200 Jahre preußisches Emanzipationsedikt: Auf Spurensuche
Zwei Ausstellungen im HBPG beleuchten jüdisches Leben in Brandenburg
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In den achtziger Jahren hat der Berliner Feuilletonist Heinz Knobloch einen Essay mit dem Titel „Misstraut den Grünanlagen“ geschrieben. Er stellte darin fest, dass unter blühenden Rabatten, Sträuchern und gepflegten Rasenflächen in Berlin und anderswo sehr häufig Geschichte entsorgt wurde, und zwar auf so schöne Art für das sonst von Steinwüsten genervte Auge des Städters, so dass man keinen Anlass sah, nachzufragen.
Nun kann man fast behaupten: Misstraut auch den Garagen. Denn 1985/86 hat der Eberswalder Bürger, Wolfgang B., in einer Moped-Garage ein Fund gemacht, dessen Bedeutung er nicht erkannte. Es war das Fragment einer Torarolle. Sie ist nun ab morgigen Sonntag in der Ausstellung „Synagogen in Brandenburg. Auf Spurensuche“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) zu sehen. Knapp drei Meter breit und vielleicht einen halben Meter hoch ist das Fragment. Der Eberswalder Garagenbesitzer wusste nicht, wo sie einst in jüdischen Gottesdiensten verwendet wurde, wie alt sie ist und wie die Männer hießen, die es unter Einsatz ihres Lebens nach Eberswalde brachten. Der Vorbesitzer des Grundstücks, der Aufseher in einem Zwangsarbeiterlager in Finow war, erzählte ihm, dass die Rolle ihm von jüdischen Zwangsarbeitern gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zur Aufbewahrung übergeben wurde. Der Fund geriet jedoch in Vergessenheit, bis vor etwa einem Jahr. Da übergab Wolfgang B. die Torarolle dem Finower Pfarrer. „Bei ihm sei sie in guten Händen“, war seine Meinung. Studierende der Universität Potsdam haben sich unter der Leitung der Kuratoren Elke-Vera Kutowski und Uri Faber vom Moses-Mendelssohn-Zentrum auf Spuren jüdischem Leben im Land Brandenburg begeben. Äußerer Anlass war der 200. Jahrestag des preußischen Emanzipationsedikts vom 11. März 1812, in dem alle Juden in Preußen als Staatsbürger anerkannt wurden. Der regen Diskussion um einen Synagogen-Neubau in Potsdam könnte die Schau manche guten Einsichten bringen und vor allem profunderes Wissen vermitteln.
Das Interesse der Ausstellungsmacher galt insonderheit den Synagogen als Zentren jüdischer Gemeinden. Doch sie haben auch den Rang eines kulturellen und sozialen Treffpunkts. Durch das Aufbewahren und das Verlesen der Tora, in der Weisung, Belehrung und das Gebot Gottes zu finden sind, erhält die Synagoge ihre Bedeutung als Gotteshaus. Die Studierenden erkundeten, dass in den heutigen Grenzen Brandenburgs bis in die 1930er Jahre hinein in mehr als 50 Städten und Dörfern Synagogen zu finden waren. Die ersten Bauten entstanden Anfang des 18. Jahrhunderts, die letzten im ersten Drittel des Zwanzigsten. Neben den großen repräsentativen Gebäuden wie in Potsdam oder in Brandenburg/Havel fand man auch kleine Bethäuser oder Betstuben in Wohnungen. Oftmals hat man an private Wohnhäuser einfach Räume angebaut, beispielsweise in Groß Neuendorf/Letschin oder in Calau.
Einige Gotteshäuser wurden bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus aufgegeben, da sie durch Wegzug von jüdischen Gemeindegliedern nicht mehr genutzt wurden. Doch die meisten Synagogen zerstörte man in der Pogromnacht am 9. November 1938 oder beschädigte sie derart, dass man sie ihrer Funktion beraubt wurden. Aber auch in den ersten DDR-Jahren innerhalb stalinistischer Säuberungsaktionen ging man mit Juden ebenfalls nicht zimperlich um. Als Konterrevolutionäre und zionistische Agenten bezeichnete man viele von ihnen. Nach Stalins Tod 1953 änderte sich jedoch die Politik gegenüber den wenigen Juden, die es in der DDR noch gab. Sie wurden von nun als „Opfer des Faschismus“ bezeichnet. Doch jüdische Gottesdienste konnten nur in Ostberlin gefeiert werden. Die Fotografien in der Ausstellung machen mit den ehemaligen Standorten der Synanogen im Land bekannt. Historische Bilder wurden, wenn vorhanden, den Fototafeln beigegeben. Leihgaben von städtischen Museen oder Archiven, von privaten Personen ergänzen die informative Ausstellung, die unser Wissen um jüdisches Leben in der Mark Brandenburg erweitert. Da findet man einen wertvollen Kidduschbecher, der den festlichen Anlass des Segenspruchs über einen Becher Wein am Sabbat unterstreichen soll. Auch ein Chanukka-Leuchter und das Fragment und der Torarolle sind zu sehen.
Von 1814 stammt eine Liste mit Namensänderungen von jüdischen Bürgern. Zu finden ist es im Amtsblatt der Königlichen Kurmärkischen Regierung. Hierin wurden die eingeführten deutschen Familiennamen verzeichnet. Beispielsweise nannten sich die Levis von nun an stolz Lesser. Diese alteingesessene Familie in Rathenow wird dem Besucher des HBPG in einer anderen Ausstellung vorgestellt, deren Konzeption vom Kulturzentrum Rathenow und dem Moses Mendelssohn Zentrum stammt. Anhand von drei Mitgliedern der Familie wird 150 Jahre Gesellschaftsgeschichte gezeigt. Die Lessers haben in sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht nicht nur in Rathenow, sondern auch in Berlin Wesentliches geleistet. Aber davon könnte ein anderer Beitrag berichten. Klaus Büstrin
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, bis 17. Juni bzw. 3. Juni, Di-Do 10-17 Uhr, Fr 10-19 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr.
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