
© Andreas Klaer
ZUR PERSON: „Würfelhusten, wohin man schaut!“
Der Schauspieler und Mitteschön-Aktivist Jörg Hartmann über Vernehmungstaktiken der DDR-Staatssicherheit, seine Rolle als „Falk Kupfer“ in der ARD-Serie „Weissensee“ und warum die Alte Post rekonstruiert werden sollte
Stand:
Als ich Sie das erste Mal im Fernsehen gesehen habe, waren Sie der Mörder
Mörder, wo war denn das?
Vielleicht im Tatort oder bei Bella Block.
Ach so, ja, bei dem ZDF-Krimi „Ungesühnt“. Der Mörder war ich nicht, aber ich habe eine Frau überfallen.
In der aktuellen ARD-Serie „Weissensee“ spielen Sie einen Stasi-Major, der seinem von Katrin Saß gespielten Opfer vor der Verhaftung gerade noch so viel Zeit lässt, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Im Tatort am vorletzten Sonntag waren Sie ein Spargelbaron, der die polnischen Saisonarbeiter anschnauzt Was sehen die Regisseure eigentlich in Ihnen, wenn Sie immer als Fiesling oder Bösewicht besetzt werden?
Ja, das ist absurd. Eigentlich würde ich mich eher als Komödiant sehen. Aber wenn man einmal der Böse war und es hat funktioniert, benutzt man es immer wieder gerne Also, das ist ein wunder Punkt, den Sie da ansprechen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht in diese Schublade komme. Bei Angeboten, die jetzt kommen, muss ich schauen, dass ich eine Farbe dagegen setze.
Sie wollen nicht immer der Bösewicht sein?
Ach, ich bin das lieber als der nette Schwiegersohn von nebenan. Ich liebe diesen „Falk Kupfer“, den Stasi-Major. Diese Figur ist ganz wunderbar. Aber was ganz witzig ist: Im November drehe ich einen Leipziger Tatort und da bin ich ein Opfer der Staatssicherheit.
Schön
Und zwar eines, dass traumatisiert ist und ein großes psychisches Problem hat, weil es Jahre in einem DDR-Kinderheim zugebracht hat.
Dann kann jeder sehen, dass Sie die ganze Bandbreite als Schauspieler drauf haben.
Als Jugendlicher fand ich immer Dustin Hoffmann Klasse, wie der sich verwandelt hat in einer Rolle. Eigentlich ist das mein Traum: Als Schauspieler alles Mögliche zu durchleben. Leider greift diese Typisierung immer mehr um sich, ob beim Theater oder beim Film.
Dustin Hoffmann ist für seine intensive Vorbereitung auf eine Rolle bekannt. Von Ihnen weiß ich, dass Sie sich für „Weissensee“ Doktorarbeiten von Stasi-Offizieren gelesen haben.
Ja, ich hatte nur eineinhalb Monate Zeit, mich auf die Rolle des „Falk Kupfer“ vorzubereiten. Da habe ich schnell einen Antrag bei der Birthlerbehörde gestellt. Die waren ganz baff; da habe noch nie ein Schauspieler angefragt wegen einer Rollen-Recherche. Ich habe mir dann Vernehmungsvideos ansehen und eben diese Doktorarbeiten durchlesen können, geschrieben von genau solchen Typen wie „Falk“, die hier in Potsdam-Eiche schön auf der Hochschule waren. Die schreiben ziemlich detailliert, wie man Erstvernehmungen durchzuführen hat.
Und, wie macht man das so?
Der, der verhört wird, hat ja ein gewisses Bild von dem Vernehmungsführer und dem muss man entgegen wirken. Einem jungen Menschen sollte man nicht unbedingt in Anzug und Krawatte gegenüberstehen, sondern etwa salopper. Das habe ich dann bei der „Julia Hausmann“ einfließen lassen, in dem ich eben nur das Hemd trage. Und man versucht, sich auf die Sprache des Gegenüber einzustellen. Wenn der ein wenig Berliner Akzent spricht, redet man eben auch kein gestochenes Hochdeutsch.
