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Gebündelte Wissenschaft: Der Künstler Christian Schütz findet seine Gedanken und Theorien oft in der Musik bestätigt.

© Manfred Thomas

Kultur: Bach in bunt

Der Berliner Künstler Christian Schütz zeigt im sans titre digitale Bilder: farbige Variationen über Musik und Naturwissenschaften

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Ob er rauchen darf? Christian Schütz steht im nüchternen Raum im Obergeschoss des Kunsthauses sans titre und zündet sich eine Zigarette an. Gerade hat er gemeinsam mit Ehefrau und Tochter Bilder gehängt, ein paar fehlen noch. Die, die bereits im Ausstellungsraum sind, scheinen ihre Farben auszugießen unter dem Oberlicht – ein sonnenfleckiger Aprilhimmel. Bis zum vierten Mai wird die Ausstelung „BA-ChWAMR-STRING“ in dem Künstlerhaus zu sehen sein: Bilder aus dem Zwischenreich von Malerei und Fotogafie, digital gestaltete Farbexplosionen, mal satt und schwer, mal zart-schwebend, abstrakt oder hautnah-realistisch.

„Ich bin der, der die Bilder produziert“, sagt Schütz fast bescheiden und setzt sich auf einen der Klappstühle im Büro. Um über seine Ideen und Methoden zu reden, muss man die Bilder nicht unbedingt sehen, das geht auch so. Schütz, der 73-jährige Berliner, macht seit etwa 14 Jahren ausschließlich digitale Kunst. Studiert hat er Malerei, drei Jahre lang, bis zum Mauerbau 1961. Doch irgendwann entschied er, nur noch mit den modernen Medien zu arbeiten. In seinem Arbeitszimmer, sagt er, finde sich kein einziger Pinsel, keine Leinwand. Alles entsteht am Rechner – doch auf dem Boden, sagt seine Frau leicht amüsiert, leicht erbost, liegen überall Papiere herum. „Ich hab eben ein großes Archiv“, sagt Schütz und lächelt etwas. Seine Bilder, seine Arbeit – alles codiert in Dateien.

Digitales Arbeiten bedeutet auch bei Schütz das Verschlüsseln von Information mittels einer bestimmten Anzahl von Zeichen. Diese Zeichen setzt der Künstler dann in ein fotografisches Bild um. Vielleicht bedeutet das auch die Entschlüsselung, das Sichtbarmachen von Gesetzmäßgkeiten und Analogien. Schütz, der nie Medizin, Physik oder Mathematik studiert hat, sieht sich als Verbinder zwischen Naturwissenschaften und Kunst: „Ich bündle das“, sagt er. Kritiker und Kollegen sagen, man sehe es seinen Werken an, dass er aus der Malerei kommt. Die Bilder leben von der differenzierten Farbgebung, das ist das Haupausdrucksmittel. Und Schütz benutzt die Farbe, um Tiefe und räumliche Effekte zu kreieren.

Bei der Entstehung seiner Arbeiten steht der grafische Aspekt im Vordergrund. Zunächst habe er eine konkrete, bildhafte Idee im Kopf, erst dann ergibt er sich den Einflüssen von Musik, Physik, Mathematik, Medizin. „Das Konzept, die Idee ist schon da, dann höre ich Musik und denke: Das hat ja genau mit dem zu tun, was du gerade machst“, sagt Schütz. Die Naturwissenschaften sind für ihn eine Bereicherung, die er häufig direkt aus seiner Umgebung zieht: Die drei erwachsenen Kinder, eine Pianistin, eine Radiologin und ein Biologe, liefern Inspiration. So arbeitete er etwa mit radiologischen Befunden, anonymisiert natürlich. Im Zyklus „The Human Body – Kopf und Körper“ finden sich Werke, in denen das Ausgangsmaterial – Schädelknochen, Rippen, Hautoberfläche, aber auch medizinische Applikationen – noch erkennbar, aber dabei auch stark verfremdet ist. Ein Effekt, erreicht durch Verzerrungen, Überlagerungen, Färbungen, so wie auf „Dante-Portait“. „Ich habe das Thema, die These, und suche dann Bestätigung oder eine veränderte Abstraktion“, so der Künstler.

Vor allem Musik ist sein Thema. Ihn interessieren ihre mathematisch-physikalischen Aspekte. Töne, Schwingungen und Ströme wandelt er um in visuelle Darstellungen. Johann Sebastian Bach hat ihn immer schon inspiriert, sagt er, zu dessen „Chaconne“ entstand der Zyklus „BA-Ch“, 18 Variationen über das männliche und das weibliche Prinzip. Wie außerirdische Wesen, eingehüllt in kantige, teils metallisch-transparent wirkende Umhänge, so hat Schütz dieses Stück von Bach digital-fotografisch umgesetzt.

Manchmal wird es bei ihm sehr theorethisch: Schütz beschäftigte sich mit dem Eigendrehimpuls eines Fadens, der gebündelt Schwingungen und folglich Musik auslöst. Diese „String-Theorie“ findet sich etwa in der Bildwelt zur „Psychosomatik eines Tones“: Bilder, in denen glasklare, messerscharfe Farbströme wie aus einem Seismografen in die Bildmitte fließen und dort wie Kristalle wachsen, aufbrechen, explodieren. Kleinstrukturiert dagegen sind die „Klanggitter“: aus winzigen, vertikal-horizontalen Elementen aufgebaute Gebilde. „Schwer herzustellen“, sagt Schütz. Zeile für Zeile kontrolliert er am Bildschirm die Arbeit, stark vergrößert, und kann dennoch die Wirkung eines solchen Bildes oft nur erahnen. Das fertige Werk entsteht in der Druckerei. Oft entscheidet er sich für Aluminiumdruck, bei dem sich durch tageszeitabhängiges Licht die Farben verändern.

Christian Schütz’ Bilder sind weltweit gefragt. Im Herbst wird er in Moskau Werke aus „Variation M“ zeigen. Der Berliner Komponist Oliver Schneller schreibt dazu gerade passende „Neue Musik“, die dann als Klanginstallation aufgeführt werden soll. Und eine Klinik für psychosomatische Krankheiten hat zuletzt Bilder der Bach-Variation gekauft. „Die zeigen halt interessante Veränderungen einer einzelnen Person“, so die Vermutung des Künstlers Schütz.

Die digitalen Bilder von Christian Schütz sind ab dem heutigen Freitag und dann bis zum 4. Mai im Kunsthaus sans titre, Französische Straße 18 zu sehen, geöffnet ist jeweils donnerstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr

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