Die Tür geht auf und da stehen sie: mehr als 100 Jugendliche, in Reihen, die Hände nach oben gestreckt, die konzentrierten Gesichter etwas Unsichtbarem zugewandt. Es schallt dramatisch aus den Boxen. Royston Maldoom steht am Rand. Spontan springt er auf die Tanzfläche, um eine Bewegung vorzumachen oder „schneller“ zur rufen. Kein „Shut up“ (Haltet die Klappe) schallt am Freitagmorgen durch die Sporthalle der Rosa Luxemburg Schule. Die tanzenden Jugendlichen stehen im Kameralicht, keiner quatscht oder lacht. „Open rehearsal“, offene Proben: die Deutsche Welle, der rbb, die Presse sehen sich an, was nach zwei Wochen Proben mit dem Choreographenstar herausgekommen ist.
Noch fast eine Woche bis Freitag, dann ist Premiere von „Tryst“ (Das Treffen). Dann stehen die jungen Tänzer auf der Bühne des Hans Otto Theaters: Schüler der Rosa Luxemburg Schule, Jugendliche aus der Förderschule nebenan und aus dem Schulverweigerungsprojekt Oase. Royston Maldoom hat Tryst – das von dem Schotten James Mc Millan komponierte, traurig schöne Stück – ausgewählt, auch weil es den Jugendlichen Raum bietet, ihre Rolle selbst zu interpretieren, sagt er. Der Choreograph gibt das tänzerische Gerüst vor.
Seit 30 Jahren arbeitet Maldoom in ungewöhnlichen Projekten. Er hat mit Straßenkindern in Äthiopien getanzt, mit Kindern aus armen Familien in Peru und erwachsenen Gefängnisinsassen. Er war gelangweilt von den Inszenierungen mit professionellen Tänzern, soll er gesagt haben. Deshalb hat er nach Neuem gesucht und das Kapitel als Choreograph internationaler Tanztheater- und Ballettensembles beendet.
Immer wieder lässt er sich nun auf neue Orte und neue Menschen ein. Für das drei wöchige Potsdam-Projekt ist er in eine Gewoba-Wohnung in die Nansenstraße gezogen. Seine Arbeit ist für ihn wie eine Droge. „Ich liebe es, zu sehen, wenn Menschen sich positiv entwickeln. Und ich liebe es, Teil dieser Entwicklung zu sein.“ Damit das Projekt nicht einfach zu Ende ist, wenn der Vorhang nach der letzten Aufführung fällt, versucht Maldoom für die Jugendlichen Ansprechpartner zu finden, an die sie sich wenden können, wenn sie weiter tanzen wollen. Deshalb sollen die Tanz-Assistenten, die die Inszenierung unterstützen, möglichst aus der Projekt-Stadt kommen. Das ist in Potsdam aber leider nicht gelungen. Julia Saal, die Organisatorin, hat sich mit der Tanzfabrik und dem Waschhaus in Verbindung gesetzt. Keine Zeit, Krankheit, war die Reaktion der Gefragten. Zum Schluss musste sie auf pädagogische Tänzerinnen aus Berlin zurückgreifen.
Potsdam ist für den Choreographen am Anfang erst einmal wie jedes andere große Tanzprojekt. „Mehr als 100 Jugendliche in einem Raum bringen eine besondere Energie und Aufgeregtheit mit. Das ist immer so“. Da muss eben häufiger ein „Shut up“ für Ruhe sorgen. Wenn das nicht reicht, verlässt er die Halle, dann müssen die Schüler eben warten, bis es weiter geht. Und es geht weiter. Trotz Muskelkater, blaue Flecke, Frust. Denn alle haben ein gemeinsames Ziel. Weniger als eine Hand voll Kinder sind abgesprungen. „Man sieht, so schlimm kann es nicht gewesen sein“, sagt Maldoom. Die Halle ist noch voll. Marion Hartig
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