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Das Plakat von Otto Mueller zum Kunstsommer 1921 entstand als Alternative zum offiziellen Motiv. 

© Andreas Hüneke

Der Kunstsommer 1921: Als Potsdam Berlin schlug

Vor 100 Jahren träumte Potsdam eine Saison lang davon, endlich auch Kunststadt zu sein: im legendären Kunstsommer 1921. Wie kam das – und was ist heute davon übrig?

Potsdam - Im Jahr 1921 war es, da stellte Potsdam Berlin in den Schatten. Zumindest sahen das zeitgenössische Beobachter so. Franz Servaes in der Berliner Tageszeitung „Der Tag“ zum Beispiel: „Potsdam schlägt Berlin“, schreibt er im Juli 1921. „Potsdam ist geradezu berufen, die Kunststadt der Mark zu werden, und es scheint, daß es diese Berufung jetzt erkannt hat.“

Und Servaes steht damit nicht allein. Karl Scheffler bekräftigt im Fachblatt „Kunst und Künstler“: „Seit einem Jahrzehnt fast haben wir in Berlin eine so gut gewählte, gruppierte und geordnete Ausstellung nicht gesehen.“ Andernorts holt man noch weiter aus: „Der Begriff der Stadt will sich mausern“, heißt es in der renommierten „Vossischen Zeitung“. „Potsdam war für die Welt ein Symbol des Gamaschengeistes; künftig soll der Name eine Parole für anmutigere geistige Dinge sein.“ Der Auftakt dazu könne „nicht glücklicher sein“.

Der Auftakt als Höhepunkt

Dieser glückliche Auftakt, dieses umjubelte Kunstereignis war der „Potsdamer Kunstsommer“ des Jahres 1921. Eine Premiere und, so scheint es, auch eine Offenbarung: Potsdam war plötzlich nicht mehr nur Garnison- und Gartenstadt. Potsdam war Kunststadt. Zumindest einen Sommer lang, wenn man den Kunstwissenschaftler Andreas Hüneke fragt. 

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Er hat sich intensiv mit der Zeit beschäftigt, hat zur Ära der Weimarer Republik geforscht und publiziert, jüngst im Zusammenhang mit dem Dichter Christian Morgenstern. Und Hüneke sagt: Der Auftakt dieser „neuen Ära“ war auch schon ihr Höhepunkt. Die drei folgenden Kunstsommer erreichten nicht mehr das Niveau des ersten. 

Der Traum von der Kunststadt verblasste so schnell, wie er aufgekommen war. Der zweite Kunstsommer galt schon nur mehr als „lokale Angelegenheit“, der dritte als „grundsätzlicher Mißgriff“. Beim vierten und letzten waren 1925 zwar elf Bilder von van Gogh zu sehen – zu der Zeit jedoch keine Sensation mehr.

Die Crème de la Crème in der Orangerie

Der Sommer 1921 war dafür umso interessanter: Vom 15. Juni bis zum 15. September war in der Orangerie des Parks Sanssouci eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu sehen – die Crème de la Crème der Zeit. Nicht nur bekannte Meister, sondern auch das, was man in Potsdam wohl am wenigsten erwartete – Avantgarde. 

„Die national-konservative Atmosphäre scheint der modernen Kunst nicht förderlich gewesen zu sein“, schreibt Andreas Hüneke. Obwohl der Kunsthändler Ferdinand Möller hier lebte und zeitweise eine Galerie hier betrieb, obwohl der Kiepenheuer-Verlag hier ansässig war und die Dada-Bewegung hier kurz ihr Glück versucht hatte. Was Potsdams Problem war (und bleibt?), zeigt das Plakat der Ausstellung von Olaf Gulbransson. Dessen ironischer Titel: „Der Geist des großen Friedrich neigt sich, um das Künstlerkind mit zarter Bewegung zu segnen.“

Olaf Gulbransson schuf das offizielle Plakat für den Kunstsommer. Der Geist Friedrichs segnet hierin ein „Künstlerkind“.
Olaf Gulbransson schuf das offizielle Plakat für den Kunstsommer. Der Geist Friedrichs segnet hierin ein „Künstlerkind“.

