25 Jahre Bahai-Gemeinde in Potsdam: Wer den Menschen dient, dient Gott
Bei den Bahai läuft vieles anders als bei anderen Religionen: Potsdams kleinste Glaubensgemeinschaft feiert 25. Geburtstag.
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Keine Priester, Gleichberechtigung der Religionen, humanistische Ethik, Ablehnung von Selbstkasteiung und Askese – das Bahaitum ist eine recht ungewöhnliche Religion. Entstanden ist sie vor rund 150 Jahren im heutigen Iran. Seitdem haben sich überall auf der Welt Gemeinden gebildet, die dem Gedanken von Nächstenliebe und friedlichem Zusammenleben verpflichtet sind. Auch in Potsdam leben rund 35 Bahai, die meisten davon im Stadtteil Potsdam-West. In diesem Jahr wird die Gemeinde 25 Jahre alt. Gefeiert wird dies am 14. November in den Sälen der Friedenskirchen-Gemeinde – zwei Tage nach dem Geburtstag des Religionsstifters Bahá’u’lláh.
„Ich bin in der DDR aufgewachsen und hatte mit Religion eigentlich nichts zu tun“, sagt die Potsdamerin Heike Kottwitz, eine der Gemeindemitglieder. Als Anfang der 1990er Jahre ihre Tochter geboren wurde, habe sie begonnen, sich verstärkt mit grundlegenden Fragen nach dem Sinn des Daseins auseinanderzusetzen. Dabei stieß sie schließlich auf das Bahaitum: „Das gab mir die Antworten auf die Fragen, die ich hatte“, sagt Kottwitz. „Dass alle Religionen einen gemeinsamen Ursprung haben und Gott sich fortschreitend weiter offenbart, war für mich total einleuchtend“, erzählt sie: „Auch, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und dass es keine Priester gibt, hat mich angesprochen.“
Rund sieben Millionen Bahai gibt es Schätzungen zufolge weltweit, in Deutschland sollen es rund 6000 sein. Neben dem Ziel einer in Frieden vereinten Menschheit glauben Bahai vor allem daran, dass Gott sich nicht nur einmal offenbart hat, etwa durch Jesus oder den Koran, sondern dass er sich immer wieder neu offenbart und neu verstanden werden muss. Daher müssten sich Religionen auch erneuern, wenn sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Gleichzeitig akzeptieren Bahai alle anderen Religionen und lesen in Andachten auch aus deren Schriften. Der einzige europäische Bahai-Tempel im hessischen Langenhain besitzt neun Eingänge, die im Einzelnen für die großen Weltreligionen stehen.
Die ersten Bahai kamen schon 1905 nach Deutschland, auch in der späteren DDR gab es vereinzelt Anhänger der Religion. Die Potsdamer Gemeinde wurde durch eine ursprünglich aus Bonn stammende Familie gegründet. Einige Zeit zuvor hatte sie aus beruflichen Gründen im ostafrikanischen Staat Ruanda gelebt, musste 1990 jedoch wegen des Bürgerkriegs flüchten und kam nach Potsdam. Hier entstand 1996 der erste sogenannte „Geistige Rat“, der vor allem für administrative Aufgaben zuständig ist. Ein solcher Rat kann überall entstehen, wo es mindestens neun Bahai-Anhänger in einer Stadt gibt.
Nachdem sich das Gemeindeleben in den 1990er Jahren eher nach Berlin verlagert hatte, wachse die Potsdamer Gemeinde in den letzten Jahren stetig, berichtet Kottwitz. Das Gemeindeleben besteht unter anderem aus religiösen Festen wie dem 19-Tage-Fest oder regelmäßigen Andachten: „Die kann jeder bei sich zu Hause anbieten“, erklärt die Potsdamer Studentin Anisa Hofmann. „Dabei werden zum Beispiel Gebete aus den Bahai-Schriften gelesen oder gesungen“, sagt sie.
Bestimmte Rituale oder sakrale Orte spielten dabei keine Rolle: „Ein Gebet ist einfach ein Gespräch zwischen Gott und mir selbst, das kann ich überall führen“, sagt Furutan Celebi. Der 44-jährige Marketing-Manager ist seit seiner Jugend Bahai und lebt in Potsdam. Auch Gottesdienste im traditionellen Sinne gibt es nicht bei den Bahai: „Jeder Dienst, den man am Menschen tut, ist quasi Gottesdienst“, erklärt Celebi.
Aus diesem Verständnis heraus engagieren sich viele Bahai ehrenamtlich und sozial. Kottwitz etwa ist Mitarbeiterin des Frauenzentrums in Potsdam und betreut die Zufluchtswohnung einer Kriseneinrichtung für Frauen, Celebi ist ehrenamtlicher Kinderfußball-Trainer auf dem Sportplatz Westkurve. Zudem bietet die Gemeinde im Rahmen der interkulturellen Woche Vorträge an und leitet Kinder- und Jugendgruppen. Dort werden grundlegende Bahai-Tugenden wie Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Gerechtigkeit vermittelt.
Als Bahai wird man nicht geboren: Mit dem 15. Lebensjahr können Jugendliche selbst entscheiden, ob sie Bahai sein wollen oder nicht. Celebi hatte als Jugendlicher vor allem angesprochen, dass alle Religionen und Kulturen als gleichberechtigt gelten, erinnert er sich. „Diese vorurteilslose Liebe zur Menschheit hat mich einfach angezogen“, sagt Celebi. „Warum sollte Gott unterschiedliche Menschenklassen erschaffen? Diese Unterschiede machen wir alle selbst.“ Und noch eine Besonderheit zeichne das Bahaitum aus: Religion dürfe nicht der Vernunft und der Wissenschaft widersprechen. „Wissenschaft und Religion sind wie zwei Flügel“, sagt Furutan Celebi. „Ein Vogel kann nur fliegen, wenn er beide hat.“
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