Schon raffiniert
Wichtig ist, demjenigen zu suggerieren, ich bin dabei behilflich, die Wahrheit zu finden. Na gut, es ist natürlich deren Wahrheit. Aber wenn man das so liest, klingt das alles total plausibel und auch relativ, na ja, relativ menschlich. Das ist das Erschreckende: Es hätte auch ein Buch der heutigen Polizei sein können, die sich Gedanken macht über Vernehmungstaktiken. Perfide wird es dann, in Folge 2 kommt das vor, wenn man dem Vernehmenden Kuchen gibt und Kaffee und suggeriert: Auf mein Wort kannst du dich verlassen. Aber, dessen musst du dir bewusst sein, ich bin die Verkörperung des sozialistischen Rechts. Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Man darf sich nicht zu viele Notizen machen, muss gut zuhören können. Ein guter Vernehmer, das ist schon ein harter Job.
Sie waren fasziniert. Aber auch empört?
Beides. Wenn man das so liest, kann man denen nichts vorwerfen. In der Anwendung ist es natürlich perfide, wie das auch in „Weissensee“ zu sehen ist in einer Szene: Er lässt hinter dem Rücken des Häftlings das Licht an- und ausschalten in der Zelle. Und macht aber selbst den Eindruck, (Jörg Hartmann wechselt in die Sprache der Figur „Falk Kupfer“): Mein Gott, wer hat denn das jetzt befohlen, das geht aber nicht. Gut, da werde ich versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Gut, ich kann jetzt nicht auf alles hier aufpassen, es steht nicht alles in meiner Macht Aber ich werde mich darum kümmern (Jörg Hartmann wieder er selbst) Für den, der da sitzt, stellt sich das so dar: Der tut alles für mich. Die haben sich ja selbst fast gesehnt danach, wenn die eine lange Zeit in ihrer Zelle saßen und nicht rauskamen. Der Vernehmer war über lange Zeit die einzige Bezugsperson. Wenn sie dann wieder zur Vernehmung abgeholt wurden, hatte es manchmal richtig etwas Erleichterndes.
Sie durften endlich mit jemandem sprechen
Ja, sie durften sich jemandem anvertrauen.
Sie sind seit einigen Jahren Potsdamer, vielleicht laufen Sie hier sogar mal, ohne es zu wissen, echten ehemaligen Stasi-Vernehmern über den Weg.
Ja, gerade hier. Die Stadt war schon ziemlich rot durchseucht. Aber ich wurde bis jetzt noch von niemandem angesprochen, dahingehend.
Sie sind in der Bürgerinitiative Mitteschön aktiv. Warum dieses Engagement?
Mich hat es extrem geprägt, das Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in Herdecke, wo ich aufwuchs, viele alte Häuser abgerissen wurden. Wegen irgendwelcher Umgehungsstraßen. Es hat mich wahnsinnig gemacht, wenn sie die alten Fachwerkhäuser weggeknallt haben. Da liegt der Kern für mein Interesse an Städtebau und Architektur. Nach der Wende, als sich dieses unbekannte Land auftat, fand ich – trotz des Verfalls – viele erhaltene Strukturen vor, authentischer als im Westen. Das hat mich umgehauen. Ich hab mich damals in Dresden verknallt und habe sofort gesagt, diese Frauenkirche muss da wieder hin und bin auch gleich in den Förderverein eingetreten. 2003 bin ich nach Potsdam gekommen. Wir, meine Familie, waren schon vorher jedes Wochenende hier. Dann sind wir hier her gezogen. Die Stadt ist mein Traum und ich möchte, dass die Fehler, die im Westen begangen wurden, hier nicht wiederholt werden. Manches deutet sich ja leider an.
Was meinen Sie konkret?
Das ganze Wohnareal am Bahnhof. Da zieht es mir die Schuhe aus, wenn ich das sehe.
Das Ex-RAW-Gelände.
Ja, furchtbar, wie man so etwas zulassen konnte! Das ist ja sanierte Platte, das hat ja mit vernünftigem Städtebau rein gar nichts zu tun. Als hätte man in den letzten Jahren überhaupt nicht diskutiert! Da sehe ich die neue Feuerwache, wenn ich über die Humboldtbrücke komme, und kriege jedes mal die Krätze. Und dann dieses neue Parkhaus in Sichtweite des Holländischen Viertels! Wie kann das noch passieren? Ich verstehe das nicht. Überall Würfelhusten, wohin man schaut!
Es ist ein Rätsel!
