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Sport: Wo einst Weigel für Potsdam triumphierte

Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften kehren nach Helsinki zurück, wo sie 1983 ihre Premiere hatten

Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften kehren nach Helsinki zurück, wo sie 1983 ihre Premiere hatten Von Hans Groschupp Zum zweiten Mal nach 1983 erwartet die finnische Hauptstadt vom 6. bis 14. August die besten Leichtathleten der Welt. Am Start sein werden auch die drei Potsdamerinnen Claudia Hoffmann, Melanie Seeger und Sabine Zimmer. Sie wollen dazu beitragen, dass der internationale Sinkflug der deutschen Leichtathletik endlich wieder an Höhe gewinnt. In der Kernsportart Olympias gibt es seit 1983 Welttitelkämpfe, in denen seitdem insgesamt neun Potsdamerinnen und Potsdamer an den Start gingen. Im Vergleich zum einstigen Medaillenkampf der Systeme, der gnadenlosen Konkurrenz der beiden Supermächte – inklusive ihrer deutschen Partner –, erscheinen heute die Wettbewerbe unter den Vormachtsstellungen afrikanischer Langstreckenläufer und amerikanischer Sprinter langweiliger. Für den Experten freilich trügt der Schein. Die Leistungen der Läuferinnen und Läufer, der Springerinnen oder Werfer sind besser denn je. Der deutsche Anteil daran ist aber klein geworden. Ein Blick zurück lässt Wehmut aufkommen. Die Siegerlisten der neun vorangegangenen Leichtathletikweltmeisterschaften zieren große Namen. Der US-Amerikaner Carl Lewis brachte es bei den ersten drei Veranstaltungen auf insgesamt acht WM-Titel. Er sprintete in Einzeldisziplinen, in der Staffel und sprang weit. Sein Sprintkollege Michael Johnson hielt das bis auf den Weitsprung ebenso und gewann siebenmal. Höher einzuschätzen sind vielleicht die sechs Siege bei sechs aufeinander folgenden Meisterschaften des Ukrainers Sergej Bubka im Stabhochsprung, dessen Weltrekord von 6,14m sich seit elf (!) Jahren wie ein Fels in der Brandung hält. Dann folgt schon ein Deutscher: Der Chemnitzer Lars Riedel gewann fünfmal das Diskuswerfen. Vier Goldmedaillen nahmen die Amerikanerin Jackie Joyner-Kersee im Weitsprung bzw. Siebenkampf, der Hürdensprinter Allen Johnson, Langstreckenläufer Haile Gebreselassie aus Äthiopien, Mittelstreckler Hicham El Guerrouj aus Marokko und der kubanische Weitspringer Ivan Pedroso in Empfang. 14 Athletinnen und Athleten holten drei Titel, darunter Marita Koch, Silke Gladisch, Sabine Busch und Astrid Kumbernuss aus dem Osten Deutschlands. Die boykottierten Olympischen Spiele von Moskau lagen drei Jahre zurück, als sich die DDR anschickte, Leichtathletik-Nation Nummer eins zu werden. Hatte man die Sowjets schon sicher im Griff, gewann man 1983 zum zweiten Mal den Länderkampf gegen die USA. Bei den ersten Weltmeisterschaften wurde der Gipfel endgültig bestiegen. Zehn Goldmedaillen – zwei mehr als die USA, vier mehr als die Sowjetunion – krönten die hervorragende Bilanz der Athleten aus Ostdeutschland. 1984 folgte die Boykott-Retourkutsche des Ostblocks. Die Weltmeisterinnen und Weltmeister der DDR mussten bis zur WM 1987 in Rom warten. Und sie verteidigten dort ihre führende Position in der Welt eindrucksvoll. Wieder wurden zehn Goldmedaillen gewonnen, dazu elf silberne und zehn bronzene. Nach der politischen Wende im Osten Deutschlands erfolgte die Vereinigung der beiden deutschen Leichtathletikverbände. Einen Zusammenschluss nach Leistungskriterien gab es allerdings nicht. Der bundesdeutsche DLV hatte beispielsweise bei den Weltmeisterschaften 1987 in Tokio ganze drei Medaillen geholt, die DDR-Leichtathleten 31. Aber die Führungsriege des DLV nahm für sich in Anspruch, die bessere zu sein. Auch die WM-Ergebnisse in Japan beeindruckten den DLV-Präsidenten Helmut Meyer nicht. Die führende Position Deutschlands ging anschließend nicht nur verloren, die Medaillenausbeute halbierte sich im Vergleich zu Rom 1987 auch noch. Hinter den USA und Russland konnte Deutschland aber immerhin den dritten Platz in der Medaillenwertung halten. Das Sportsystem der ehemaligen DDR wurde schrittweise demontiert; es sei unbezahlbar, lautet die Begründung. Unter diesem Aspekt waren sich viele Trainer und Experten einig, dass alles weiter „den Bach herunter gehen“ würde. Irgendwann würden die Leistungsträger aus dem Osten zu alt sein. Die Mahner sollten Recht behalten: Schon bei der nächsten