Kultur: Amnestie vom Höllenfeuer Kulturland-Buch erzählt von Pilgerort Wilsnack
Von überall her sind sie damals nach Brandenburg gekommen, Pilgerer aus Thüringen, Franken, Hessen und Meißen, aus Österreich und Ungarn. Um in Wilsnack in der Prignitz Gnade zu finden und Pluspunkte zu sammeln, als Vorsorge für das Jenseits und zum Schutz vor dem Höllenfeuer.
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Von überall her sind sie damals nach Brandenburg gekommen, Pilgerer aus Thüringen, Franken, Hessen und Meißen, aus Österreich und Ungarn. Um in Wilsnack in der Prignitz Gnade zu finden und Pluspunkte zu sammeln, als Vorsorge für das Jenseits und zum Schutz vor dem Höllenfeuer. Denn Wilsnack war ein heiliger Ort, hier war Gott gewesen, hier hat er Spuren hinterlassen: drei geweihte Hostien, die unbeschadet das Niederbrennen der Kirche überstanden hatten. Das Opferbrot für das Abendmahl war nur an den Seiten ein wenig angekohlt. Als der Pfarrer die Hostien fand, war ihm in der Mitte einer jeden so etwas wie ein Blutstropfen erschienen.
Im August 1383 hatte der Ritter Heinrich Bülow das Dorf des mit ihm in Fehde liegenden Bischofs von Havelberg niederbrennen lassen, berichtet Hartmut Kühne von der Humboldt-Universität Berlin in seiner Einführung zu „Die Wilsnackfahrt“, einem von Kühne und der Berliner Historikerin Anne-Katrin Ziesack herausgegebenen Buch. Auf wissenschaftliche Weise widmet sich der im Rahmen von Kulturland Brandenburg entstandene Band der Legende um den Pilgerort Wilsnack in der Prignitz. Er trägt historische Zeugnisse und Erkenntnisse zusammen, die bisher nur vereinzelt in Bibliotheken und Archiven zu finden waren. Zuletzt hatte ein Kirchenmann vor 100 Jahren Material zu der Pilgerstätte zusammengetragen.
Dabei ist es den Autoren – darunter der Leiter des Kirchenmuseums in Ziesar, Clemens Bergstedt, der Lokalhistoriker Gerhard Fenske aus Wusterhausen, die Tangermündener Fremdenführerin Christine Lehmann und die Theologie-Professorin Gerline Strohmaier-Wiederanders aus Berlin – gelungen, die historischen Informationen auf interessante und durchaus gut lesbare Weise darzustellen. Man kommt auch ohne besonderes theologisches oder historisches Wissen aus. Die Texte eignen sich also auch für interessierte Einsteiger in das Thema.
Das Buch beginnt ganz am Anfang, bei der Hostien-Legende, erzählt von der Entstehung von Kirchen entlang des Weges nach Wilsnack, von den Pilgerreisenden, die von Räubern und niedrigem Adel ausgeraubt wurden und den Kritikern. Für Theologen wie Jan Hus, Nikolaus von Kues und Martin Luther wurde Wilsnack zum Symbol für leichtfertigen Wunderglauben und finanzielle Ausbeutung. Historische Textzitate fließen in die Kapitel ein, den Legendenerzählungen folgt eine historische Überprüfung.
Wer mehr lesen will, findet Literaturempfehlungen „Zum Nach- und Weiterlesen“. Schön auch die zahlreichen historischen Zeichnungen, die wie ein Bilderbuch den Text illustrieren, und die auf Glanzpapier gedruckten Fotografien: die Ablassurkunde römischer Kardinäle für die Wilsnacker Wallfahrtskirche, das Gemälde einer Pilgerspeisung auf dem Hedwigsaltar aus der Katharinenkirche in Brandenburg. Hat man sich eingelesen, macht es richtig Spaß über die weitgehend unbekannten Seiten Brandenburgs zu lesen: Auch die Mark war einmal Wallfahrtsland. Es sind Wunderblutgeschehnisse aus Beelitz und Zehdenick überliefert. Wilsnack aber war der populärste Wallfahrtsort. Marion Hartig
„Wunder-Wallfahrt–Widersacher. Die Wilsnackfahrt“, 216 Seiten, gebunden, 24,90 Euro, ISBN 3-7917-1969-6
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