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Kultur: Das Auge „bestechen“

Der Potsdamer vacat-Verlag wurde Zehn / Im kommenden Jahr wartet er mit acht neuen Titeln auf

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Der Potsdamer vacat-Verlag wurde Zehn / Im kommenden Jahr wartet er mit acht neuen Titeln auf Von Heidi Jäger Kleider machen Leute – und auch Bücher. Wie sonst sollte man in dem Riesen-Wust von Angeboten seine Auswahl treffen. Das Buch muss frohlocken, ansonsten bleibt es oft ungeachtet seines Inhalts verwaist im Regal zurück. Da kann es nur gut sein, wenn ein Verleger gleichzeitig die Höhen der Gestaltung beherrscht, weiß, wie man das Auge „besticht“ – und das auch mit leisen Tönen. Betina Müller ist Professorin auf diesem Gebiet und gibt ihr Wissen auch an die Studenten der Potsdamer Fachhochschule weiter. Doch sie will nicht nur darüber dozieren, sondern auch selbst praktisch gestalten. Und so führt sie in ihrer Freizeit gemeinsam mit ihrem Mann Frank-Michael Feller den Potsdamer vacat Verlag – vacat, was so viel heißt wie nicht vorhanden. Doch vacat gibt es nunmehr zehn Jahre und er ist sehr wohl präsent, auch wenn er die Nischen belegt, die gern ins Abseits gedrängt werden. Die Idee, sich dieser Außenseiter anzunehmen, erwuchs aus der eigenen Enttäuschung. Immer wieder traf Betina Müller mit ihren Projekten auf taube Ohren. „Es rechnet sich nicht“, hieß das Totschlagargument der Verlage. „Ich wollte aber mal etwas ganz ohne Beschränkungen machen. Dazu musste ich es schließlich selbst in die Hand nehmen.“ Die Tür dazu öffnete ihr das Kunstamt Berlin-Wilmersdorf, das die Lyrik Dieter Straubs mit einem Druckkostenzuschuss auf den Weg bringen wollte. Betina Müller sattelte auf, zumal das finanzielle Risiko relativ gering war. Und somit wurde Straubs „Zeit der Olive“ die Geburtszeit von vacat in Babelsberg. „Wir fingen die Sache ganz entspannt an: Ein, zwei Titel im Jahr – so war unsere Vorstellung.“ Damals stand Frank-Michael Feller noch beim Berliner Senat in Lohn und Brot, somit bedeutete für sie der Verlag auch kein existenzielles Wagnis. Doch der Ehrgeiz wuchs, es wurden von Jahr zu Jahr mehr Titel – aber der schnelle Erfolg blieb aus. „Das größte Problem war der Vertrieb. Mit Lyrik im Gepäck erntet man eben nur ein müdes Lächeln. Ist das Sortiment nicht vielseitig genug, findet man auch keine Verlagsauslieferung“, so Feller. Also musste am Abend jedes Buch eigenhändig verpackt und verschickt werden. „Erst als wir schließlich zehn Titel vorweisen konnten und für unsere Leuchttürme der Schottischen Atlantikküste ,Bastionen des Lichts“ von der Stiftung Buchkunst als eines der fünfzig schönsten Bücher 1997 ausgezeichnet wurden, nahm man uns ernst.“ Nun klappte es auch mit der Verlagsauslieferung. In Paletten gestapelt, liegt das inzwischen auf 35 Titel angewachsene vacat-Sortiment in einem Lager in Tempelhof, an der Seite von Büchern weiterer 50 Verlage. Dort können sich die Buchläden nun selbst die gewünschten Exemplare abrufen. „Der nächste Titel, der uns publicity brachte und den wir mit dem Brandenburgischen Literaturbüro herausgaben, war ,Eine Zurückweisung“ von Imre Kertész – allerdings mit Verzögerung. Als Kertész den Brandenburgischen Literaturpreis bekam, kannte ihn noch keiner. Erst durch den ,Roman eines Schicksallosen“, der ihn 2002 zum Nobelpreis führte, war er plötzlich gefragt. Doch trotz des Lesebooms blieb unser Buch links liegen. Das Cover sprang einfach nicht ins Auge.