© Andreas Hüneke

Dabei wollte die hier versammelte Kunst sich gerade frei machen von den paternalistischen Geistern der Vergangenheit. Zwar waren auch Adolf Menzel, Max Liebermann und Lovis Corinth vertreten. Aus dem 20. Jahrhundert jedoch waren Künstler des Brücke-Expressionismus dabei, Erich Heckel, Oskar Kokoschka, außerdem Emil Nolde, Christian Rohlfs, Karl Hofer, Franz Marc – und Plastiken von Ernst Barlach und August Gaul.

Idee stammte von Oberbürgermeister Arno Rauscher

Entstanden war die Idee des Kunstsommers durch den damaligen Oberbürgermeister Arno Rauscher. Hauptorganisatoren waren der Schriftsteller Erich Hancke und besagter Kunsthändler Ferdinand Möller. Organisiert wurde vom Potsdamer Stadtschloss aus. Möller jedoch war offenbar der allzu präsente preußische Geist selbst nicht geheuer: Parallel zu dem offiziellen, historisierenden Plakat entstand auf sein Betreiben hin ein zweites Motiv von Otto Mueller. Der Holzschnitt zeigt eine sitzende nackte Frau, auf schwarzem Grund. Lange Gliedmaßen, den Kopf zur Seite geneigt. Der moderne Gegenpol zu Friedrich in Pastell.

Wissenschaftler Hüneke schrieb zur 1000-Jahr-Feier Potsdams: „Nichts kann wohl den Umstand, dass das Versprechen der Ausstellung nicht eingelöst wurde, besser illustrieren als die Feststellung, dass die langjährige Tätigkeit dieses engagierten Kunsthändlers es nicht vermochte, eine bedeutende private oder öffentliche Kunstsammlung in dieser Stadt zu initiieren.“ Das war 1993. Als Hüneke das schrieb, war die Potsdamer Szene gerade im Aufbruch, er sah durch neu entstehende Galerien die Chance für einen weiteren Kunstsommer gegeben. Damals war auch der Versuch einer Kunsthalle im Persiusspeicher noch nicht vom Tisch.

Was in Potsdam noch fehlt

Und heute? Ist nicht Potsdam mit Museum Barberini, künftigem Museum Minsk, umtriebigem Potsdam Museum und zahlreichen Galerien mehr Kunststadt denn je? Wenn man ihm die Frage stellt, wiegt Andreas Hüneke den Kopf. „Es hat sich was getan – und auch nicht“, sagt er. Private Sammlungen seien eben immer auch vom Geschmack des Sammlers abhängig – eine städtische Sammlung nicht. Als Beispiel nennt er das Faible des Sammlers Hasso Plattner für Mattheuer und die Leipziger Schule – die künftig im Minsk gezeigt wird. 

Und natürlich haben private Sammler nicht unbedingt einen Impuls, lokale Kunst zu fördern: Das bleibt Kernaufgabe der städtischen Museen. Die Mittel des Potsdam Museums, zeitgenössische Künstler zu erwerben, sind bekanntlich sehr begrenzt, sagt er – trotz des äußerst umtriebigen Freundeskreises. Künstler wie Mikos Meininger würden manchmal außerhalb mehr gewürdigt als hier, sagt Hüneke. Meininger hatte seine größte Ausstellung in Jena.

Und was nach wie vor fehlt in Potsdam: ein Ort, wo zeitgenössische lokale Produktion versammelt würde. Konkrete Ideen dafür gibt es sogar zwei: ein Anbau vor Ort oder eine gemietete Dependance im neu entstehenden Kreativquartier an der Plantage. Aber aufgrund der Pandemie scheinen beide Optionen gerade wieder in größere Ferne gerückt. Potsdams Kunstszene läuft so schnell nicht Gefahr, dass ihr die Träume ausgehen.

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