Landeshauptstadt: Wiedersehen mit Goyanern
Knut Elstermann, der „Kino King“, sprach mit den Machern des Defa-Films „Goya“ von Konrad Wolf ( 1971). Der Streifen erscheint in Kürze als DVD
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„Kino King Knut“ war gerade noch auf „Radio eins“ zu hören. Da hat er nur zwei von fünf möglichen Punkten für „Paris, je t''aime“ vergeben. Etwas verspätet und außer Atem betritt Knut Elstermann nun das Maskenstudio. „Ach“, sagt er abwinkend, „das Leben ist zu kurz, um sich diesen Film anzusehen“. Unter seinem schwarzen Mantel trägt er einen weinroten Pullover, den der freie Filmkritiker „im Winterschlussverkauf“ erstanden haben will. Zwei Drehtage hat Produzent Uwe Fleischer für das DVD-Bonusmaterial zum Defa-Film „Goya“ eingeplant. „Knut Elstermann trifft Goya“ wird der kleine Zusatzstreifen zum Hauptfilm von Konrad Wolf auf der Film-DVD heißen. Es ist ein kleines Jubiläum: Es wird der 100. Beitrag als Bonusmaterial einer DVD sein, die die Firma „Icestorm“ auf den Markt bringt.
Genau genommen trifft der Kino King ehemals Mitwirkende an dem im Studio Babelsberg 1971 produzierten Streifen über den großen Franzisco de Goya, den ersten Hofmaler König Karls IV. von Spanien. Am zweiten Drehtag soll Elstermann wieder den weinroten Pullover anziehen, meint Fleischer, „frisch gewaschen und gebügelt“.
Jürgen Holzapfel war 28 Jahre alt und damals Maskenbildner. Er sorgte auch für den richtigen Teint jener Schauspielerin, die die Maja verkörperte, die berühmte Maja, die Goya nackt malte, das erste spanische Aktbild überhaupt, auf dem weibliches Schamhaar zu sehen war. An seinem Schminktisch nimmt nun Knut Elstermann Platz. „Handys aus“, ruft Fleischer und fragt, wer jetzt „angelt“, wer also das an einer Stange montierte Mikrofon trägt, das den Ton der Szene aufnimmt und nie im Bild zu sehen sein darf, auch wenn dem „Angler“ langsam die Arme weh tun. Kevin Weiß muss ran, einer der Auszubildenden, die bei Uwe Richter das Filmemachen lernen.
„Kamera läuft“, sagt Fleischer, „ und bitte!“ Fleischer fordert nicht zur „Action“ auf, er bittet. Hier dreht nicht Hollywood, sondern Babelsberg. Auf dem Maskentisch steht eine neue Tube Florena Softcreme. Was gut ist, setzt sich durch.
Knut Elstermann schaut in den Spiegel und sein Spiegelbild schaut zu Jürgen Holzapfel. Er spielt Enttäuschung. Majas Haare waren nicht echt. „Die Haare im Rokoko waren anders. Das ging nicht mit eigenen Haaren“, klärt der Maskenbildner auf. Fast alle Kollegen haben damals für den Film Perücken knüpfen müssen. Sein Interviewer gibt kurze Stichworte und Holzapfel kommt in Schwung: Er war ja damals noch fast Berufsanfänger und musste Kaffee kochen, frisch gemahlenen. Einmal vergaß er, den Deckel der elektrischen Mühle festzuhalten, worauf die Kaffeekörnchen nur so durch die Luft flogen, um dann ausgerechnet auf die weißen Perücken niederzuregnen. Dann erzählt Holzapfel zu Elstermanns Wohlgefallen von der „neuen Schminkphilosophie“, an deren Durchsetzung er mittat: Nicht einfach das Gesicht mit Grundierung „zuschmieren“ und dann darauf aufbauen, sondern erstmal ausgehen „von dem was ist“. Das Spiegelbild des Filmkritikers nickt anerkennend seinen künftigen DVD-Zuschauern zu, was so viel heißen könnte wie „Sieh mal an“.
„Und Schluss.“ Die Szene ist in einem Dreh im Kasten. Der Drehtag beginnt vielversprechend, Uwe Fleischer reibt sich die Hände und treibt seine Azubis sogleich zur nächsten Einstellung im Kostümfundus an.
Viel Kleidung, aber wenige Kleider: Melker-Blusen, russische Generalsuniformen, Ritterrüstungen. Überall Sachen für Männer. Fundusmitarbeiterin Marlies Zahlmann weiß, warum das so ist: „Wen sehen Sie im Film? 20 Männer und eine Frau, die sich als Mann kleidet!“ Zwischen den Regalen, aus denen sich ein Papst oder ein König neu ausstatten könnte, laufen Jürgen Holzapfel und Knut Elstermann ins Gespräch vertieft den Gang entlang. Der Brennpunkt des Kameraobjektives muss jeden Schritt mitgehen, um die Schärfe zu halten. Da ist plötzlich das Mikro zu sehen, „Mist“, ruft David an der Kamera, „ich hatte die Schärfe gerade so richtig schön im Bild“.
Wieder gehen die beiden Akteure den Gang entlang, guck mal hier, sieh mal da, da sind ja die Caprichos, Goyas Alpträume, ausgerechnet bei den NVA-Uniformen. In einer Reihe liegen die im Film verwendeten Monster-Masken, mit denen Goyas Angstvisionen nachgespielt wurden. Der Maler selbst hat sie zu Papier gebracht. Die Berühmteste heißt „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“
Plötzlich quietscht etwas. Es dauert ein paar Sekunden, bis alle begreifen, dass irgend jemand den Lastenaufzug betätigt hat. Fleischer geht in die untere Etage und was er dort sagt, ist auch noch am Set zu hören: „Wenn er oben ist, ist erstmal Ruhe!“ „Klare Ansage“, nicken sich die Azubis zu.
Beim dritten Anlauf kommen Holzapfel und Elstermann wieder zu den Capricho-Masken. „Das sind die Geister, die Goya geplagt haben“, sagt der Maskenbildner und der Filmexperte erkennt eine der Fratzen aus dem Film wieder, die „mit der dicken Unterlippe“. Er setzt sie sich auf und „Schnitt“.
Nun erzählt Horst Schmidt, 1971 erster Aufnahmeleiter von „Goya“, seine Geschichte. Es ist eine besondere, denn Schmidt war „Prinz Louis von Parma“.
Das kam so: Es ist gerade SED-Parteitag und Konrad Wolf, gleichsam Kulturpolitiker, muss nach Berlin. Es ist unklar, ob an diesem Tag noch gedreht werden würde. Der Herr Pfister, der den Parma-Prinzen spielt, wartet in einem Hotel auf seinen Einsatz. Dann erscheint Wolf doch, wer fehlt ist Pfister. Sein Hotel hat ihn nicht informiert. So macht Horst Schmidt den Job, der vorwiegend darin, bestand, neben Rolf Hoppe als König Karl IV. und seiner Sippe zu stehen und von „Goya“ gemalt zu werden. „Die Familie Karls IV.“ sagten zeitgenössische Kritiker, sähe auf dem Porträt aus „wie ein Bäcker und seine Gemahlin nach einem Lotteriegewinn“. Die Darstellung Goyas sei schonungslos realistisch.
„Ja, warum hat das denn der Horst nicht von Anfang an gemacht“, soll Konrad Wolf zur Leistung seines Ersatzschauspielers gesagt haben. Während Schmidt erzählt, deutet er auf ein rotes Samtkostüm, das er damals als Prinz getragen hatte.
„Hey, sagt doch mal, dass wir Spitze waren“, feuert sich Elstermann nach dem „Schnitt!“ an. Der Dreh ging glatt durch wie ein heißes Messer durch Butter. Doch Produzent Fleischer ist mental schon in der nächsten Szene, so hilft Kameramann Sascha aus: „Klar, ihr wart sehr gut.“
Auf dem Weg zum Requisitenfundus checkt Knut Elstermann sein Handy. „Acht E-Mails“, witzelt er, „da weiß ich, dass ich noch im Geschäft bin. Bei zwei wäre ich draußen.“ Es ist kurz vor der Berlinale, auf der ist der Kino King der Kaiser.