“ Der braune Packpapier-Einband konnte trotz sternenhimmlischer Silberpartikel das breite Publikum nicht überzeugen. Dafür bekam er den Designerpreis Berlin-Brandenburg. Inzwischen bietet sich die „Zurückweisung“ in einem neuen Outfit dar, etwas mehr in die Farbe gehend, ohne sich jedoch schrill und laut anzubiedern. Vor zwei Jahren hat sich Frank-Michael Feller vom Senat verabschiedet und mehr Zeit, sich in seiner Bücherwelt zu drehen. Er geht selbst mit Werbetasche auf Tour und versucht die Bücher möglichst günstig an der Kasse oder im Eingangsbereich der Buchhandlungen zu platzieren. „Stehen sie erst einmal im Regal, sind sie verschwunden“, so seine Erfahrung. „Mit dem Image, einen Nobelpreisträger im Sortiment zu haben, öffnen sich allerdings die Türen inzwischen wesentlich leichter, auch wenn nur 800 Exemplare verkauft wurden.“ Der Ansporn ihres Mannes setzt natürlich auch Betina Müller mehr unter Druck, die keineswegs aus dem Dienst ausgeschieden ist und nur in den Semesterferien „am Stück“ arbeiten kann. Aus der Spielwiese der Anfangsjahre ist eine echte Herausforderung geworden. Im nächstes Jahr sollen sogar acht Titel erscheinen. Auch hinsichtlich des Inhalts fechten die Zwei so manchen Strauß miteinander aus. Während Betina Müller nach wie vor der Lyrik unter die Arme greifen will, schaut ihr Mann mehr auf den Markt. Schließlich muss er die Bücher unter die Leute bringen. Das gelingt derzeit besonders gut mit den Potsdamer Pomologischen Geschichten, die nach Kirschen, Äpfeln und Melonen nun der Birne zur Ehre gereichen. Diese kleinen Publikationen schmeicheln dem Auge und sind zugleich ein Lesevergnügen. Der gefärbte Buchschnitt erinnert an alte Bibeln, wenngleich hier kein schweres Gold, sondern warme Herbsttöne für sich einnehmen. Per Hand wird mit einem Schwamm jedes Buch einzeln mit diesem Farbauftrag versehen. Die nächsten Früchte, mit dem der Verlag punkten will, sind schon ausgemacht: Orangen und Maulbeeren. „Es gibt Fans, die warten förmlich auf eine Fortsetzung. Aber auch für diese Reihe mussten wir den Markt erst aufbauen. Wenn jemand in unseren Büchern blättert, findet er sie meist sehr schön. Aber er muss erst soweit kommen.“ Neben der regionalen Reihe, die sich auch auf Dichter wie Erich Arendt und Theodor Fontane kapriziert, gibt es eine „Kunstabteilung“, um Ausstellungen zu begleiten oder Künstler mit einem Katalog heraus zu streichen. 2005 hat die Reihe „Königliche Kostbarkeiten“ Premiere, die die Einkaufs- und Speisezettel der Friedrichs und Wilhelms näher unter die Lupe nimmt und auch zum Nachkochen animiert. Für die nächsten vacat-Jahre wünscht sich das Verlegerpaar vor allem mehr wirtschaftlichen Erfolg – „Plus-Minus–Null und ein bisschen mehr Anerkennung im öffentlichen Diskurs, das wäre schon ganz nett. Und natürlich träumt man auch von einem Bestseller wie ,Harry Potter“. Durch gängige Produkte könnte man auch wieder abseitige Themen bedienen. Inzwischen denken wir oft schon selber so: Rechnet sich das?!“ Doch genau diesen Spagat gelte es zu nehmen: Mit größter Sorgfalt auf den jeweiligen Inhalt hinarbeiten. „Das ist aufwändig, macht es aber auch zu etwas Besonderem. Nur deshalb sind wir als kleiner Verlag auch in den meisten Buchhandlungen Berlins und Potsdams vertreten.“ Und da darf es auch mal Lyrik sein – der Frau zuliebe.

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