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Reden über Lotte. Lutz Boede (r.) mit einem Anwohner von Zentrum-Ost.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: Wer war Lotte Pulewka?

Eine schmucklose Verbindungsstraße ist nach einer Frau benannt, die keiner richtig kennt. Nur ein paar Geschichten ranken sich um die Genossin, an deren 120. Geburtstag gestern erinnert wurde

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Geschichten sind von ihr geblieben. Und ein paar Straßenschilder. Zu wenig, findet der Potsdamer Ortsverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) im Land Brandenburg. Anlässlich des 120. Geburtstags von Lotte Pulewka erinnerten einige Vereinsmitglieder am gestrigen Dienstag mit einer Aktion an die Potsdamerin mit der vergessenen Geschichte.

Und zwar in der Lotte-Pulewka-Straße. Seit wann genau die Straße zwischen Babelsberg und Humboldtring so heißt, konnte Lutz Boede vom VVN-BdA gar nicht sagen. Sicherlich seit Entstehen von Zentrum-Ost. Dort wohnen mittlerweile zumeist ältere Bürger, manche schon seit vielen Jahren. Wer Lotte Pulewka war, wissen einige, die hier am Vormittag einkaufen gehen, gar nicht. Eine Dame ahnt, dass es sich um eine Antifaschistin handeln könnte. Und eine andere Anwohnerin sagt, sie habe aus Neugier einmal im Lexikon nachschauen wollen und nichts gefunden.

Das ist das Problem, sagt Boede: „Die Quellenlage ist dünn, auch im Internet. Es gibt nicht mal ein richtiges Bild von ihr.“ Auch im Stadt-Archiv und Potsdam Museum sei keines zu finden, hieß es gestern auf Nachfrage der PNN.

Was insgesamt sehr schade ist, findet Boede, der auch Geschäftsführer der Fraktion Die Andere ist. Er sehe da die Stadt auch etwas in der Pflicht. Immerhin trage die Straße den Namen der Frau als Mittel zur Erinnerung. Boede und Marcus Pilarski, Geschichtsstudent, würden sich über Hinweise zum Leben von Lotte Pulewka freuen. Irgendwann sollte es doch möglich sein, eine „faire, umfassende Biografie“ zu erstellen.

Geschichten freilich gibt es ein paar, und auch einige Fakten über die Frau, die 1966 starb und auf dem Neuen Friedhof in Potsdam beigesetzt wurde. Am 16. Juli wird Lotte Pulewka in Ostpreußen geboren, von 1911 bis 1914 absolviert sie eine Ausbildung zur Gewerbelehrerin, teils in Königsberg, teils in Potsdam. In Berlin tritt sie in die SPD ein und bekommt Kontakt zur Gruppe um Hermann und Käte Duncker, aus derem Kreis 1918 die Gründer des Spartakusbundes hervorgehen: Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Wilhelm Pieck. „Das ist aber alles sehr vage“, sagt Pilarski. 1921 emigriert sie in die Sowjetunion, arbeitet dort in Kinderheimen und als Lehrerin. Mit Kriegseintritt der UdSSR wird sie nach Kasachstan deportiert. 1946 kann sie nach Ostdeutschland zurückkehren und arbeitet für die Parteileitung als Bibliothekarin. „Verbannung war ein Makel, darüber redete man nicht, diese Erfahrung haben ja viele gemacht“, so Pilarski. Vermutlich sei das ein Versorgungsposten, eine Art seitliche Arabeske gewesen. Ob Pulewka verheiratet war, es Angehörige gibt oder gab, ist unbekannt.

Der Historiker Heinz Deutschland, der Duncker noch persönlich kannte, kann über Lotte Pulewka auch nur wenig sagen. Allerdings habe sie wohl zum inneren, vertrauenswürdigen Kreis gehört und sei auf ihre Art doch sehr aktiv gewesen. Sie habe konkrete Aufträge übernommen und beispielsweise am 9. November 1918 Flugblätter verteilt. Das gehe aus dem Briefwechsel zwischen Käte und Hermann Duncker hervor. Am hartnäckigsten hält sich die Geschichte von Lotte Pulewka als der „Retterin von Wilhelm Pieck“. Da sei durchaus Wahres dran, so Historiker Deutschland: Nach seiner Version war der künftige erste Präsident der DDR mit weiteren Mitstreitern im November 1918 verhaftet worden. In einem Vorraum im Gerichtsgebäude warteten sie auf die Vernehmung. Die Befreier schickten Lotte Pulewka in den Warteraum, die die Bewacher ablenkte und den Gefangen zuraunte, dass unten ein Fluchtauto bereit stehe.

Lutz Boede verteilte gestern Flyer, in denen eine andere Version zu lesen ist: Demnach sei sie im Januar 1919 an der Befreiungsaktion von Pieck, der zeitgleich mit Luxemburg und Liebknecht verhaftet wurde, aus dem Charlottenburger Militärgefängnis beteiligt gewesen. Boede selbst sagt, das sei im Hotel Eden gewesen, wo Pulewka als Putzfrau gearbeitet hätte. „Da kannte sie sich aus und hat Pieck rausgeschleust.“

In Potsdam gebe es noch mehr Straßen, die nach Personen benannt sind, die keiner mehr so richtig kennt, befürchtet Pilarski. Etwas Aufklärung würde sich auch über Hermann Elflein, Walter Klausch und Fritz Perlitz lohnen, sagte er.

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