WM 1993 in Stuttgart halbierten sich die Plaketten abermals. Deutschland fiel auf Platz sechs zurück. Die ehemaligen „Ostler“ Heike Drechsler und Lars Riedel holten die beiden einzigen Weltmeistertitel. Helmut Meyer nahm nun doch seinen Hut, Prof. Dr. Helmut Digel – in seiner aktiven Zeit Handballer – wurde neuer DLV-Präsident. Göteborg richtete 1995 die nächsten Weltmeisterschaften aus. Deutschlands Ausbeute reduzierte sich gegenüber 1993 um weitere zwei Bronzemedaillen. Trotzdem belegte Germany mit zwei Titeln hinter der alles überragenden USA (12 Titel) und Weißrussland wieder einmal Rang drei in der Medaillenwertung. Astrid Kumbernuss und Lars Riedel waren die deutschen Titelträger. 1997 in Athen verteidigten beide ihre Titel. Hinzu kamen die Wattenscheider Siebenkämpferin Sabine Braun, Hammerwerfer Heinz Weiß aus Leverkusen und die 4mal400-m-Staffel um die Mecklenburgerin und jetzige Potsdamerin Grit Breuer. Mit diesem Über-Soll-Ergebnis konnte Helmut Digel sehr zufrieden sein – Deutschland war wieder die Nummer zwei in der Leichtathletikwelt. Astrid Kumbernuss stand 1999 in Sevilla wieder auf dem obersten Treppchen. Ihr gleich taten es die Neubrandenburger Diskuswerferin Franka Dietsch, Dreispringer Charles Friedek aus Leverkusen und der Dortmunder Hammerwerfer Karsten Kobs; Lars Riedel wurde diesmal Dritter. Je viermal Gold, Silber und Bronze reichen für Deutschland jedoch nicht aus, die zweite Position zu halten. Russland erobert diese mit sechs WM-Titeln zurück. Am Thron der US-Athleten, die mit elf Titeln gewannen, war weiterhin nicht zu rütteln. 2001 im kanadischen Edmonton gewann Lars Riedel seinen fünften Titel. Dafür scheiterte diesmal Astrid Kumbernuss. Nur noch der Berliner Hochspringer Martin Buß hielt Gold in den Händen; Deutschland belegte in der Medaillenwertung den fünften Platz. Der deutsche Sinkflug vollendete sich 2003 im Pariser Stade de France: Kumbernuss und Riedel waren verletzt, bei den 9. IAAF-World-Championships gab es zum ersten Mal keinen deutschen Weltmeister. Mit einer Silber- und drei Bronzemedaillen landete Deutschland auf Rang 27 (!) der Medaillenwertung. Von den bisher neun Potsdamer Leichtathletinnen und Leichtathleten bei WM gewann nur Geher Ronald Weigel Gold – 1983 über 50 Kilometer. 1987 ließ er über die gleiche Strecke Silber folgen, ebenso wie Diana Sachse im Diskuswerfen. Bronze gewannen 1987 Ulrike Bruns im 3000-m- Lauf und Andreas Erm 2001 im 50- km-Gehen. Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer trat zweimal an, kam aber 1983 und 1987 über sechste Plätze nicht hinaus. „Trotzdem war ich stolz, der besten Leichtathletikriege der Welt anzugehören“, sagt der langjährige Kapitän der einstigen Ost-Nationalmannschaft heute. Einen Platz besser war 1983 seine Schwester Gisela im Diskuswerfen. Zehnkämpfer Uwe Freimuth wurde 1983 Vierter, wie auch 1500-m-Europameister Jens-Peter Herold 1991, der schon 1987 dabei war (6.) und es auch noch 1993 probierte („Aus“ im Vorlauf). Hinzu zählen darf man auch Uta Pippig (1987 Marathon-14.) und Katrin Born (1991 Elfte im 10-km-Gehen), die bis auf Andreas Erm alle dem damaligen ASK Vorwärts Potsdam angehörten. Erm wechselte 2003 von Berlin zum SC Potsdam. Bei den diesjährigen Weltmeisterschaften erneut in Helsinki wird der DLV nach derzeitigem Stand 24 Athletinnen und 30 Athleten an den Start bringen. Jürgen Mallow, leitender Bundestrainer im DLV, peilt mit der deutschen Mannschaft ein besseres Ergebnis als zuletzt bei den Olympischen Spielen in Athen oder der WM in Paris an. Das erscheint möglich. Medaillenchancen haben die Ex-Weltmeister Franka Dietsch, Lars Riedel, Charles Friedek und Karten Kobs, sowie Michael Möllenbeck, Nadine Kleinert und Steffi Nerius. Auch noch nicht abgeschrieben sind die deutschen Stabhochspringer um Tim Lobinger. Die beiden Potsdamer Geherinnen Melanie Seeger und Sabine Zimmer haben gut trainiert. Eine Platzierung unter den besten Acht wäre bei der Qualität und Dichte der Weltspitze im Frauengehen aller Ehren wert. Potsdams 400-m-Staffelläuferin Claudia Hoffmann wird mit ihrem Quartett ohne die verletzte Grit Breuer auch kaum mehr als einen 8. Platz erwarten können. Aber damit stünden sie und die Staffel im Finale. Die Talsohle sollte durchschritten sein. Es kann nur wieder besser werden.

Hans Groschupp

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