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Eine Potsdamer Familie. Sanaa Hussein, Zevin, Nisrin, Farhan und Zana Khalil (v.l.) sind gerade in eine größere Wohnung gezogen. Die Schule der Kinder ist gleich in der Nähe. Die Eltern waren in der Heimat in Syrien Grundschullehrer. Hier möchten sie eine Erzieher-Ausbildung machen.

© Andreas Klaer

PNN-Serie: Angekommen in Potsdam: „Zuhause und Heimat sind verschiedene Dinge“

Vor fünf Jahren begann die Familie aus Syrien ein neues Leben in Deutschland. In Potsdam arbeiten Farhan Khalil und seine Frau als Sprachmittler.

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Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder Kamerun und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Doch in der Realität haben es die Flüchtlinge hier oft schwer – es gibt Probleme mit der Sprache, der Arbeitserlaubnis oder den neuen Nachbarn. Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten: Jede Woche stellen die PNN eine Person - in diesem Fall eine Familie - vor, die zumindest ein Stück weit in Potsdam angekommen ist.

Herrn Khalil geht es heute nicht so gut. Er hat Rückenschmerzen. Das muss vom Umzug kommen, er hat viel geschleppt in den letzten Tagen. Aus dem Schlaatz sind sie nach Waldstadt gezogen, gleich um die Ecke der Schule der Kinder. „Ich habe jetzt ein eigenes Zimmer, das ist toll“, sagt Zana. Zana, der achtjährige Sohn, bedauert seine beiden Schwestern, die sich ein Zimmer teilen müssen, nur mäßig. „Du warst eifersüchtig auf mich, als ich ein Baby war“, beklagt er sich bei seiner großen Schwester Nisrin. Die Zehnjährige nimmt das gelassen.

In Potsdam soll es schön sein

Die drei Geschwister, die an diesem Nachmittag im Versammlungsraum der Arbeiterwohlfahrt bei Saft und Keksen sitzen, Nisrin, Zana und die fünfjährige Zevin, sind nicht anders als andere Kinder der Stadt. Nur ein bisschen: Sie haben schon eine ganze Menge hinter sich. Dinge, die man weder als Kind noch als Erwachsener erleben sollte. Vor fünf Jahren floh die Familie aus Syrien. Erst in die Türkei, dann nach Griechenland, mal mit dem Auto, mal zu Fuß. Nisrin erinnert sich noch: „Wir sind nur gelaufen“, sagt sie. Die Mutter schleppte die kleine Tochter, elf Monate alt, der Vater trug den Sohn, knapp drei. Von Griechenland ging es mit dem Flieger weiter, dann kamen sieben Monate Eisenhüttenstadt, dann Prenzlau. Als ihrem Asylgesuch stattgegeben wurde, durften sie eine Stadt wählen, in der sie wohnen wollten. „In Berlin haben wir Verwandte, aber Berlin war uns zu groß. Von Potsdam hörten wir, es soll schön sein,“ sagt Sanaa Hussein. In ziemlich gutem Deutsch. Natürlich nicht so gut wie das der Kinder. Die haben die neue Sprache unheimlich schnell gelernt, haben in der Schule exzellente Noten, Nisrin ist sogar Klassensprecherin, sagt sie stolz.

Seit einigen Monaten haben auch die Eltern wieder einen Meilenstein geschafft. Beide arbeiten nun für die Awo als Sprachmittler. Im Flüchtlingswohnheim im Lerchensteig, das die Arbeiterwohlfahrt betreibt, sind sie bei Gesprächen von Bewohnern und Betreuern dabei, gehen mit zu Behördenterminen oder zum Arzt und übersetzen dabei Kurdisch, Arabisch und Deutsch. „Die beiden sind Goldstaub“, sagt Angela Basekow, Awo-Chefin. Und wendet sich dann an Herrn Khalil: „Sie müssen zum Arzt gehen. Da bekommen sie eine Spritze, dann wird das schon.“ Er lächelt tapfer.

