Landeshauptstadt: Wohlstandsstadt im Armenland
Warum der Aufbau des Potsdamer Stadtschlosses als neuer Landtagssitz vorerst keine Chance hat
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Warum der Aufbau des Potsdamer Stadtschlosses als neuer Landtagssitz vorerst keine Chance hat Von thorsten metzner Man spürt die Hartnäckigkeit des gebürtigen Ostfriesen: Seit Wochen lässt Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) kaum eine Gelegenheit aus, Landtagsabgeordnete für das wichtigste Vorhaben in der früheren Preußenresidenz zu gewinnen - den Aufbau des in den 50er Jahren abgerissenen Stadtschlosses, in dem das Brandenburger Parlament seinen Sitz haben soll. Jakobs kann gute Argumente anführen: Das jetzige Landtagsgebäude, der „Kreml“ oben auf dem Brauhausberg mit dem verwitterten SED-Emblem am Turm, ist eine marode, verwinkelte Trutzburg. Und Deutschlands schäbigster Parlamentssitz. Selbst manch märkische Kreisverwaltung ist längst besser untergebracht. Eine Lösung für die Volksvertreter muss her. Und die beste – darin ist man sich im Stadtparlament über alle Parteigrenzen hinweg fast einig – wäre zweifellos der brachliegende Alte Markt. Ein Schandfleck, auch dreizehn Jahre nach der deutschen Einheit noch. Seine einstige Krönung, das einst in Europa berühmte Schloss fehlt im verwundeten Stadtbild – das ist weitgehend Konsens bis in die Reihen der PDS hinein. Und blickt man über den provinziellen Tellerrand hinaus, sind selbst die Kosten für ein Landtagsgebäude hinter einer historischen Schlossfassade mit rund 200 Millionen Euro moderat. Man denke nur an die weitaus teureren Bundesbauten im Berliner Regierungsviertel oder an den Aufbau des Berliner Stadtschlosses, der das Vielfache kosten würde. Alles kluge Argumente, gewiss – und trotzdem laufen sie ins Leere. So vehement Jakobs auch für den benötigen Grundsatzbeschluss des Parlaments Anfang 2004 wirbt, es wird vorerst nichts aus dem Brandenburger Landtagsschloss. So traurig es für Potsdam erscheinen mag, nachdem das von Günther Jauch spendierte Fortunaportal die Hoffnungen auf einen schnellen Aufbau des früheren Wahrzeichens der Preußenresidenz so wachsen ließ. Das Landesparlament wird sich 2004 kein neues Domizil genehmigen. Und das nicht nur wegen der Landtagswahl im September. Keine Partei kann es ignorieren: Ein Landtags-Neubau – erst Recht mit Schlossfassade – ist angesichts der deprimierenden wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Lage Brandenburgs derzeit weder zu vertreten, noch den Prignitzern, den Lausitzern, den Uckermärkern zu vermitteln. Man muss wissen: Jeder Euro, der schon jetzt für vorbereitende Maßnahmen auf dem Alten Markt zur Freilegung des Schlossgrundrisses aus den knappen Landestöpfen für Städtebauförderung abgezwackt wird, fehlt in Wittenberge, in Schwedt, in Guben. Es sind märkische Städte, die unter einer Problemlast ächzen, die Potsdam nicht kennt, und zum Glück nicht kennen lernen wird. Mit einer Arbeitslosigkeit, die meist um die 20 Prozent und mehr liegt. Mit historischen Kernen, deren Sanierung stockt, wo der Leerstand wächst, wo mancherorts „Slums“ drohen, weil in den nächsten Jahren die Bevölkerung – Folge der Abwanderung und der Alterung – schrumpfen wird. Jede Partei, die in dieser Situation in Potsdam trotzdem einen neuen Landtag, ein Schloss bauen will, würde bei der Wahl von den Märkern gnadenlos abgestraft. Und die Fusion von Berlin und Brandenburg? Selbst dieser bisherige Trumpf von Jakobs, dass Potsdam rechtzeitig ein zumutbares Parlamentsgebäude bekommen müsse, wenn das gemeinsame Landesparlament nicht in den Berliner Preußischen Landtag ziehen soll, sticht seit einigen Tagen nicht mehr: Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Jakobs Vorgänger im Rathaus, hat gerade die geplante Volksabstimmung im Jahr 2006 – und damit die Fusion vertagt. Wiedervorlage? Termin ungewiss. Ein Jammer für Potsdam? Ach was! Selbst wenn der Schloss-Landtag zunächst nicht gebaut wird, muss sich die Sanssouci-Stadt nicht grämen. Die Zeiten, wo sie mit Recht darüber klagen konnte, von der Regierung vernachlässigt zu werden, sind lange vorbei. Das Land hat kräftig in seine Hauptstadt investiert, ob in die Bundesgartenschau, den Nikolaisaal oder jetzt in das neue Theater. Wo wird in diesen Zeiten, in denen vielerorts Theater geschlossen werden, eigentlich noch eine neue Spielstätte gebaut? Potsdam ist – im Vergleich zur tristen Realität in weiten Teilen des Landes – am Ende des Jahres 2003 eine ostdeutsche Wohlstandsstadt. Ob Biosphäre, Filmpark, Krongut – davon können andere nicht einmal träumen. Gerade brachte es ein Städtevergleich an den Tag: Unter allen ostdeutschen Landeshauptstädten hat Potsdam den höchsten Bevölkerungszuwachs, die niedrigste Arbeitslosigkeit und die stärkste Kaufkraft. In Potsdam wird mehr geheiratet als anderswo, es werden mehr Kinder geboren, weil man hier – bei allen Sorgen – eben gut leben kann. Was noch mehr zählt: Im Gegensatz zu vielen Brandenburger Städten hat Potsdam für die nächsten Jahrzehnte eine Wohlstands- und Wachstumsperspektive, die so gut ist, das man getrost die Prognose wagen kann: Das Stadtschloss wird wieder auf dem Alten Markt stehen, selbst wenn es etwas länger dauert. Es mag im Nachhinein bitter sein, dass es der Landtag in den Zeiten voller Fördertöpfe verpasst hat, für eigene gute Arbeitsbedingungen zu sorgen – anders als etwa die Abgeordneten in Schwerin oder in Dresden. Man schreckte davor zurück, aus Feigheit, weil Parlamentsbauten nie populär sind. Aus einer falsch verstandenen „preußischen Sparsamkeit“, die in Wirklichkeit nur eins war: Mangel an politischer Souveränität, die beim Souverän, dem höchsten gewählten Gremium Brandenburgs, auch sonst leider oft zu spüren ist. Wäre da noch Potsdams etwas voreilige Bewerbung als „Kulturhauptstadt Europas“ im Jahr 2010: Tatsächlich müsste, wenn sich die Stadt nicht blamieren will, die historische Mitte bis dahin rekonstruiert sein – was ohne Landtagsschloss nicht möglich ist. Aber auch hier gilt: Selbst wenn es mit dem hoch gesteckten Europa-Titel nichts werden sollte, wäre das kein Drama. Das Wohl und Wehe Potsdams hängt davon nicht ab. Und es tut dieser Stadt sogar gut, in ihren Ansprüchen bescheidener zu werden, auf eigene Kräfte statt auf Landeshilfe zu setzen, die anderswo nötig ist. Zumal gilt: Eine Hauptstadt, die Teil der Brandenburger Identität sein will, darf sich nicht zu sehr von der Entwicklung des Landes abkoppeln – und diese Gefahr besteht. Potsdam kann trotzdem fröhlich-gelassen nach vorn blicken. Was für ein Glücksfall in diesen Zeiten!
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