Kultur: Außenseiter
Das FilmPolska-Festival im Thalia-Kino hat begonnen
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In den Spielplänen der Kinos sind sie rar, die Filme aus Polen. Dank dem Festival FilmPolska, das seit 2006 jedes Jahr ein Programm neuester polnischer Produktionen vorstellt, sind in Berlin und Potsdam dennoch Einblicke in das aktuelle Filmschaffen Polens möglich. Mit Bodo Kox‘ Spielfilm „Das Mädchen aus dem Schrank“, der am Donnerstag im Thalia Filmtheater zu sehen war, ist ein ebenso interessanter wie unterhaltsamer Auftakt gelungen. Man hätte ihm einfach nur mehr Publikum gewünscht als das gute Dutzend Zuschauer. Dem Enthusiasmus von Hauptdarstellerin Magdalena Rózanska und Regisseur Bodo Kox, dessen Film als bestes polnisches Debüt gilt und Preise auf den Filmfestivals in Cottbus und Chicago gewonnen hat, konnte diese Tatsache jedoch nichts anhaben.
„Das Mädchen aus dem Schrank“ erzählt die Geschichte von Jacek und seinem autistischen Bruder Tomek, auf den Jacek aufpasst. Leider torpediert Tomek, in dessen Realität oft Zeppeline am Himmel auftauchen, die nur er sieht, mit seinen Reaktionen sämtliche Beziehungsversuche seines Bruders zu Frauen. Jacek wiederum kann Tomek nicht allein lassen. Bis die hübsche, aber gern mittels Joint in Parallelwelten flüchtende Nachbarin Magda sich mit Tomek anfreundet. Warmherzig und sensibel, ganz und gar ohne Melancholie kommt diese Geschichte daher: humorvoll, mit wunderbar skurrilen Szenen und stilisierten Bildern, die im Gedächtnis bleiben. Doch unter der Oberfläche, dem Spiel mit Parallelrealitäten, behandelt der Film ernste Themen. Neben der Frage nach dem angemessenen Umgang mit Menschen mit Behinderungen geht es auch um Einsamkeit – nicht nur von Außenseitern – in der heutigen Gesellschaft.
Bodo Kox ist nicht nur Regisseur, sondern auch ausgebildeter Journalist und Musiker. In der Off-Kinoszene dreht er bereits seit 2003 Filme, von denen zwei nach Festivalerfolgen auch im Fernsehen gezeigt wurden. „Das Mädchen aus dem Schrank“ gilt dennoch als sein Debüt – „im kommerziellen Kino“, so Kox. Der Unterschied sei, erklärte er später, dass er nicht noch einen Film ohne oder mit sehr wenig Geld habe drehen wollen.
Überhaupt war es ein sehr persönlicher Einblick in künstlerische Prozesse, den Bodo Kox im Gespräch gewährte. Am erstaunlichsten war vielleicht, dass kein direkter Kontakt zu einem Autisten die Erfindung der Film-Geschichte auslöste. „Mich interessieren die seltsamen Figuren, die Outsider“, sagte Bodo Kox, „ich wollte mich von meinen eigenen Traumata heilen, indem ich diese Figuren erfand.“ So sei die Krankheit beim Schreiben gar nicht als Hauptthema geplant gewesen. Aber er fand es spannend, dass eine Figur, die einerseits an einer Entwicklungsstörung leidet, andererseits so herausragende Fähigkeiten habe wie beim Savan-Syndrom – eine Art genialer Idiot.
Die Szenen und Emotionen entständen dann aus Musik, die ihn inspiriere. Magdalena Rózanska für die Rolle der Magda gefunden zu haben, sei eine „schicksalhafte Fügung“ gewesen, so Kox. „Ich bin danach in der Rolle der seltsamen Frau geblieben“, sagt sie – halb scherzhaft. Es müssen für die Schauspieler sehr intensive Dreharbeiten gewesen sein: Wojciech Mecwaldowski, der Darsteller des Tomek, lebte so sehr in seiner Rolle, dass er während der Dreharbeiten mit niemandem sprach. Gabriele Zellmann
Das „Film Polska“-Festival läuft noch bis einschließlich Sonntag im Thalia Filmtheater in der Rudolf-Breitscheid-Straße 50. Das komplette Programm unter www.thalia-potsdam.de
Gabriele Zellmann
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