zum Hauptinhalt
Großer Erfolg. Gesine Müller und Markus Messling bringen Know-how mit.

© A. Klaer

Von Mark Minnes: Wille zur Veränderung

Spitzenforschung in den Geisteswissenschaften: Zwei Romanisten bauen Emmy-Noether-Gruppen an Universität auf

Stand:

Manche Veränderungen in der Welt der Wissenschaft kommen ganz leise daher. Besonders in den ehrwürdigen Geisteswissenschaften braucht der Beobachter einen scharfen Blick, wenn er die Zeichen der Zeit deuten möchte. Manchmal ist es nur ein neues Plakat an einer Bürotür, ein neues Namenschild oder ein unbekanntes Gesicht, das auf Bedeutsames hindeutet. In letzter Zeit haben sich im Institut für Romanistik der Uni Potsdam solche feinen Indizien gehäuft. Das Institut, in dem die Sprache und Literatur Spaniens, Südamerikas, Frankreichs und Italiens erforscht wird, hat in der deutschen Fachwelt Aufsehen erregt: Gleich zwei junge Wissenschaftler, Gesine Müller und Markus Messling, haben sich mit je eigenen Gruppen für geisteswissenschaftliche Spitzenforschung in Potsdam angesiedelt. Dies ist ein großer Erfolg für Potsdam, denn Gesine Müller und Markus Messling haben Know-how, Arbeitskraft und zusammengenommen über eine Million Euro im Gepäck.

Gesine Müller und Markus Messling haben sich erst vor wenigen Wochen getroffen. Ihre Entscheidung, nach Potsdam zu kommen, trafen sie unabhängig voneinander. Nun sitzen sie sich gegenüber, und ihre Blicke sind voll des wachen Interesses neuer Büropartner: Messling, mit leiser Stimme und diplomatischen Formulierungen, gegenüber der quirligen und energischen Kollegin. Man ergänzt und beobachtet sich. Beiden gemein ist die selbstbewusste Zuversicht aufstrebender Wissenschaftler, die sich in einem komplizierten Umfeld zurechtfinden. Die beiden Romanisten haben ihre Promotion hinter sich. Und nun haben sie eine entscheidende Hürde für ihre weitere Karriere genommen: jeder von ihnen steht einer Emmy Noether-Gruppe vor. Bei diesem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt erhalten junge Forscher die Gelegenheit, für fünf Jahre eigenständig zu arbeiten. Sie haben jeweils zwei Mitarbeiter, deren Promotion sie selber betreuen dürfen. Die Gruppen arbeiten an Büchern, geben Seminare und organisieren Konferenzen. Alles mit eigenem Budget und freier Wahl des Arbeitsortes.

„Ich wollte vor allem inhaltlich arbeiten“, begründet Markus Messling seine Entscheidung für die Forschung. Er habe auch Erfahrungen mit Kulturredaktionen von Tageszeitungen und wissenschaftsnahen Stiftungen gemacht. „Aber ich wollte nicht über Wissenschaft berichten, oder sie verwalten.“ Selbst anpacken, das war Messlings Devise. Und dies ist eine Haltung, die große Förderer wie die DFG von jungen Wissenschaftlern erwarten. Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft, aber auch Organisationstalent und Verhandlungsgeschick: für eine Forscherkarriere werden gerade die letzten zwei Eigenschaften immer wichtiger. „Ich sehe Forschung und Lehre als Herausforderung“, ergänzt Gesine Müller. Bei ihr habe mal das Interesse an internationalen Organisationen und Entwicklungsarbeit in Südamerika mit der Wissenschaft konkurriert. „Aber das eigenständige Arbeiten in der Wissenschaft war letztlich attraktiver“, sagt sie heute. Die Belohnung winkt, wenn man die Promotion geschafft und seine Vision durchgesetzt hat: „Emmy Noether“ ist ein Elite-Programm, das direkt in die begehrte Festanstellung an deutschen Hochschulen führen soll.

Die beiden Neuzugänge geben an, dass es die Aktivitäten des Romanisten Ottmar Ette waren, die den Ausschlag für Potsdam gaben. Der Lehrstuhl des Professors für französische und spanischsprachige Literatur wirkt als Dach für die beiden Forscher und ihre Mitarbeiter. So zeigt sich ein weiteres Detail dieser Entwicklung: Wie in der Wirtschaft benötigt auch ein wissenschaftliches Ansiedlungsprojekt Lobbyisten vor Ort. Der Teufel liegt oftmals im Detail. Zwar bringen Emmy Noether-Gruppen großzügige Gelder und Gratis-Kompetenz mit. Aber an den überfüllten deutschen Unis ist es manchmal der schlichte Kampf um ein Büro, der so ein Projekt zum Scheitern bringen kann. Doch in Potsdam setzte sich das Interesse an den fundamentalen Themen der Romanistik durch. Ottmar Ette, Markus Messling und Gesine Müller beschäftigen sich mit grundsätzlichen Fragen rund um die Begriffe von Philologie und Literatur.

So untersucht Markus Messling in seiner Arbeitsgruppe „Philologie und Rassismus“ unter welchen Vorzeichen das Fach im 19. Jahrhundert entstand. Die Philologie wurde zu jener Zeit auch aus dem brennenden Interesse für fremde Kulturen geboren. Die Faszination der Europäer für China oder Indien war jedoch ein zweischneidiges Schwert: „Man hatte das Gefühl, dass andere Kulturen im Vergleich zu Europa stagnieren“, so Messling. Eine Art kulturelles Leistungsdenken. Und dies sind Erfahrungen, mit denen sich auch Gesine Müller beschäftigt. Sie untersucht Texte, die im 19. Jahrhundert in französischen und spanischen Kolonien der Karibik geschrieben wurden. Sie möchte ebenfalls erfahren, wie im 19. Jahrhundert Europa auf die Welt einwirkte – und umgekehrt. Beide Wissenschaftler werfen einen Blick in das „Labor der Moderne“. Ein Blick zurück, der auch für die Gegenwart Selbstkritik und Veränderung bedeutet. Leise, aber stetig.

Mark Minnes

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })