Kultur: Alptraum Tschetschenien
Der Film „Weiße Raben“ von Tamara Trampe und Johann Feindt berührte die Zuschauer zutiefst
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Sie sind noch die reinsten Kindsköpfe. Unbedarft und abenteuerlustig ziehen sie freiwillig an die tschetschenische Front, um den schnellen Rubel zu verdienen. Doch die Realität sieht anders aus als bei Kriegsspielen am Computer. Petja und Kiril sind gerade mal 18, als sie sich mit fröhlich-munterer Feier von Zuhause verabschieden und zum Pulverfass Grosny ziehen. Zwei Jahre später kehren sie heim: an Leib und Seele verkrüppelt.
Es ist schwer auszuhalten, was die Regisseure Tamara Trampe und Johann Feindt in ihrem Film „Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien“ festhielten. Betretenes Schweigen, als die letzten Bilder von mit Füßen malträtierten nackten Menschen über die Leinwand in der Schinkelhalle flimmern. Diese über drei Jahre recherchierte Dokumentation zeigt aufwühlend, was dieser sinnlose Krieg aus Menschen in Russland macht: wie Söhne verrohen, Mütter und Väter zerbrechen. „Wir bekommen jetzt das, was wir herausgefordert haben. Nicht die Tschetschenen sind bei uns eingefallen, sondern wir bei ihnen“, sagt eine dieser Mütter. Unheil hier wie dort. Die Fotos von Musa Sadulajew in der Ausstellung im benachbarten Kunstraum zeigen die andere Seite: das unfassbare Leid der Tschetschenen. Leichen auf offener Straße, Kinder ohne Beine, ausgehöhlte, regungslose Gesichter. Wofür? „In dieser verheerenden Situation sind alle Opfer“, sagt Tamara Trampe.
Sie hätte nicht die Kraft, noch einmal so einen Film zu drehen. Und doch ist er so wichtig, hätte ganz aktuell zum Mord an die Journalistin Anna Politkowskaja und der„Petersburger Dialoge“ zur besten Sendezeit ins Fernsehen gehört. Doch das Interesse an solchen Bildern ist weder in deutschen und noch weniger in russischen Medien vorhanden. „Es gab in Russland nur eine öffentliche Aufführung: Alle haben geweint und anschließend gesagt: ,Davon haben wir nichts gewusst.’ Den Satz kennen wir Deutschen ja bestens“, so Tamara Trampe.
Zur Potsdamer Aufführung kamen an die hundert Zuschauer, sicher auch, weil der Name des Moderators Gerd Ruge zog. Die Nachfragen zeugten aber auch von einem großen Interesse an diesem noch lange nicht ausgestandenen Konflikt. Der Abend wirkte zugleich wie ein hoch emotionaler Nachruf auf die zum Schweigen gebrachte Kämpfernatur Anna Politkowskaja. „Ihr Tod ist der größte Verlust für uns: Sie hat sich am meisten für uns eingesetzt, für unsere Tragödie. Am Tag ihrer Ermordung wurde Putins Geburtstag gefeiert. Boshafte Spekulanten sagen, ihr Tod sei ein Geschenk für ihn“, so die tschetschenische MenschenrechtlerinTaita Janusowa auf dem Gesprächspodium. Menschenrechtsorganisationen seien so eingeschüchtert, dass sie sich nicht getraut hätten, öffentlich eine Trauerfeier für Anna Politkowskaja durchzuführen. Wie aber geht es weiter in diesem kriegsgebeutelten Land? „Die Tschetschenen bauen ihre Häuser selber wieder auf, der Staat zahlt keine Renten, kaum Stipendien. Es gibt keine Fabriken und somit keine Arbeit. Daneben stehen die unaufgeklärten Kriegsverbrechen. Paramilitärische Gruppen verschleppen Menschen, irgendwo werden vergewaltigte Frauen gefunden. Hinzu kommt die große Brutalität der russischen Soldaten.“ Wenig Hoffnung liegt in den Worten von Taita Junusowa, die wie zugeschnürt wirkt. „Ich sehe keine Kräfte in Tschetschenien, die für einen Neuanfang stehen. Die Leute sind so eingeschüchtert und müde, es ist keine Energie mehr vorhanden.“ Man glaubt ihr unbesehen.
So wie man auch die Hoffnungslosigkeit in russischen Familien fühlt, die der Film „Weiße Raben“ an dem Schicksal von fünf Menschen so eindringlich beschreibt. Darunter ist auch ein Kriegsveteran, der seit zehn Jahren von immer dem selben Traum verfolgt wird: Wie die Haare eines Mädchens an seinen Händen kleben. Irgendwann erzählt er den Filmleuten seine Geschichte, die ihm den Stempel des Krieges unauslöschlich ins Gesicht drückte. Es war im Krieg gegen Afghanistan, als er ein Mädchen mit dem Kopf an die Wand schlug, so dass sich ihr Schädel spaltete. Ihm blieben nur die Haare in seiner Hand. „Diese Last wiegt von Jahr zu Jahr schwerer. Man muss das Vergangene nicht immer wieder hoch holen.“ Die Nächte tun es um so mehr.
Wird auch Kiril irgendwann über seine Zeit in Tschetschenien reden können? Jetzt sitzt er erst einmal für Jahre hinter Gittern: wegen Vergewaltigung an einem neunjährigen Mädchen. Aus dem einst so unbekümmerten Jungen ist durch den Krieg ein Eisblock geworden. Niemand vermochte ihn nach Grosny aufzutauen. Seine Mutter starb kurz nach der Urteilsverkündung. Seine Freundin geht inzwischen auf den Strich, erzählt Tamara Trampe im Nachhinein. Sie hält auch zwei Jahre nach den Dreharbeiten Kontakt zu den Porträtierten. Auch zu Petja.
Er hat Arm und Bein verloren, humpelt durch die elterliche Wohnung und weiß nicht, wohin mit sich. Wenn Petja wieder einmal trinkt, weint der Vater. Dabei glaubte er doch: „Vor allem die Armee macht aus einem Jungen einen Mann.“ Petja schweigt über seinen Unfall. „Und ich dränge nicht in ihn“, resigniert die Mutter. Er war in einem Bataillon für besondere Aufgaben. Was waren das für Aufgaben? Musste auch er an Säuberungsaktionen teilnehmen, so wie sie in dem Film angedeutet sind? In „Weiße Raben“ ahnt man, was Menschen anderen Menschen in der Lage sind, anzutun. „Unser Film zeigt Bilder vom Krieg, der zurück kommt nach Russland. Wir sehen, wie die Jugend verheizt wird und das Gift in die Familien fließt. Es spricht niemand mit diesen Heimgekehrten: nicht die Gesellschaft, nicht die Verwandten. Sie sind isoliert“, so die Regisseurin. Einzig im Komitee der Soldatenmütter Russlands finden sie offene Ohren – wenn sie irgendwann bereit sind, sich zu öffnen.
„Gibt es einen politischen Spielraum für Deutschland, auf Russland einzuwirken“, wird Gerd Ruge von einem Zuhörer gefragt. „Ich weiß nicht, wie man Druck ausüben kann“, sagt der ARD-Korrespondent, und verweist auch auf andere Konfliktherde. „Putin reinzureden, wird nicht helfen.“ Ein russischer Dissident habe einmal zu ihm gesagt: „Sie können eigentlich nur ihre eigene Sache gut machen und ein Bild Europas herstellen, das auch auf Russland wirkt.“ Für all’ die Petjas und Kirils ein schwacher Trost.
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