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Überzeugend. Regisseur Ali Samadi Ahadi im Thalia.

© Manfred Thomas

Kultur: Bislang noch ohne geistigen Führer

The Green Wave über die Revolution im Iran

Stand:

Als „Grüne Welle“ ist sie in die iranische Geschichte eingegangen – die friedlich begonnene und blutig zerschlagene Revolutionsbewegung in Teheran im Sommer 2009, die eine Antwort sein wollte auf die offensichtlich gefälschten Präsidentschaftswahlen, die gerade vollzogen worden waren. Der iranischstämmige Regisseur Ali Samadi Ahadi („Lost Children“, „Salami Aleikum“) hatte, so erzählt er am Montagabend im Thalia-Kino seinem Interviewpartner Knut Elstermann, die Ereignisse in seiner Heimat zum Anlass genommen, mit seinem Film „The Green Wave“ über offensichtliche Menschenrechtsverletzungen, Brutalität und Härte durch den iranischen Staat zu berichten. Dabei wählte er, aus Ermangelung von professionellem Filmmaterial, das wegen Nachrichtensperre und drohender Repressalien wohl nicht den Weg über die iranische Grenze hätte finden können, die Form der Bildmontage. Die Möglichkeiten der modernen Vernetzung – Handy, Facebook, Twittern, Bloggen – gaben nicht nur den Iranern die Möglichkeit, ihren Aufschrei in die Welt zu schicken, sondern ermöglichten dem Filmemacher auch die Umsetzung seines Projektes. So entstand mit „The Green Wave“ eine 80-minütige Dokumentation der damaligen Ereignisse, die vor allem von der Authentizität durch zahlreich entstandene Handyaufnahmen, Tweets, Blogauszügen und auch Interviews mit Journalisten oder der Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi lebt, die Ali Samadi Ahadi für seine Montage zur Verfügung standen.

Besonders kunstvoll und überzeugend sind seine eingefügten Animationen, die den Strich der Graphic Novel haben und mit denen er sich gegen eine filmische Nachstellung der Blogeinträge entscheidet. Stattdessen wählt er zwei Charaktere, die, animiert, stellvertretend für die literarischen Stimmen der Revolution stehen und über Verfolgung, Angst und Folter berichten. Die verwendeten Originalvideoschnipsel fangen nicht nur die kraftvolle, von der Farbe Grün, der Farbe des Islam und eine der Farben der islamischen Landesregierung dominierte Bewegung ein, die bis zu vier Millionen Iraner auf die Straße führte.

Auch die Gewaltbereitschaft der Revolutionswächterarmee, den Bassidsch, ihre Knüppeleien, die Niedergeschossenen, ein kurzer Blick auf das tote Gesicht der Studentin Neda lassen die Zuschauer immer wieder zusammenzucken und führen im Anschluss an den Film zu einem angeregten Gespräch, in dem es immer wieder um eine Frage geht: Was kann getan werden gegen so offensichtliche Menschenrechtsverletzungen?

Mehran Barati, iranischer Exil-Politiker und ebenfalls zu Gast im Thalia, hat darauf nur eine Antwort: Keine militärischen Interventionen, sondern eine offene, klare Unterstützung der Demokratiebewegung. Die Forderung nach Transparenz, nach Gesprächen mit Präsidentschaftskandidat Moussawi, der gefangen gehalten wird, nach Besuchen in den Gefängnissen. Aber keine Aktionen á la Westerwelle, der einen Tag nach der Verhaftung Moussawis in den Iran fliegt, um Diktator Ahmadinedschad die Hand zu schütteln. Und vor allem der Mut, auch mit wirtschaftlichen Interventionen zu drohen, eine partielle Einschränkung der Handelsbeziehungen zu wagen.

Sind sich der Regisseur und der Exil-Politiker über die Möglichkeiten des sinnvollen Eingreifens in die iranische Politik einig, so gibt es doch Diskrepanzen über die Frage nach dem Scheitern der Revolution. Während Barati von einer auffallend jungen Bewegung spricht, die sich zu schnell entzündete und ohne geistigen Führer blieb, sieht Ahadi die Veränderungen in der neunmonatigen Revolte, die seiner Meinung nach an Struktur gewonnen hat und sich, auch aufgrund der aktuellen Ereignisse in Ägypten und Tunesien neu entzünden wird, um hoffentlich zum Erfolg zu führen. Die drittgrößte Bloggernation Iran ist jedenfalls auch gewitzt im unerlaubten Kopieren und Vervielfältigen, und so wird „The Green Wave“ nicht nur ein Film für Europa bleiben. Andrea Schneider

Andrea Schneider

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