Landeshauptstadt: Zerbrochene Karrieren
Über die Verfolgung jüdischer Juristen nach 1933
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Der Potsdamer Ernst Nathan, geboren 1898 in Nowawes, gehörte zu den Deutschen, auf die man besonders stolz war: Als Freiwilliger zog er für sein Vaterland in den 1. Weltkrieg. Er erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und wurde gleich zweimal mit dem Verwundetenabzeichen ausgezeichnet. Später, in der Weimarer Republik, ließ er sich in Potsdam als Rechtsanwalt nieder. Obwohl 1929 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten, galt er unter den Nationalsozialisten aufgrund seiner Herkunft als Jude. Mit dem „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ wurde es Menschen jüdischer Herkunft schon 1933 verboten, als Rechtsanwälte zu arbeiten. Nur wer seine Anwaltszulassung bereits vor dem 1. August 1914 erlangt hatte oder als „Frontkämpfer“ des Weltkrieges galt, erhielt wieder eine neue Zulassung und konnte zumeist noch einige wenige Jahre als Anwalt praktizieren. Nathan, da „Frontkämpfer“, durfte weiterhin als Anwalt arbeiten. Wegen des Boykotts jüdischer Anwälte erlitt er jedoch bald spürbare finanzielle Einbußen und verkaufte 1935 seine Kanzlei. Er emigrierte nach Italien und später in die USA.
Über den Lebensweg Ernst Nathans und anderer Juristen jüdischer Herkunft, die bei Machtantritt der Nationalsozialisten in Berlin und Umland tätig waren, informiert derzeit eine Ausstellung im Foyer des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in Brandenburg an der Havel. Zur Ausstellungseröffnung hielt die Historikerin Simone Ladwig-Winters einen Vortrag über „Zerbrochene Karrieren – jüdische Juristen nach 1933“.
Im Landgerichtsbezirk Potsdam wurden 1933 etwa 30 Juristen als jüdisch eingestuft. Bis September 1933 erhielten zwölf von ihnen ein Berufsverbot, unter ihnen zwei, die eigentlich eine der Ausnahmen für sich hätten geltend machen können, aber wegen „Betätigung im kommunistischen Sinne“ ausgeschlossen wurden. Ende 1933 war nur noch etwa die Hälfte der betroffenen Juristen im Amt, unter ihnen auch der Vorsitzende der Synagogengemeinde Potsdam, Raphael Josephson, der gemeinsam mit anderen eine Rechtsanwaltskanzlei betrieb. 1938 wurden schließlich alle im Deutschen Reich tätigen Anwälte jüdischer Herkunft mit einem allgemeinen Berufsverbot belegt. Danach durften nur noch einige wenige von ihnen als sogenannte Konsulenten ausschließlich für Juden tätig sein.
Doch nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch die im Staatsdienst beschäftigten Juristen waren von den Repressalien betroffen. So auch Fritz Hirschfeld, wie Nathan ein mit Eisernem Kreuz und Verwundetenabzeichen dekorierter Weltkriegssoldat. Einige Zeit nach dem Krieg als Rechtsanwalt in Potsdam tätig, wurde er später als Richter Vorsitzender des Potsdamer Arbeitsgerichts.
Erlaubte ihm das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von April 1933 zunächst noch den Verbleib am Arbeitsgericht, so wurde er dennoch von der Funktion des Vorsitzenden entbunden. 1935 versetzte man ihn zwangsweise in den Ruhestand. Einige Jahre später wurde er festgenommen und drei Wochen im Potsdamer Polizeigefängnis inhaftiert. Dort wurde erst wieder entlassen, nachdem er sich verpflichtet hatte, Deutschland zu verlassen. Dafür sollte er 35 000 Reichsmark Reichsfluchtsteuer zahlen. Da er dieses Geld nicht aufbringen konnte, wandte er sich an die Behörden, die auf der Zahlung bestanden. „Eine Stundung lehne ich ab“, so ein Amtsmitarbeiter. Maimi von Mirbach, eine Freundin Hirschfelds, erwarb schließlich sein Haus, damit er von dem Kaufpreis die Steuer bezahlen konnte. Seine „arische“ Frau, die Hirschfeld auf seiner Flucht nach Holland nicht mitnehmen konnte, da sie schwer krank war, durfte in dem Haus wohnen bleiben. Später wurde Hirschfeld doch interniert. In Auschwitz verliert sich seine Spur. Holger Catenhusen
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