Bei der Flucht an alles andere gedacht - nicht an Papiere

Sie wüsste nicht, wie es ohne sie gehen sollte, sagt Basekow. Gern würde die Awo mehr Menschen in Arbeit bringen, aber so einfach ist das nicht. Meistens liegt es daran, dass die Flüchtlinge keine Papiere über Abschlüsse und Qualifizierungen vorweisen können. Auch Frau Hussein und Herr Khalil haben deshalb vorerst nur Minijobs. Auch sie haben auf der Flucht an alles andere gedacht, nur nicht an Papiere. Beide sind ausgebildete Grundschullehrer. Das Anerkennungsgesetz soll ja geändert werden, sagt Basekow. Aber noch ist nichts passiert. „Ich weiß noch nicht, wie wir das hinbekommen werden, aber die beiden möchten eine Ausbildung zu Erziehern machen“, sagt sie. Weil aber in Kindereinrichtungen kein ungelerntes Personal arbeiten darf, müssen sie vorher irgendwie Praxisnachweise erlangen. Am besten über Praktika, bei denen man auch noch etwas für den Lebensunterhalt verdient.

Doch das sind vergleichsweise kleine Sorgen, scheint es, wenn man die Eltern reden hört. Hier in Potsdam kommen sie nun endlich zur Ruhe, nach einigen schlimmen Jahren. Schlimm sind jetzt noch die Erinnerungen und die Sorge um die Eltern von Sanaa Hussein, die noch in Syrien leben, zu alt und krank, um nachzukommen. Ihr Mann, dessen eigene Eltern nicht mehr leben, hätte seine Schwiegereltern gern nach Deutschland geholt. Er schaut im Internet kurdische Nachrichten. Er weiß, was da los ist. Stattdessen aber gibt es seit fünf Jahren nur noch ab und zu ein Telefonat, sagt Frau Hussein, das ist schwer. Auch für die großen Kinder, die sich noch erinnern an die Großeltern. Aber es gibt – vor allem wegen der Kinder – wohl kein Zurück nach Syrien. Wie soll es denn den Kindern dort gehen, wenn sie jetzt in Deutschland groß werden, fragt die Mutter in den Raum.

„Wenn Papa von früher erzählt, habe ich Angst“

Familie Hussein /Khalil stammt aus Al-Qamischli, einer Stadt mit etwa 93 000 Einwohnern im Nordosten Syriens, an der Grenze zur Türkei. Sie hatten ein eigenes Haus mit Garten und Hühnern und Küken, sagt Nisrin. „Und sogar ein Motorrad“, sagt Zana. Das Problem: Sie sind Kurden. Denen es in Syrien verboten ist, in der Öffentlichkeit ihre Muttersprache zu benutzen. Es ist verboten, kurdische Bücher zu besitzen. Es ist verboten, unter einem nicht-arabischen Namen ein Geschäft zu eröffnen. Es ist verboten, kurdische Feiertage zu begehen. Weil Farhan Khalil Mitglied einer kurdischen Partei ist, kommt er zweimal ins Gefängnis. Monatelang ist er mit Hunderten anderen eingesperrt. Immerzu Schläge, manchmal mit Strom, sagt er, mit einem Blick, der mehr sagt als seine Worte. „Wenn Papa von früher erzählt, habe ich Angst“, sagt Nisrin. Nisrin, die Große, die Ruhige. So ruhig wie ihre Mama, vielleicht auch, weil sie vieles noch bewusst miterlebt hat. Zana ist viel forscher, der einzige Mann eben neben seinem Papa. Zana fürchtet sich allerhöchstens vor dem Hund der Nachbarn. „So ein großer Boxer“, sagt er. Und die kleine Schwester versprüht die Unbeschwertheit des Nesthäkchens.

„Wenn ich meine Kinder sehe, bin ich glücklich“, sagt der Vater. Seit er weiß, dass es ihnen gutgehen wird, hat er keine Wünsche mehr. Dann lacht er, dann wird aus dem Flüchtling ein Mann, der in Potsdam lebt und arbeitet, der hier mit seiner Familie Freunde und Verwandte besucht, mit ihnen feiert, kurdische, islamische und deutsche Feiertage. Die Kinder sind ganz wild auf Halloween und sie wissen, ist das erstmal vorbei, kommt bald Weihnachten. Weihnachten, das ist ein schönes Fest, sagen sie, das feiern sie alle. Die Kinder haben auch ein paar Wünsche: Ein „Little Pony“ für Zevin, ein Roboter-Dino für Zana, ein Handy für Nisrin. Alle ihre Freunde haben schon eins, sagt sie. Sanaa Hussein wünscht sich, sie könnte ihre Eltern sehen, noch einmal Syrien, und sei es für einen Urlaub. Aber sie weiß, dass das derzeit unmöglich ist. „Zuhause und Heimat, das sind zwei verschiedene Dinge“, sagt ihr Mann. Und es klingt, als hätte er den Satz schon hundert Mal gedacht und gesprochen.

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