, die sich künstlerisch engagieren, stärker gewürdigt werden – „wie beispielsweise naturwissenschaftliche Disziplinen in der Schule, Fremdsprachen oder Mathematik“, heißt es vom Verband.

Das Video ist zu sehen unter www.jugendkulturpreis-brandenburg.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })