Kultur: Aufgebrochene Sprachlosigkeit
Papierne Schwergewichte im Kunsthaus: Max Wechslers Bilder brodeln unter versteinerter Haut
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Sie sind von einer verstörenden Schönheit. Versteinert und doch voller Bewegung. Max Wechslers im Kunsthaus gezeigte Bilder erinnern an ausgedörrte Erde, auf die Regen prasselt: Harte Tropfen perlen ab und bilden auf der verkrusteten Oberfläche ein bizarres Muster. Die Feuchtigkeit verschwimmt, schafft es nicht, einzudringen. Die Biografie Max Wechslers hat an diesen „Büchern“ stiller Einkehr und des Verweigerns kräftig mitgeschrieben. Erst nach Jahrzehnten schaffte sie es, sich Bahn zu brechen und die aufgezwungene Sprachlosigkeit der Jugend „reden“ zu lassen. Die späte Kunst legt die geschundene Seele eines Suchenden bloß, wie einen aufgerissenen, ausgetrockneten Acker.
Max Wechsler war 13, als ihn seine Eltern 1939 aus Schutz vor den Nazis in einen Zug nach Frankreich setzten: in ein fremdes, ebenfalls unsicheres Land. Er durfte seine deutsche Sprache nicht sprechen. Sie hätte ihn verraten. Der Junge jüdischer Abstammung fand Unterstützung bei der Résistance, der er sich später anschloss. Seine Familie wurde indes von den Deutschen ermordet. Der plötzliche Entzug der Muttersprache hinterließen in ihm ein Gefühl des Mangels. Keine Sprache zu haben, isoliert zu sein: Das war eine der grausamen Erfahrungen, die sich im Werk von Max Wechsler eingegraben hat. Doch erst 1984 gelang es ihm, diese düsteren Schichten aufzubrechen, sie in seiner Kunst zu verarbeiten.
Der Anblick zusammengepresster Zeitungen war Auslöser eines malerischen Werkes ohne Malerei. Sie riss den anfangs surreal arbeitender Maler heraus aus einer mehrjährigen Schaffenspause. Gedruckte Schrift wurde fortan zu seinem Material. Einzige Arbeitswerkzeuge: eine Fotokopiermaschine, Schere, Leim und Binder.
Der heute 86-jährige Maler zerreißt Zeitungsseiten, um die Fetzen durch mehrfache Fotokopien zu verkleinern oder monumental zu vergrößern, die Wörter bis zur Unkenntlichkeit zu verändern. „Er rückt die Schrift in eine andere Dimension: ins Malerische“, sagte der Kunstwissenschaftler Andreas Haus zur Vernissage im Kunsthaus. Dort hängen die teils wandeinnehmenden 23 Arbeiten in fast sakraler Anmutung. Man möchte sanft über die Bildhäute streichen, die schwer wie Metallplatten wirken und doch von papierner Leichtigkeit sind. Manche scheinen sich wie in dem matt-schwarzem Bild „6 Teile“ vom Untergrund zu lösen. Sie wellen sich wie die Seiten eines alten Buches, das in einem feuchten Keller lagert.
In würdevoller Ruhe, ohne zu erdrücken, brechen Abgründe auf, fein nuanciert, wie gemalte Gedichte. Manche glänzen versiegelt unter ihrer Lackschicht, wirken versteinert wie Granit. Doch aus nächster Nähe gibt es immer etwas Unerklärbares, Untergründiges, drücken sich zwischen den bandagierten, glattgestrichenen Papierfetzen darunter liegende Botschaften durch: verschachtelte Quadrate, Rechtecke, Linien. Weiche Schattenwürfe menschlicher Blessuren.
„Mein Verhältnis zum Text ist eine Hommage an den Text – keine Zerstörung“, schrieb Max Wechsler. Und so erschlagen diese schwarz-grauen Bilder auch keineswegs mit Düsternis. In der Reduktion der Farbe findet der Künstler offensichtlich unendliche Variationsmöglichkeiten. Die fast monochromen „Schwergewichte“ sind in ihren Schwarz- und Grautönen durchaus vielfarbig.
2006 stellte der Maler das erste Mal in seiner Geburtsstadt aus: in der Villa Oppenheim Berlin. Eine unbekannt bleiben wollende Mäzenatin hat nun die Ausstellung in Potsdam mit ermöglicht und die den Künstler in Berlin vertretene Galerie Kunstbüro finanzierte zudem den Transport. Beim Aufhängen seiner Bilder legte der Künstler selbst Hand mit an, kletterte vital auf die Leiter. „Bei so empfindsamem Papier ist es eigentlich angeraten, mit Handschuhen zu arbeiten. Max Wechsel verzichtete darauf. Er hat ein sehr rustikales Verständnis zu seinen Arbeiten, macht auch kein großes Brimborium um sich selbst“, sagt Annette Jahnhorst, das für die Öffentlichkeitarbeit zuständige Vereinsmitglied des Kunsthauses.
Es muss für Max Wechsel wie eine Erlösung gewesen sein, endlich künstlerisch ausdrücken zu können, wonach ihm so lange dürstete: nach der ihm gemäßen Sprache. Die Bilder können offensichtlich gar nicht groß genug sein, um all das Aufgestaute abzutragen. „Als Kind hat mich Berlin mit dem ihm eigenen Licht durchdrungen, schwer zu beschreibende Empfindungen begleiten mich bis heute.“ Er hat diese Erinnerung mitgenommen ins Exil nach Paris. „Diese Fährte verfolge ich, wie die verschiedenen Werkvariationen es noch erkennen lassen, um mir das Damals der Sprache, des Wortes, des Buchstabens wieder zu Eigen zu machen“, schrieb der in zahlreichen Museen und namhaften Galerien vertretene Künstler.
Fast vor der Haustür des Kunshauses stolpert man der Ausstellung gedankenverloren nachhängend plötzlich über einen Stein auf dem Gehweg. „Hier wohnte Auguste Zöllner, 1943 nach Theresienstadt deportiert und dort am 23. August 1943 gestorben“, ist darauf zu lesen. Plötzlich bekommen Max Wechslers Bilder noch einmal eine andere Facette. Sie sind wie dieser „Stolperstein“ ein Ruf aus der Tiefe, ein Echolot verschütteter Wrackteile deutscher Geschichte – mit der Stimme der Toten.
„Schriftfragmente im künstlerischen Prozess“ von Max Wechsler noch bis 18. März im Kunsthaus, Ulanenweg 9, Mi 11 bis 18 Uhr, Do und Fr 15 bis 18 Uhr, Sa und So 12 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung unter Tel.: (0331) 200 80 86
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