Wir reden hier in Potsdam seit Jahren über den Wert dieser Stadt. Ich denke, irgendwann muss doch der Groschen mal fallen. Da sitzen doch keine dummen Leute in der Verwaltung. Und trotzdem steht da plötzlich so ein Glas-Stahl-Autoregal neben der Französischen Kirche. Gut, Parkhäuser braucht man heutzutage. Aber das hätte anders gelöst werden müssen. Nicht historisierend, aber das Material muss ein anderes sein.
Was gab den Anlass, aktiv zu werden?
Ausschlaggebend war vor eineinhalb Jahren, als ich plötzlich in der Zeitung den Entwurf für den Nachfolgebau des Hauses des Reisens gesehen habe, wo früher die Alte Post war. Da habe ich gedacht: Jetzt reichts! Ich habe Leserbriefe geschrieben, Stadtverordnete damit bombardiert und mich mit den Vertretern der großen Parteien getroffen.
Wie haben die reagiert?
Mit Mike Schubert von der SPD war das ganz spannend. Wir saßen da so, ich kam auf die Alte Post zu sprechen und habe ihm den Entwurf für den Neubau gezeigt. Irgendwann konnte ich ihm entlocken, dass er damit auch nicht ganz glücklich ist. Da habe ich gesagt: Sie sind nicht glücklich, ich bin nicht glücklich, ganz viele sind nicht glücklich. Dann müssen wir das doch verhindern.
Danach gab es einen Workshop. Dabei ist ein Kompromiss herausgekommen, der heute unter Stichworten wie „Der geätzte Unger“ oder auch „Elefantenkäfig“ bekannt ist. Das Verfahren war in Ordnung, das Ergebnis ist es nicht.
Zunächst waren wir ja froh, dass sich Pro Potsdam darauf eingelassen hat. Aber das Ergebnis ist weder Fisch noch Fleisch. Wird das überhaupt funktionieren, das Bild der Alten Post in Beton zu ätzen? Und wenn, warum nicht gleich den Mut haben, da an der Stelle die Originalfassade zu rekonstruieren? Ich bin ein absoluter Verfechter des Leitbautenkonzepts. Aber man kann das nicht auf die Mitte beschränken. Das muss für die ganze Potsdamer Innenstadt gelten, vom Brandenburger Tor bis zum ehemaligen Kellertor. Ich war dieses Jahr in Vicenza und hab mir die Palladio-Bauten angeschaut. Ich wollte sehen, wo die Potsdamer Nachbauten eigentlich herkommen. Das Tolle ist, dass sie für Potsdam wirklich variiert wurden. Das sind ja keine Eins-zu-Eins- Kopien. Ich finde, der Plögersche Gasthof, der Palazzo Valmarana, wirkt hier auf dieser Platzsituation fast besser als in Vicenza. Und ich finde, der Unger schafft mit seiner Alten Post etwas ganz Eignes, Neues, Potsdamerisches. Die hat mindestens den Wert der Leitbauten, die jetzt wieder kommen. An diese Ecke, finde ich, gehört wieder die Alte Post hin.
Bauherr ist Pro Potsdam. Von Ihnen kommt also der Appell, sich das mit der Alten Post noch mal durch den Kopf gehen zu lassen?
Genau: Pro Potsdam, seid Pro Potsdam! Baut an dieser Stelle diesen Leitbau! Das ist wie bei „Stuttgart 21“: Wenn man sich eingesteht, die beste Lösung ist doch eine andere und wir können die noch machen, verliert keiner das Gesicht. Im Gegenteil, es gibt viel Anerkennung. Ich bin übrigens davon überzeugt: Die Fassade der Alten Post ist an dieser Stelle sogar günstiger als der ,Elefantenkäfig’.
Und wenn es doch mehr kostet?
Dann bin ich der Erste, der eine Spende anbietet.
Das Interview führte Guido Berg
Jörg Hartmann ist 1969 in Hagen im Ruhrgebiet geboren und in Herdecke aufgewachsen. Er studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart. Hartmann hatte Engagements an Theatern in Meiningen und Mannheim, an der Berliner Schaubühne spielte er in Ibsens „Nora“ den „Thorvald Helmer“. Im November ist er in Thomas Ostermeiers „Hedda Gabler“-Inszenierung an der Schaubühne zu sehen. Hartmann lebt in Potsdam. Er ist mit der Schauspielerin Simone Kabst verheiratet und hat eine Tochter. gb
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