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Ungewöhnlicher Rollentausch. In dem Film „Meinungsaustausch“ werden Einwanderern fremdenfeindliche Stereotype in den Mund gelegt.

© Sehsüchte

Das Studentenfilmfestival "Sehsüchte" in Potsdam: Zeigen, was verkehrt läuft

Das Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ der Filmuniversität betont in diesem Jahr auch das Politische.

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Erst einmal denkt man, der Mann sei ein integrierter Einwanderer, der fremdenfeindliche Vorurteile gegenüber neuen Flüchtlingen hat. Doch spätestens beim dritten Sprecher, einem Jugendlichen Migranten, der plötzlich mit der Stimme einer alten Frau spricht, wird klar, was los ist. „Meinungsaustausch“ ist ein Experimentaldokumentarfilm, der als Teil eines studentischen Flucht-Recherche-Projektes im Herbst 2015 entstanden ist. Jetzt ist der Film auf dem Potsdamer Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ (20. bis 24. April) zu sehen (Samstag, 18.30 Uhr , Kino 1, Filmuni, Marlene-Dietrich-Allee 11).

Die Filmemacherinnen Sophie Linnenbaum und Sophia Bösch von der Filmuniversität Babelsberg haben fremdenfeindliche Äußerungen von Einwanderern nachsprechen lassen und dann die Originalstimmen aus Interviews eingespielt. Das wirkt: Schnell werden so die Argumente der Lächerlichkeit überführt, weil die Menschen, die die Ressentiments da jetzt scheinbar aussprechen, so gar nicht den Vorurteilen zu entsprechen. „Dass dort unten Krieg ist, kommt ja nicht von ungefähr, das bringen die jetzt hierher“, sagt da ein Mann, der total vertrauenswürdig aussieht. So wird auch ohne Kommentar klar, was für einen Unsinn die Menschen so von sich geben, wie irrational die Ängste vor dem Unbekannten sind, die hier geäußert werden. Etwa, wenn eine Frau sagt, dass Migranten in Österreich vergewaltigen dürften und dass sie mit großen Passagierschiffen vor die Küsten Europas gebracht würden.

Berlinale-Chef Dieter Kosslick hatte zur Eröffnung der 45. „Sehsüchte“ am Mittwochabend sehr nachdenkliche Worte formuliert. Er sieht einen Rechtsruck, der von vielen zurzeit nicht ernst genug genommen werde. Zwar hätten auch zur Gründungszeit des Studentenfilmfestivals 1971 bewegte Zeiten in Ost wie West geherrscht, Kalter Krieg, das Olympia-Attentat in München, der RAF-Terror in Deutschland und der Bloody Sunday in Irland. Doch die aktuelle Entwicklung hält der ehemalige Honorarprofessor der Babelsberger Filmuni für noch gefährlicher. Dass ihn am selben Tag ein Handwerker beim Unterschreiben einer Rechnung auf das „denkwürdige“ Datum – Adolf Hitlers Geburtstag – hingewiesen habe, sei nur eine Facette der aktuellen Stimmung im Land. Auch weltweit würden sich Fragen stellen: Wer etwa am Aufstieg des IS oder den Konflikten in Afrika Schuld trage. Doch Filmemacher, so Kosslick, hätten die einmalige Chance, der Welt zu zeigen, was verkehrt läuft. So forderte er den Filmnachwuchs auf, sich mit seiner Arbeit dafür einzusetzen, dass die Welt wieder schöner werde. „Halten Sie die Augen auf“, sagte er im voll besetzen Kino des fx.Centers.

Aber Kosslick wäre nicht Kosslick, wenn er über solche Nachdenklichkeit den Spaß an der Sache verlieren würde. Er war sich nicht zu schade, die Kidman-Anekdote aus dem Jahre 2002 noch einmal aufzuwärmen. Der Berlinale-Direktor empfing damals Filmstar Nicole Kidman, um mit ihr über den roten Teppich zu schreiten. Er zitterte vor Aufregung. Die Kidman merkte das und fragte, was los sei. Er fürchte, Mundgeruch zu haben, antwortete ihr Kosslick. Was die Schauspielerin nicht sonderlich aus dem Konzept brachte, sie empfahl ihm einfach ein Mundspray zu benutzen.

Filme sollen ja auch Spaß machen. Wie etwa die Animation „The Center“ von Robin Sinnaeve (Samstag 20.30 Uhr, fx.Center), in der ein Astronaut zum Mittelpunkt des Universums fliegt. Das kleine Strichmännchen spaziert durch riesige Tore in die Mitte der Welt, um hier doch nur wieder eine fehlbare Apparatur zu finden. Der Forscher hat nicht die Nerven, mit den Reglern richtig umzugehen – und dreht am Ende einfach den Saft ab. Auch in diesem scheinbar unbedarften Trickfilm schwingt das Politische mit, der Mensch, der versucht sich die Welt untertan zu machen – und dabei doch nur alles falsch macht.

Das diesjährige Festival-Motto „Space“ wollen die Studierenden nicht nur als Metapher für Science Fiction und Fantasy verstehen, sondern auch als Raum für politische Positionen. So sei es heutzutage nicht mehr selbstverständlich, dass sich in Potsdam so viele junge Menschen treffen können, um gegenseitig ihre Arbeiten zu diskutieren, gab Festivalsprecherin Lea Busch zu bedenken. Immerhin 70 Filmteams sind aus aller Welt zum Festival gekommen. Die Politik erhält am Samstag ein Forum: Bei „Space for Race“ wird nach dem Rassismus in der deutschen Filmindustrie gefragt (15 – 18 Uhr, Seminarraum 5104, Filmuni). Ziel sei, eine differenzierte Perspektive auf – unterbewussten – Rassismus und Ausgrenzung im Filmgeschäft und darüber hinaus zu schaffen, hieß es.

Angesichts der Kriegstreiberei, Ungerechtigkeit und ökologischen Unwägbarkeiten auf der Erde scheint es letztlich dann gar nicht so abwegig, auf dem Mars noch einmal neu anzufangen. In dem Dokumentarfilm „Mars Closer“ von Vera Brueckner und Annelie Boros (Samstag 20.30–22.30 Uhr, fx.Center) kommen zwei Kandidaten einer geplanten Marsmission 2024 zu Wort. Es wird eine Reise ins Ungewisse, ohne einen Weg zurück. „Wir haben mit dem Fakt Frieden geschlossen, dass wir nie wieder zurückkehren werden“, sagt einer der beiden. Der andere ist voll Enthusiasmus. Im Rückblick werde man erkennen, dass sie ganz entscheidende Pioniere waren. Wenn sie denn da oben alles richtig machen.

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