Kultur: Auf dem Laufsteg der Gewerke
Das Filmmuseum erzählt in seiner neuen Dauerausstellung über 100 Jahre Film in Babelsberg
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Am 3. November wird im Filmmuseum die neue Dauerausstellung „Traumfabrik. 100 Jahre Film in Babelsberg“ eröffnet. Sie stellt in sieben Themenbereichen die Gewerke vor, die am Entstehen eines Films beteiligt sind. Die PNN möchten nach der heutigen Einführung in den kommenden Wochen mit sieben kleinen Anekdoten auf die Ausstellung einstimmen.
Aus der Vogelperspektive kann man sie bereits überfliegen: 100 Jahre Film im Zeitraffer. Das Modell der neuen Dauerausstellung thront auf dem schweren Eichentisch der Direktorin des Filmmuseums und wird bis zum 3. November in wahrer Größe umgesetzt. Auf einer Fläche von 450 Quadratmetern werden dann die drei Epochen der Studiogeschichte in Babelsberg erzählt: von der Bioscope und Ufa (1912 bis 1945), über die Defa (1946 bis 1992) bis zur Jetztzeit. In der Mitte ragt maßstabsgetreu eine Statue heraus, die an die Maria in Metropolis erinnert. Geschaffen wird sie von dem Potsdamer Keramiker Rainer Sperl, der die Plastik vorn vergoldet und schön beleuchtet und am Rücken durchbrochen zeigt: so wie das Leben der Stars oft ist.
Andy Räder, der 34-jährige Kurator, erinnert an Kristina Söderbaum, die große Schauspielerin der Ufa, die sich mit den Nazis einließ, um Karriere zu machen und auch selbst die Nähe suchte. Oder an Katrin Sass, mal gefeierte, mal fallengelassene Defa-Schauspielerin, die ihren Frust zunehmend im Alkohol ertränkte. Es sind Zeitzeugengeschichten und auch Anekdoten, die in der Ausstellung erzählt werden. „Aber vorsichtig in Gewichtung und Interpreation“, betont der Filmhistoriker. So wird auch die Zeit Volker Schlöndorffs als Studiochef, der viele unbequeme Entscheidungen treffen musste und Hunderte von Defa-Mitarbeitern entließ, eher Neben- als Hauptsatz sein. Es sind vielmehr die Gewerke, die die sieben Themenräume besetzen und die der Besucher alle durchlaufen muss, um die Entstehung eines Films zu begreifen – bis zu seiner Premiere, die in einem extra eingebauten kleinen Kino erlebt werden kann.
Der „Laufsteg“ beginnt beim Drehbuch, geht über Casting, Maske und Kostüme der Stars, weiter zum Filmbaumeister, der Regie und Kamera bis hin zum Schnitt, der Filmmusik und schließlich der ersten Aufführung. „Die Namen der Künstler ändern sich mit jedem Film, doch die Gewerke bleiben. Handwerk und Künstler brauchen einander und reiben sich. Das ist der kreative Prozess, der zum Besonderen führt und die Zuschauer gebannt auf die Leinwand schauen lässt. Und genau den wollen wir nachempfinden“, sagt Andy Räder. Die Ausstellung lässt hinter die Kulissen blicken und den Besucher selbst zum Mitspieler werden. Per Touchscreen kann er zum Beispiel versuchen, einen Film zu schneiden, das Filmorchester dirigieren oder mit Zarah Leander oder Renate Krössner als „Solo Sunny“ Karaoke singen.
Warum aber gibt es eine neue Dauerausstellung, nachdem die vorherige mit sieben Jahren nicht gerade von allzu großer Dauer war? „Die vorangegangene Ausstellung hatte den Schwerpunkt Defa. Wir wollen jetzt die gesamte Ära der Filmstudios beleuchten, auch die letzten zehn erfolgreichen Jahre, die mit dem ,Pianist’ einsetzten.“ Der Hauptgrund sei aber natürlich das 100-jährige Jubiläum des Studios mit Grundsteinlegung am 3. November 1911 und der ersten Klappe für den „Totentanz“ am 12. Februar 1912. „Wir behaupten, dass der Beginn von Babelsberg eigentlich Asta Nielsen zu verdanken ist. Sie hatte mit der Bioscope einen Vertrag über sieben Filme geschlossen und für sie baute man auch das Glasatelier: für den zugkräftigen Stummfilmstar aus Dänemark, der hohe Gewinne versprach. Ob das Studio so groß geworden wäre ohne sie?“, fragt Räder.
Die Ausstellung will zeigen, wie man heute versucht, an den Mythos Ufa und Defa anzuknüpfen und wie unter ganz anderen Bedingungen weiter Filmgeschichte geschrieben wird. Dabei spielt auch die bauliche Entwicklung eine Rolle, die heute weit mehr zu bieten hat als die Defa-Zeit, mit dem Neubau der Filmhochschule, dem fx-Center oder dem Studio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg.
Drei Filme werden sich durch die gesamte Ausstellung ziehen: der Fritz-Lang-Stummfilmklassiker „Die Nibelungen“ von 1924, Heiner Carows „Legende von Paul und Paula“ von 1973 und „Inglourious Basterds“, den Quentin Tarantino 2009 drehte. „Filmwissenschaftler hätten sicher andere Filme ausgesucht und die Besucher vielleicht auch. Für uns aber sind sie exemplarisch für die Studios, speziell aus Gewerkesicht“, betont Andy Räder. Da sei der tolle deutsche Wald, den Filmarchitekt Otto Hunte für die „Nibelungen“ baute, in „Paul und Paula“ sei vor allem die Besetzung und die unvergessene Filmmusik herausragend, und der Genre-Film „Inglourious Basterds“ sei einem sehr charismatischen und akribischen Regisseur zu verdanken.
Das Farbkonzept wird den Gang durch die Gewerke sinnreich unterstreichen: beginnend vom vergilbtem Weiß des Drehbuchs bis zum dunklen Rot des Premieren-Teppichs. An dessen Rand steht auch das Kassenhäuschen mit originalen Eintrittskarten, Fotos, Reklame und Preistafel sowie die Litfassäule mit Plakaten – immer alle drei Epochen widerspiegelnd. Selbst bei den Stühlen im „Kino“ gibt es die Dreiteilung. „Man kann sich aussuchen, wo man sitzt: auf dem dunklen Holz der Ufa, den roten Bezügen der Defa oder auf modernen Metallstühlen von Heute: aus dem Nachlass des geschlossenen „Broadway“-Kinos Berlin. Zu sehen bekommt man auf allen Stühlen einen Zusammenschnitt der tollsten Kuss-Szenen, der schönsten Liebeserklärungen, der nebligsten Raucher-Szenen: unterlegt mit emotional packender Musik.
Das ganze 100-jährige Filmpaket gibt es auch in Englisch: jede Textzeile wird übersetzt, jeder Filmausschnitt untertitelt. Ein Novum im Filmmuseum. Nicht nur die Filmstudios geben sich international.
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