Mit über einer Million Stück errang der Requisitenfundus 1992 den Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Die Urkunde hängt im Gang neben Fotos von Ufa- und Defa-Stars wie Marlene Dietrich oder Armin Müller-Stahl. Neben seiner „Nackten Maja“ nimmt Filmkunstmaler Hans Schneider Platz. Legal haben er und weitere Kollegen 80 Gemälde Goyas fälschen dürfen. Weitere 40 kamen aus den „Lenfilmstudios“ im damaligen Leningrad. Freilich hätten Schneiders „Plagiate für den kurzen Moment“ keinen Fachmann täuschen können, doch für die Kameras hat es genügt. Elstermann, der weiß, dass die Originale im Prado hängen, fragt, woher Schneider, der als DDR-Bürger nicht nach Madrid reisen durfte, die Bilder so gut kannte. Schneider, der mit seinem grauen Bart und dem Halstuch selbst gut als alter Meister durchginge, zeigt einen vergilbten Bildband, aus dem er die Maja und andere Werke Goyas abmalte. Das Genie „hatte so einen weichen Strich, da konnte ich kaum mithalten“, sagt er. Auch Schneider erfreut Moderator Elstermann mit einer Anekdote: Seine Kopie von „Die Familie Karls IV.“ verschwand am letzten Drehtag spurlos. „Es ist eine große Ehre für Goya, dass er so nachgefragt ist“, so Hans Schneider lachend. Und es ist auch eine große Ehre für Hans Schneider.
Alles hat einen puderzuckerartigen Überzug, die Riesenmaske aus dem Film „V wie Vendetta“ mit Natalie Portman, die Voltaire-Büste, die Engel, die Monster, die römischen Jünglinge und auch die „Pietà“, die im Original von Käthe Kollwitz stammt und in der Kopie von Herbert Göbel. Der breitschultrige Mittfünfziger ist Stuckateur. Er sitzt in seinem Atelier Elstermann gegenüber und wird ihm erzählen, wie sie für den Film halbe spanische Kirchendecken aus Gips nachformten. Doch die Sonne brennt winteruntypisch durch das Fenster, so dass Fleischers Filmer zu viel Licht haben, obwohl sie sonst nicht genug davon kriegen können. Fleischer blickt hinaus und sieht Hoffnung heraufziehen. Er ruft aus: „Wir starten mit der Wolke.“ Als sie sich vor die Sonne schiebt, beginnt Göbel, der 1971 gerade ausgelernt hatte, von den damaligen Schwierigkeiten zu erzählen. Sie mussten sich immer beeilen, denn der Gips wurde in 30 Minuten hart, „der DDR-Gips garantiert“. Heute würden ja viele Filmkulissen aus Styropor gemacht. Aber der war damals noch nicht so gut. Außerdem sollten die Sachen so echt sein, „dass es kribbelt, und Gips hat gekribbelt“. 250 Tonnen hätten sie damals für „Goya“ verarbeitet. Offen erklärt er, dass er sich schon gefragt habe, was das soll, halbe Kathedralen für einen Film zu bauen „und dann guckt ihn sich keiner an“. 1,2 Millionen Zuschauer hatte „Goya“, für heutige Verhältnisse wäre das toll, doch Konrad Wolf war enttäuscht, berichtet Uwe Fleischer. Darum drehte Wolf dann Gegenwartsthemen, ergänzt Elstermann. Zuerst „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ und dann „Solo Sunny“.
Wegen „Solo Sunny“ hat sie Schauspielerin werden wollen, sagt Gerit Kling im letzten Dreh für diesen Tag. Dazu hat Produzent Fleischer eine Szene-Idee: Sie besucht gerade „zufällig“ ihren Vater Uli Kling, der gerade wirklich seinen letzten Arbeitstag als Ateliermanager von Studio Babelsberg hat. Gerit Kling spielte 1971 die vierjährige Tochter von Goya. Selbst hat die Schauspielerin nur wenige Erinnerungen an den Film. Nur dass sie Perücken und wunderschöne Kleidchen trug. „Ich fand mich traumhaft schön.“ Und sie erinnert sich, dass sie an der Pest sterben und in einem Sarg liegen musste. Die Szene sei aber herausgeschnitten worden. Laut Vater Uli war das anders, sie wollte „partout nicht in den Sarg“. Kino King Knut scheint auch mit diesem Gespräch zufrieden. Seiner Mimik zufolge hätte ein Kind in einem Sarg wohl auch nicht seinen Geschmack getroffen.
Am heutigen zweiten Drehtag für das Goya-Bonusmaterial trifft sich Knut Elstermann mit der Regisseurin Iris Gusner und dem Filmarchitekten Helfried Winzer. Und wenn er nicht zu heiß gewaschen wurde, wird der Kino King wieder seinen weinroten Pullover anhaben.
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