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Erinnerungsfoto. Monika Schulz-Fieguth mit ihrem Bruder Jürgen Braksch.

© privat

Landeshauptstadt: Wiedervereinigung nach drei Wochen

Die Fotografin Monika Schulz-Fieguth traf vor 25 Jahren an der Glienicker Brücke ihren Bruder wieder

Von Peer Straube

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Berliner Vorstadt - Es ist eine Geschichte, wie sie die Mauer zu Tausenden hervorbrachte – eine Geschichte von Flucht, Trennung und Leid, aber auch eine Geschichte mit Happy End. Letzteres bezeugt ein Foto. Es zeigt einen Mann und eine Frau auf der Glienicker Brücke, beide lächelnd, sie hat ein Glas Sekt in der Hand, er die dazugehörige Flasche. Abgebildet sind die Potsdamer Fotografin Monika Schulz-Fieguth und ihr Bruder Jürgen Braksch, aufgenommen wurde es am 11. November 1989 um 11.11 Uhr. Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls hat Schulz-Fieguth das Bild im sozialen Netzwerk Facebook gepostet, als ganz persönliche Familiengeschichte aus dem Wendeherbst.

Sie beginnt 1983. In jenem Jahr unternimmt die damalige Frau von Schulz-Fieguths Bruders einen Fluchtversuch aus der DDR. Die Schwägerin will über Ungarn in den Westen gelangen – und wird erwischt. Nach einem Jahr im Gefängnis darf sie schließlich nach Westberlin ausreisen, wo bereits der Sohn aus ihrer ersten Verbindung lebt. Die Trennung hat Auswirkungen – die Ehe mit Jürgen Braksch geht in die Brüche. Weil aber beide auch einen gemeinsamen Sohn haben, reißt die Verbindung nicht ab. Regelmäßig kommt Brakschs Ex-Frau aus Westberlin zu Besuch. Es funkt erneut – beide heiraten zum zweiten Mal. Diesmal aber – inzwischen schreibt man bereits Frühjahr 1989 – will Braksch seiner Frau folgen und stellt auch einen Ausreiseantrag. Drei Wochen vor dem Mauerfall schließlich ist es so weit. Braksch verkauft sein Haus in Babelsberg und sagt Potsdam Lebewohl. „Ich war todunglücklich“, erinnert sich seine Schwester heute. Wie sie selbst habe auch ihr Bruder Potsdam, seine Heimatstadt, über alles geliebt. Angesichts der wachsenden Protestbewegung in der DDR habe sie die Ausreisepläne „für einen Riesenfehler“ gehalten.

Schulz-Fieguth ist genau zu jener Zeit für ein Ausstellungsprojekt selbst in Westberlin. Am 17. Oktober 1989 eröffnet sie im Schöneberger Rathaus, damals Sitz des Regierenden Bürgermeisters, eine Schau. Sieben ostdeutsche Fotografinnen geben darin „Einblicke in das Leben in der DDR“, so der Titel. Eigentlich soll sie an jedem Tag der Ausstellung vor Ort sein, doch schon nach drei Tagen habe sie das Heimweh nach Potsdam gepackt.

Die Maueröffnung am Abend des 9. November verschläft Schulz-Fieguth, erst am folgenden Morgen erfährt sie davon. „Ich ging dann gleich in die Frühverkaufsstelle und habe dort den restlichen Sekt aufgekauft.“ Damit fährt sie ins Zentralinstitut für Astrophysik in Babelsberg, wo sie das Fotolabor geleitet hatte. Mit ein paar Kollegen macht Schulz-Fieguth vor Arbeitsbeginn einen Ausflug nach Westberlin, „einmal die Avus rauf und runter“. Als sie am Nachmittag ihre Vorlesung als Gastdozentin an der DDR-Filmhochschule „Konrad Wolf“ halten will, hat die Kunde von der Maueröffnung längst die Runde gemacht. „Kein einziger Student war zur Vorlesung erschienen.“

Als am Abend auch die Glienicker Brücke geöffnet wird, ist Schulz-Fieguth vor Ort. „Ich bin gar nicht rübergegangen“, sagt sie. Sie will nur die Atmosphäre aufsaugen. Mit ihrem Bruder hat sie sich da schon für den nächsten Vormittag verabredet. „Und als er dann kam, da war ich überglücklich“, erzählt die Fotografin. „Ich habe ihm gleich prophezeit: Du kommst nach Potsdam zurück.“ So kommt es einige Jahre später auch. Die Ehe – der Grund für die Ausreise – hält auch beim zweiten Mal nicht. Inzwischen sei Jürgen Braksch aber seit vielen Jahren wieder glücklich verheiratet. So oft es geht, sagt Schulz-Fieguth, trifft sie sich am 11. November um 11.11 Uhr mit ihrem Bruder an der Glienicker Brücke. In diesem Jahr geht das nicht, weil er Urlaub in Argentinien macht. „Aber in Gedanken“, sagt die Fotografin, „wird er bei uns sein.“ Peer Straube

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