Kultur: „Altersrassismus“ und das aussterbende Brandenburg Literaturbüro trumpft mit spannenden Autoren auf
„In Deutschland werden Länder wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in beträchtlichen Teilen von der Zivilisation zurück an die Natur fallen, der Entvölkerung durch den Menschen folgt eine Bevölkerung durch eine neue wilde und urwüchsige Natur.“ Diese düstere Prognose stellte Frank Schirrmacher in seinem Bestseller „Methusalem-Komplott“, und er warnte vor einem Krieg der Generationen.
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„In Deutschland werden Länder wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in beträchtlichen Teilen von der Zivilisation zurück an die Natur fallen, der Entvölkerung durch den Menschen folgt eine Bevölkerung durch eine neue wilde und urwüchsige Natur.“ Diese düstere Prognose stellte Frank Schirrmacher in seinem Bestseller „Methusalem-Komplott“, und er warnte vor einem Krieg der Generationen. Das Brandenburgische Literaturbüro Potsdam möchte nun gern in diese Debatte um eine überalterte Gesellschaft und den täglichen „Altersrassismus“ eingreifen und lädt am 26. August ins Alte Rathaus ein. Neben Autor Frank Schirrmacher ist Steffen Reiche bei dieser Diskussionsrunde zu Gast, der als Bildungsminister den Geburtenknick bereits deutlich zu spüren bekam. Beim gestrigen Pressegespräch machte das Mitarbeiter-Trio vom Literaturbüro auf einen spannenden Bücherherbst in seinem zehnten Jahr neugierig, bei dem Autoren wie Renate Feyl, Antje Ravic Strubel oder Wilhelm Genazino für ein buntes Blätterwerk zwischen Prignitz und Spreewald sorgen. Bevor jedoch die Herbststürme übers Land fegen, gibt es auch im Spätsommer noch einige literarisch-politische Reibflächen, die es sich vorzumerken lohnt. So wird der Publizist Joachim Fest am 29. August im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte seinen Vortrag zum 20. Juli 1944, den er anlässlich des 60. Jahrestages des Hitlerattentates in der Paulskirche in Frankfurt hielt, nun auch in Potsdam zur Diskussion stellen. Fest habe genau vor zehn Jahren sein Buch „Der Staatsstreich“ veröffentlicht, das in seinem gerechten Urteil bis heute beispielhaft sei, so Geschäftsführer Hendrik Röder. Eine Potsdamer Reprise ist die Lesung am 12. September mit Martina Gedeck aus dem Buch „Emmi Bonhoeffer – Essay, Gespräch, Erinnerung“, das Sigrid Grabner und Hendrik Röder im Lukas Verlag Berlin 2004 herausgaben. Auf Grund des großen Zuspruchs liest die Schauspielerin nun noch einmal aus den sehr persönlichen Briefen Emmi Bonhoeffers an ihre in den USA lebende jüdische Freundin. Darin reflektierte die Witwe des von den Nazis hingerichteten Mannes Klaus Bonhoeffer ihre Erlebnisse bei der Betreuung von Zeugen im Auschwitz-Prozess. Für Zündstoff dürfte wohl auch in Potsdam die Ausstellung „Die Dritte Front. Literatur in Brandenburg 1939-1950“ sorgen, die am 3. September im Kutschstall eröffnet wird. Sie wurde von Literaturbüro-Mitarbeiter Peter Walther als Wanderausstellung konzipiert und hatte ihre Premiere in Rheinsberg. Dort gab es heftige Medienschelte, was der Kurator offensichtlich mit Fassung trägt. Vielmehr animierte ihn die kritische Auseinandersetzung dazu, Koryphäen des Themas Diktaturen zusammenzuholen und eine Podiumsdiskussion mit den Schriftstellern Jörg Friedrich und Rolf Giordano sowie mit dem Theologen und Philosophen Richard Schröder anzuzetteln. In „Dritte Front“ sollten Parallelen der verschiedenen politischen Systeme offenbart werden, wie sie Autoren durch Restriktion oder Förderung für