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Landeshauptstadt: Wäschetrocknen auf den Kolonnaden

Charlotte Tornow und ihre Schwester wohnten 18 Jahre lang in den Communs. Sie spielten im Modellfort

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Für Charlotte Tornow (85) war es ganz alltäglich, in den Communs zu wohnen, mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Irmgard zu Fuß durch den Park Sanssouci in die heutige Clara-Zetkin-Straße zur Schule zu laufen – damals noch eine reine Mädchenschule – und mit dem Bruder gemeinsam im Prinzenfort zu spielen.

Das Modellfort, das die Firma Krupp 1893 dem Kaiser schenkte, war eine Nachbildung der Festung Küstrin und muss sich mit ihren kleinen Treppen, den tunnelartigen Eingängen und den Befestigungsmauern wunderbar zum Spielen geeignet haben. Die Soldaten und Fahrzeuge habe man von zu Hause mitgebracht. Es seien auch Kanonen vorhanden gewesen, erinnert sich Charlotte, auf das Mädchen machten sie aber weniger Eindruck als wahrscheinlich von Krupp geplant. Aus der kaiserlichen Verwandtschaft habe sie dort nie jemanden angetroffen, sagt sie und Schwester Irmgard nickt zustimmend. Irmgard erinnert sich, dass sogar ihre Kinder das Prinzenfort in den 50er Jahren noch als Spielplatz benutzt haben. Aber schon früher hätte ein jeder dort spielen können. Heute ist das Modellfort zum Schutz vor Vandalismus mit einem Sandhügel bedeckt und es ist ungewiss, wann es je wieder ausgegraben wird.

In die Communs, Haus II, sind die Stohfs – so der Mädchenname von Charlotte und Irmgard – 1931 eingezogen. Der Vater bekam dort eine Dienstwohnung. Im Haus II waren in den 30er Jahren zumeist Bedienstete der Schlösserverwaltung untergebracht, unter anderem Erich Stohf mit Familie, der das letzte Arbeitspferd der Schlösserverwaltung betreute.18 Jahre lang, von 1931 bis 1949, wohnten die Stohfs in den Communs und für die Mädchen war es eine schöne Zeit, die wenig hinterfragt wurde. „Wir waren Kinder und es hat uns eher amüsiert, wenn wir durch die Soldaten hindurchflitzten, um zur Schule zu gehen. Auf der Mopke zwischen Neuem Palais und Communs sei immer exerziert worden und wenn die Soldaten Liegestütze machen mussten, lagen sie auch schon mal mit dem Gesicht im Dreck oder in einer Pfütze, erinnern sich die beiden Frauen.

Doch dann kommen andere Erinnerungen hoch. Die Regeln in Sanssouci seien streng gewesen, erzählt Charlotte. Sie durften nicht in der Wohnung waschen, sondern hatten dafür eine Waschküche. Zum Trocknen wurde die Wäsche dann in die Kuppel der Kolonnaden hochgeschleppt und dort aufgehängt. Der Park sei abends immer abgeschlossen worden, als „Einwohner“ habe man aber einen Schlüssel für die Tore gehabt. Radfahren sei schon immer streng verboten gewesen. Ihr Vater habe sogar einmal den Schlitten tragen müssen, weil ihm ein Parkwächter das Schlittenziehen mit der Tochter darauf verboten habe, erzählt Charlotte.

Die Nazizeit hat die Familie eher zurückgezogen überstanden und war mit dem Alltagsproblemen beschäftigt. Nur wenn Onkel Max aus Berlin gekommen sei, habe ihnen die Mutter den Mund verboten, denn Max sei ein glühender Verehrer des Faschismus gewesen, erzählt Charlotte. Und dann holt sie einen Brief hervor, in dem bereits 1934 angeordnet wurde, dass sich die Mutter als Luftschutzhelferin zu einem Lehrgang zu melden habe. Die Frauen sollten bei Alarm auf den Boden rennen und Brandbomben löschen. Doch die hätten für sich beschlossen, lieber ihre Kinder zu schützen als auf Hausböden herumzulungern. Von Krieg sei ja damals überhaupt noch keine Rede gewesen.

Der drängte sich erst ins Bewusstsein, als der Bruder mit 18 Jahren eingezogen wurde und an die Ostfront kam. Eine Verwundung rettete ihm quasi das Leben, denn er musste nicht an die Ostfront zurück und kam nah Frankreich und von dort in amerikanische Gefangenschaft. Die 14- und 15-jährigen Hitlerjungen, die noch in letzter Stunde in den Endkampf geschickt wurden, hatten da weniger Glück. „Ich sehe ihre Leichen noch hinter den Communs liegen und kann den Anblick nicht vergessen“, sagt Irmgard. „Und wenn ich heute Nachrichten sehe, dann kriege ich Angst, dass die Menschheit nie schlau wird.“ Als 1945 das Haus I der Communs ausbrannte, verließ die Familie kurzzeitig die Wohnung, wurde später von den Russen noch ein paarmal hinausgeworfen, kehrte aber immer wieder zurück. „Wer das Feuer verursacht hat, ist nie völlig geklärt worden“, sagt Charlotte. Es kann durch den Beschuss durch die Rote Armee ausgebrochen sein, es können aber auch die Nazis daran schuld haben, die im Haus I die Schule des Reichsarbeitsdienstes untergebracht hatten und die wahrscheinlich dort Aktenberge verbrannt haben. Irmgard hat an die Nachkriegszeit noch böse Erinnerungen, über die sie nicht sprechen will. Immer noch nicht. Sie sei nach den „Vorfällen“ lange krank gewesen, sagt sie.

Ausziehen musste die Familie erst, als die Pädagogische Hochschule die Communsgebäude im November 1949 für sich reklamierte. Die Stohfs bekamen ein Häuschen nahe der Sanssouci-Gärtnerei zugewiesen und durften die Hälfte der Miete in dessen Innensanierung stecken. Heute wohnen die beiden Schwestern, deren Männer inzwischen verstorben sind, in sanierten Mietwohnungen und müssen mit ganz anderen Problemen kämpfen. Obwohl die eine über 30 Jahre im Büro gearbeitet hat und die andere bis zur Rente als Schneiderin, viele Jahre in Sanssouci in der Textilrestaurierung, bekommen sie eine Rente, die fast vollständig für die Miete draufgeht. Nur die jeweilige Witwenrente rette sie vor der Altersarmut. Trotzdem will sich Irmgard die große Friedrich-Ausstellung im Neuen Palais ansehen. Den Eintritt hätten ihr die Enkel geschenkt, sagt sie. Und sie wird sicher zu den Kolonnaden hinüberwinken, deren Restaurierung sich nun schon über sieben Jahre hinzieht. Doch für die beiden alten Damen schließt sich damit ein Kreis und sie sind froh darüber, dass so viel alte Schönheit erneuert wird.

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