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Zum Fragen blieb Jeannette Eggert kaum Zeit, Michael Gwisdek gab im Filmmuseum den Entertainer.

© Manfred Thomas

Von Heidi Jäger: Aus der Hüfte geschossen

Michael Gwisdek gab im Filmmuseum zur Eröffnung einer Fotoausstellung den Entertainer

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Er ist eine Rampensau, die andere zum Quieken bringt. So gelacht wird selten bei Filmgesprächen, oder besser auf einer Solo-Performance. Denn Michael Gwisdek braucht keine Fragen, um Fahrt aufzunehmen. Er prescht durch die Kurven seines Lebens, ohne Angst zu haben, anzuecken. Er hört auf jedes Stichwort, sagt er, bevor er überhaupt die Bühne erklimmt und trennt sich auf Wunsch des Publikums von rotem Schal und schwarzem Basecap. Doch ansonsten ist er der eigene Stichwortgeber bei seinem furiosen Auftritt im Filmmuseum zur Eröffnung der Fotoausstellung „Der ungeteilte Himmel“.

Dabei ist er Donnerstagabend keineswegs uncharmant zu der durchaus kompetenten Filmfrau Jeannette Eggert, die er sofort umarmt, als sie gesteht, dass sie ihn bereits von „Nachtgestalten“ kenne, wo sie das Set-Häschen war. Doch Gwisdek ist nun mal ein Entertainer, der drauf losredet, als würde ihm morgen der Mund verboten. Auch auf die Gefahr hin, sein klapperndes Gebiss zu verlieren, wie es ihm gerade auf der Berlinale passierte. „Meine Frau sagte immer, ich höre mich an, als sei Inge Meisel zu Besuch“, witzelt er. Nun hat er sich entschlossen, ein paar Euro mehr in ein festsitzenderes Modell zu investieren. Zum Glück drehe er ja nicht nur Filme mit Studenten, wo er noch Geld mitbringen muss. Es zahle sich durchaus aus, sich auch mal für „Das Traumschiff“ anheuern zu lassen, wo er sogar mit einem rosa Chevrolet direkt in die Maya-Pyramiden Mexikos einfahren durfte. Seine Kollegen würden natürlich über so viel Prostitution nur die Nase rümpfen. Genauso wenn er sich auf dem roten Festivalteppich zum Clown mache. Dabei war es gerade dieser Teppich, der ihn vor einem halben Jahrhundert überhaupt auf die Idee brachte, Schauspieler zu werden, wie auch in dem Porträtbuch des Filmmuseums „Der ungeteilte Himmel“ nachzulesen ist, in dem 19 Schauspieler aus der DDR erzählen und zu dem es jetzt die Fotoschau gibt.

Es sei schon eine Katastrophe gewesen, sich für dieses Buch zu einer Lebensbeichte verführen zu lassen. „Versucht man klug zu sein oder erzählt man wirklich die Wahrheit, so primitiv und blöde sie auch ist?“ Da aber Michael Gwisdek ohnehin ständig das Herz überlauft, kann der Kopf ohnehin nur in der zweiten Reihe tanzen. Er habe sich jedenfalls als noch Bravo lesender Jugendlicher gefragt, warum nicht jeder Schauspieler werden will, wo man doch immer an den schönsten Plätzen der Welt unterwegs ist und dafür noch Geld bekommt. Außerdem wollte er unbedingt wie Horst Buchholz auf der Leinwand mit dem Colt zwirbeln und ganz cool aus der Hüfte schießen. „Zweieinhalb Jahre habe ich das geübt: Tag für Tag.“ Und schon reißt es ihn vom Stuhl, jongliert er wie wild mit der nicht vorhandenen Knarre durch die Luft. Eines steht für ihn fest: lieber in einem Mantel- und Degenfilm spielen als in Hamlet. Er sei immer der Schreck aller „Kaskadeure“ gewesen, denn natürlich ließ er es sich nicht nehmen, selbst mit dem Pferd durch die Prärie zu reiten – mit einer Ritterrüstung aus Filz, die sich vollsog als er in den Fluss fiel. „Aber das ist das Schöne an dem Beruf, wenn du absäufst, stehen 17 daneben, die dich retten.“

Zur Rampensau habe er sich am Karl-Marx-Städter Theater entwickelt, bevor er nach Berlin kam. „Eigentlich hatte ich mit Theater überhaupt nichts am Hut, ist doch alles lauter Pappe, aber es ging nicht anders in der DDR.“ Nach der Wende war er aber sofort weg, um sich richtig im Schlamm wälzen zu können.

Doch vorher führte er noch seine erste Regie, „ein bisschen von DEFA-Studio-Chef Mäde erpresst. Ich sagte ihm, wenn ich das hier nicht machen kann, mache ich es in einem anderen Land.“ Das war schon in der Zeit der Unruhen. Und er erzählt vergnüglich, wie er in „Treffen in Travers“ alles kopierte, was er an Bildern im Kopf hatte, vor allem von Bertolucci. „Eine riesig lange Nacktszene, vom Vorspiel bis zum Orgasmus, musste einfach drin sein.“ Zum Schluss sei indes eine völlig unerotische Vögelszene rausgekommen. Dennoch schaffte er es mit diesem Debüt bis nach Cannes, wo die Leute den Saal förmlich stürmten, ihn aber auch während d er Vorstellung teilweise wieder verließen. „Es war die Hölle, ich wusste ja nicht, dass das auf einem Festival so üblich ist. Jedenfalls fanden die Leute unser grelles ORWO-Color ganz irre, während wir bei der DEFA die Wiesen immer abbrannten, dass wir das Grün wegkriegten.“

Dann sollte er sogar den Preis für den besten „Erstling“ bekommen, „Doch ich wurde zweiter. Mir doch egal!“ Es folgten viele andere Preise, „die man sowieso nur mit Glück kriegt, weil vielleicht jemand in der Jury sitzt, der dein Freund ist.“ Der wichtigste Preis sei ihm der Silberne Bär für „Nachtgestalten“. „Für diesen Dresen-Film drehten wir oft nachts, es war kalt und regnete. Plötzlich artete der Beruf zur Arbeit aus. Aber viel bestialischer war es mit Bernhard Wicki. Da bist du glücklich, dass du kein Krieg mitmachen musstet und dann drehst du mit ihm.“

Letztes Jahr stand er gleich drei Mal in einer Hauptrolle vor der Kamera. „Leider mit nur wenig Lachern drin. ,El Nino’ spielt in Argentinien, wo 30 000 Leute verschwunden sind. Alles ganz ernst.“ In „Boxhagener Platz“ hatte er vielleicht drei Lacher. „Aber in ,Fata Morgana’, wo ich einen Entertainer für Rentner gebe, ballerte ich dann alles rein.“ Und schon schnappt er Schal und Basecap, düst ab ins Thalia, um dort in die Trompete des Fanfarenzugs zu blasen: Zum Halali für die Premiere vom „Boxhagener Platz“.

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