die „Dritte Front“ gefügig machen wollten. In der Ausstellung sah das so aus, dass eine Johannes R. Becher-Hymne an Stalin neben der Hymne „Dem Führer“ von Hanns Johst gehängt wurde. Diktatur werde gleich Diktatur gesetzt, kritisierte nicht nur das „Neue Deutschland“ und meinte: „Aus dieser Simplizität des gleichsetzendes Bilds, resultieren wiederum simple Urteile“. Auch der „Tagesspiegel“ stieß sich an derartige Analogien. Nun also sollen Kenner der Materie „richten“, inwieweit Zeugnisse der Literaturgeschichte aus beiden Diktaturen nebeneinander gestellt werden dürfen, ob der Vorwurf der Gleichsetzung wirklich zutreffe. Peter Walther ließ die Kritiken aus Rheinsberg durchaus produktiv werden: „Wir werden jetzt in einer Einführungstafel das Anliegen der Ausstellung erklären und auch Hintergrundinformationen geben, die vorher fehlten.“ Da gilt es auch zu berücksichtigen, dass ein Schüler von heute eben nicht mehr wisse, wer Johannes R. Becher überhaupt war. Die nächste vom Literaturbüro avisierte Ausstellung dürfte für weniger Aufregung, aber sicher nicht für weniger Interesse sorgen. Darin wird es um Goethe und seine Beziehungen zu Brandenburg gehen. Erstmals nach 1945 werden in dieser Schau die erhaltenen Teile der Sammlung Ogoleit in Deutschland zu sehen sein. Wilhelm Ogoleit war Buchhändler in der ostbrandenburgischen Provinz, in Landsberg/Warthe (heute Gorzow Wielkopolski) und besaß die zweitgrößte Goethe-Privatsammlung. Sie ging nach Kriegsende teilweise verloren. Die verbliebenen Sammlungsstücke sind im Museum Gorzow und in Zielona Gora erhalten, und werden ab Mai 2005 nun in den Römischen Bädern sowie in der Turmgalerie der Orangerie Sanssouci zeitgleich präsentiert. An ein leidvolles Kapitel Potsdamer Geschichte erinnert jetzt im September (17.) Christiane Dietzel, wenn ihr Buch „Wen der Eisvogel ruft“ in der Reithalle A zur Premiere gelangt. Als Mädchen erlebte die Autorin hautnah die gewaltigen Zerstörungen der Innenstadt, die Hungersnot und den Einzug der Roten Armee, die sie nun in ihrem literarischen Debüt verarbeitete. Den Potsdamern bereits eine gute Bekannte ist die Autorin Antje Ravic Strubel, die für ein Vierteljahr als Aurora-Stipendiatin in Los Angeles weilte und sich am 22. September (im Waschhaus) mit einem neuen Roman zurückmeldet. In „Tupolew 135“ geht sie der authentischen Geschichte einer Flugzeugentführung im Jahre 1978 nach. Eine Familie aus der DDR versuchte über Danzig nach Tempelhof zu fliehen und landete schließlich vor einem amerikanischen Gericht. Dieses Ereignis war der Autorin indes nur äußerer Rahmen. Für sie stellten sich Fragen nach dem Wunsch, das alte Leben hinter sich zu lassen und nach vom Unvermögen, vorgeprägten Lebensmustern zu entkommen. Zu ihrer Jubiläumsveranstaltung am 16. Oktober schmückt sich das Literaturbüro naturgemäß mit hochkarätiger Literatur. Der frischgekürte Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino hat sich angesagt, um dem zehnjährigen Jubilar und der treuen Lesergemeinde seine Aufwartung zu machen. Zusammengefeiert wird mit dem vakat verlag, der ebenfalls das erste Mal „nullt“ und mit dem das Literaturbüro schon einige Ernten eingefahren hat, so jüngst die CD „Otto Sander liest Fontane“, ein Mitschnitt von der Lesung im Nikolaisaal.Wie sagte doch Fontane? „Auch im märkischen Sande flossen und fließen überall die Quellen des Lebens“. Diese mit aufzuspüren, wird sich das Literaturbüro sicher auch in seinem zweiten Dezennium verpflichtet fühlen. H. Jäger
H. Jäger
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