
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Weltanschauung aus dem Hühnerstall
Warum Gerald Schneider auch nach 30 Jahren immer noch gern Schulleiter ist und nie mit weißem Hemd zum Dienst kommt
Stand:
Dass dieser Mann von der Statur eines Wandschranks die Wahl seines Studienfachs einst der Entfernung der Uni von seinem Elternhaus unterordnete – schwer zu glauben. Gerald Schneider wäre gern Lehrer für Geografie und Geschichte geworden. Für diese Wunschkombination hätte der junge Mann aus der Oberlausitz nach Greifswald gehen müssen. Zu weit schien ihm das, also ging er nach Halle und studierte Geschichte und Staatsbürgerkunde – in der Hoffung, „da noch was draus machen zu können“.
Jetzt ist der Mann mit dem breiten Kreuz, Jahrgang 1954, seit 30 Jahren Schulleiter der Grundschule Am Pappelhain im Wohngebiet Am Stern. Für den Absolventen war es 1976 die erste Lehrerstelle überhaupt, für ihn war alles neu, auch die Schule war es. Bis heute hält die Verbindung.
Erst vor wenigen Wochen brachte Brandenburgs Bildungsministerin ein Schild vorbei, das der Schule die Teilnahme am Inklusionsprojekt bescheinigt. „Dabei machen wir das eigentlich schon lange“, sagt Schneider. Als Schule im sozialen Brennpunkt bleibe ihm gar nichts anderes übrig – aber weg will er hier auch nicht. Tauschen mit seiner Kollegin vom Griebnitzsee? „Niemals. Ich gehöre hierher.“ Schneider lacht. „Ich bin einer der Lehrer, die nicht mit einem weißen Hemd über den Hof gehen können.“ Da würden gleich unzählige Kinderhände ihre Spuren drauf hinterlassen, meint er, weil die Schüler ihn oft und gern knuddeln und umarmen.
Dabei könne er auch streng sein, wenn es sein muss. „Kinder brauchen Regeln, die ihnen Halt geben“, ist der Pädagoge überzeugt. Ein normaler Schultag beginnt für ihn viertel vor acht am Mikrofon des Schulfunks. „Täglicher musikalischer Einstieg in den Schulalltag und Begrüßung durch den Schulleiter“ nennt er das. Außerdem würden Projekte und kleine Wettkämpfe ausgewertet, gelobt, kritisiert oder gegebenenfalls Ordnungsmaßnahmen verkündet. „Das hat eine unglaubliche Wirkung“, sagt Schneider. Und manchmal mache es einfach nur Spaß.
Als der angehende Student sich damals für Staatsbürgerkunde entscheidet, ist das noch anders. Lustig ist das weniger, politisch diskutieren will an der Uni in Halle auch niemand außer den angehenden Theologen. Später in der Schule versucht er, die marxistische Ökonomie anhand der Bewirtschaftung seines Gartens und Hühnerstalls zu erklären. „Das war sehr anschaulich – ich durfte mich nur nicht von der Hospitation erwischen lassen.“
1982 wird er Direktor der damaligen POS 45, muss dann auch notgedrungen in „die Partei“ eintreten. Das wird ihm zum Verhängnis, als die Wende kommt. „Ein Ex-Parteimitglied und Ex-Staatsbürgerkundelehrer als Schulleiter – das ging ja gar nicht.“ Doch so aufgebracht und verunsichert alle Beteiligten und vor allem die Elternschaft ist: Als Schneider 1990 die Vertrauensfrage stellt, gibt es keine einzige Gegenstimme, er bleibt. Nach einer dienstfachlichen Prüfung wird er ordentlicher Rektor beider zusammengelegter, benachbarter Grundschulen. Dann endlich holt er sein Geografiestudium nach, berufsbegleitend an der Uni Potsdam, und fühlt sich endlich „wie ein echter Student“, als er mit Herzklopfen auf dem Flur steht und auf das Ergebnis wartet, darauf, ob er denn die Prüfung auch bestanden hat. Das macht ihn glücklich.
Mittlerweile ist er verheiratet und hat selbst eine große Tochter, die Studentin ist. Von Montag bis Mittwoch ist Schneider Lehrer, Donnerstag und Freitag Schulleiter, am Wochenende – Gärtner. Gut möglich, dass der 1200 Quadratmeter große Garten samt Hühnerzucht („Aber jetzt ideologiefrei!“) ihn fit hält, nicht einen Krankentag habe er gehabt, schwört der große Mann. Gebuddelt hat er auch schon auf dem Schulgelände. 1977 wurden hier 80 Pappeln angepflanzt, von einem Förster, Vater eines Schülers, „organisiert“. „Die konnte man nicht einfach im Baumarkt holen“, erinnert sich der Lehrer. Die Bäume, die der Schule den Namen gaben, wurden im Zuge von Bauarbeiten gefällt, und Schneider hat mittlerweile die nächste Generation nachgepflanzt, nach der jüngsten Schulsanierung. Damals sorgte er sich, dass jemand auf das Baugerüst klettern und die frisch hergerichtete Außenfassade mit Graffiti beschmieren könnte, machte sogar in den Ferien regelmäßig Kontrollgänge.
Doch es sind vor allem die Kinder, um die er sich Gedanken macht. Eine grundsätzliche Aufstockung des Personals auf zwei Lehrer pro Klasse hält er für dringend geboten, wenn im gemeinsamen Unterricht alle Kinder gefördert werden sollen. Vor allem liegt ihm eine sozialraumbezogene Differenzierung am Herzen. „Wir haben hier aufgrund der sozialen Durchmischung mit mehr Problemen zu kämpfen als andere Schulen. Das sollte auch bei der Ausstattung Berücksichtigung finden“, sagt Gerald Schneider. „Es ist einfach so, die Schule ist mein Lebenswerk.“
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