Homepage: Wer war Honnecker?
Didaktiker der Uni Potsdam meinen, dass die DDR-Zeit im Schulunterricht zu kurz kommt Ein Problem sei auch, dass viele Lehrer beim Thema DDR befangen sind
Stand:
Über sieben Prozent der deutschen Gymnasiasten halten Erich Honecker für den zweiten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Dass die DDR-Geschichte an deutschen Schulen zu kurz kommt, war nicht nur dieser Tage im Rahmen der Gedenkveranstaltungen für die Maueropfer wieder Thema. Schon im vergangenen Jahr hatte die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur mit einer Schülerbefragung große Wissenslücken bei den Schülern aufgedeckt. So wusste weniger als die Hälfte der Schüler, dass der Arbeiteraufstand in der DDR 1953 stattfand. Grund genug für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse zu kritisieren, dass die Lehrpläne zu wenig Gelegenheit für eine ausreichende Auseinandersetzung mit der DDR bieten würden.
Die Professorin für Didaktik der Geschichte an der Universität Potsdam, Dagmar Klose, sieht das Problem für Brandenburg aber weniger in den Lehrplänen als im Zeitpensum für den Geschichtsunterricht. „Mit einer Wochenstunde in der zehnten Klasse kann Geschichte nicht vermittelt werden“, sagte sie den PNN. Ein solches Stundenvolumen in der Sekundarstufe I sei hoffnungslos, zumal sich daran auch nichts ändere. Es sei lernpsychologisch unmöglich, in dieser einen Stunde neben anderen wichtigen Themen auch die DDR-Zeit umfassend zu behandeln. „Ich kann meinen Studierenden nicht erklären, wie sie einen solchen Zauber vollbringen sollen.“ Gegen die Zeitvorgaben des Ministeriums habe es schon vermehrt Vorstöße gegeben – bislang ohne Erfolg. Zudem sei das Thema DDR-Geschichte direkt nach der Wende im Osten schwierig gewesen, da die Lehrer meist selbst eine persönliche Erfahrungsgeschichte damit verbanden. „Doch nun haben wir die nötige Distanz“, so Klose. Die Geschichte der DDR als Beziehungsgeschichte mit der BRD, eingebettet in den Ost-West-Konflikt sei ein hochinteressantes Thema für die Schüler.
Auch Didaktik-Professor Günter C. Behrmann von der Uni Potsdam sieht eine grundlegendes Problem in der Stundenkapazität. Wenn man von ein bis zwei Stunden Geschichtsunterricht pro Woche ausgehe, dann sei schon verwunderlich, was nach Erwartung der Öffentlichkeit alles in dieser kurzen Zeit gelehrt werden soll. „Vom Mittelalter über Nationalsozialismus bis zu den modernen Demokratien – da kann man immer davon sprechen, dass es Defizite gibt.“ Wichtiger allerdings sei die Frage, wie die Lehrer unterrichten, was bei den Schülern vom Stoff überhaupt ankomme. Die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen dazu seien ernüchternd.
Behrmann erinnerte auch daran, dass es eine relativ lange Übergangsphase gegeben habe, bis nach der Wende die Geschichte des geteilten Deutschlands in den Lehrplänen ihren Ort gefunden habe. Das größte Problem in der Vermittlung der DDR-Geschichte sieht Behrmann bei den Geschichtslehrern der neuen Bundesländer. Da die meisten von ihnen schon vor der Wende gelehrt hätten, sei es nur verständlich, dass es bei ihnen heute noch eine Zurückhaltung mit der kritischen Auseinandersetzung gebe. „Da Geschichte in der DDR ein stark ideologisch überfrachtetes Fach war, fällt es den älteren Geschichtslehrern oft schwer, das Thema DDR nun allzu hart und kritisch anzupacken.“
Prof. Mario Keßler, Mitarbeiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), warnte allerdings davor, die Geschichtslehrer, die diesem Beruf schon in der DDR nachgingen, heute zu zwingen Dinge zu lehren, hinter denen sie nicht stehen. „Das merken die Schüler.“ In diesem Zusammenhang merkte Keßler auch kritisch an, dass es nach der Wende durchaus auch erwartet wurde, die eigene Biografie zu verleugnen, um im neuen System zu reüssieren.
Keßler verweist allerdings auch auf die Freiheit der Lehrer, das Thema DDR heute je nach eigenem Ermessen verstärkt im Unterricht zu behandeln. Zentral ist für den Historiker vor allem aber die Frage, wie die DDR-Zeit im Schulunterricht vermittelt wird. Schließlich handele es sich um ein hochambivalentes Thema. Die DDR sei einerseits eine Diktatur gewesen, die gegen Menschenrechte verstieß, andererseits aber auch ein „ernsthafter Versuch zur Lösung der sozialen Frage“. „Dies sollte im Schulunterricht immer sichtbar werden“, sagte der Zeithistoriker, der auch an der Universität Potsdam lehrt.
Die Lehrer sollten nach Keßlers Meinung in Ost wie West die deutsche Geschichte den Schülern in ihrer Zweistaatlichkeit erschließen. „Schließlich waren DDR und BRD Produkte des Kalten Krieges, und die DDR-Bürger konnten es sich nicht aussuchen, wo sie lebten“, so Keßler. Zum Teil durch Opposition, zum Teil durch den Verbesserungswillen sei in 40 Jahren zudem eine Nachdenklichkeit entstanden, die erhaltenswert sei. „Niemand sollte pauschal über die DDR urteilen.“ Das ZZF biete zusammen mit der Universität Potsdam für zukünftige Lehrer einen reichen Fundus an Lehrstoff zur DDR-Geschichte an. Unter den Studierenden macht Keßler in den vergangen Jahren ein stark gewachsenes Interesse am Thema DDR aus, auch bei Studierenden aus den alten Bundesländern.
Das brandenburgische Bildungsministerium sieht indes keinen Nachholbedarf beim Thema DDR in den Schulen. Der Büroleiter von Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD), Reiner Walleser, sagte den PNN, dass das Thema in den Rahmenlehrplänen ausdifferenziert untergebracht sei. Im Jahr 2002 wurde die Geschichte der DDR zum Kernbestandteil des Curriculums der Fächer Geschichte und Politische Bildung festgeschrieben. Der Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I enthält verbindliche Hinweise zur Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte, um zu verhindern, dass dafür bis zum Ende der 10. Klasse nicht ausreichend Zeit bleibe. Geschichte und Politische Bildung werden laut Ministerium je nach Schwerpunkt in der Jahrgangsstufe 10 ein- bis zweistündig unterrichtet, in der Gymnasialen Oberstufe dann drei- bis fünfstündig. Schon frühzeitig habe man Kooperationen mit der Birthler-Behörde und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur angestrebt. Von Wissenslücken zu dieser Thematik bei Brandenburger Schülern sei nichts bekannt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: